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Böhmen im 13.Jahrhundert: Nach dem Tod seiner Frau verheiratet sich ein Adliger sehr zum Missfallen seines Sohnes mit einem wesentlich jüngeren Mädchen. Also heckt Ondrej am Hochzeitsfest einen Streich aus, um der zusammengekommenen Festgesellschaft, seinem Vater und der jungen Braut zu beweisen wie sehr er die neue Stiefmutter ablehnt. Zunächst freut sich Lenora über den Korb voller Blütenblätter, den Ondrej ihr überreicht, deutet ihn jedoch nur so lange als ein Friedensangebot bis sie die unter den Blüten versteckten Fledermäuse bemerkt und den Korb schreiend von sich wirft. Ondrejs Vater verliert die Beherrschung, als er seine Ehefrau öffentlich derart beleidigt sieht, und schleudert seinen Sohn im ersten Zornesansturm gegen die Hofmauer. Gleich darauf bereut er seine Tat und bittet Gott und sein blutüberströmtes, bewusstloses Kind um Verzeihung, schwört, dass er das Leben Ondrejs der Heiligen Jungfrau schenken werde, wenn sie es ihm hier und jetzt nicht nimmt. Ondrej genest von seinen Verletzungen und tritt, gemäß des Schwurs seines Vaters, in den Orden der Deutschritter ein. In einer schweren Festung weitab seiner Heimat an einer stürmischen Küste soll er fortan sein Leben Christi widmen, abgeschlossen von der Welt, in Demut und Gehorsam. Jahre vergehen, Ondrej wird erwachsen und vollwertiges Ordensmitglied. Vor allem zu Armin von Heide, einem seiner Brüder, unterhält er eine mehr als freundschaftliche Beziehung. Zusammen liegen die beiden Männer sich an den Armen haltend im Wasser der anrollenden Wellen. Armin erzählt ihm von dem Kreuzzug, an dem er teilnahm, von den Brüdern, die Seite an Seite mit ihm kämpften und fielen, von der Handvoll Sand, durchtränkt vom Blut der Gefallenen, das er seitdem immer bei sich trägt. So sehr Ondrej sich auch mit Armin verbunden fühlt, es braucht nur den Fluchtversuch eines weiteren Bruders, der sich vom Orden absetzen und zu Haus und Hof zurückkehren will, um Ondrej wachzurütteln und ihn eine Sehnsucht nach seiner eigenen Heimat verspüren zu lassen. Da er bei dem Fluchtversuch zumindest nicht ganz unbeteiligt ist, wird er für mehrere Wochen, bis zum Ende der Fastenzeit, in seine Zelle eingesperrt, während den Bruder Rotgier, von Armin und den anderen noch rechtzeitig gefasst bevor er das Ordensland verlassen konnte, ein grausigeres Schicksal erwartet: er muss sich, da er mit seiner Flucht Christus zu betrügen versuchte, zu Tode stürzen, seine Leiche wird von wilden Hunden zerrissen. Am Ende der Fastenzeit steht Ondrejs Zelle leer. Er war erfolgreicher als Rotgier, hat sich eines Pferds bemächtigt und scheint sich längst auf dem Weg nach Böhmen zu befinden. Armin zögert nicht lange, setzt zur Verfolgung Ondrejs an, will ihn zurück in den Orden holen. Ein erstes Treffen zwischen ihnen verläuft zunächst positiv für Armin. Ondrej scheint sich zu fügen, lässt sich von ihm gefangen nehmen, nutzt jedoch die erste Gelegenheit, um seinen ehemaligen Bruder und engsten Vertrauten niederzuschlagen und sich mit dessen Pferd in seinen Heimatort durchzuschlagen. Tür und Tor werden ihm sofort geöffnet. Lenora ist inzwischen Witwe. Ondrejs Vater, das erfährt er von den greisen Bediensteten, hat es nie verwunden, dass er ihn dem Deutschorden überließ, hat alles versucht, um ihn aus der Gemeinschaft freizukaufen, und Tag und Nacht an einem bestimmten Fenster verbracht, aus dem er starrte, darauf hoffend, dass sein Sohn von alleine heimkehren wird. Gestorben ist er auf der Jagd, getötet von seinen eigenen Wolfshunden. Ondrej fühlt sich sofort als Herr des Hauses. Er lässt das heruntergekommene Familienanwesen herrichten und nähert sich sogar seiner Schwiegermutter an, so sehr, dass es nicht lange dauert und die beiden beginnen eine Liebesbeziehung. Selbst der Pfarrer des Ortes erteilt seine Erlaubnis, sie zu verheiraten. Eines Tages aber bemerkt Ondrej untrügliche Zeichen dafür, dass Armin noch immer auf der Suche nach ihm ist und sich in unmittelbarer Nähe aufzuhalten scheint… 

Frantisek Vlácil zählt meiner Meinung nach zu den unterschätzesten Regisseuren überhaupt. Bislang habe ich keinen Film von ihm gesehen, der es nicht verdient hätte, als Meisterwerk bezeichnet zu werden. Dass ÙDOLI VCEL nur kurze Zeit nach seinem Epos MARKETA LAZAROVÁ entstand, ist unübersehbar, und Vergleiche zwischen den zwei Werken bieten sich geradezu an. Beide spielen im 13.Jahrhundert, beide haben die gleiche großartige Schwarzweißoptik, beide konzentrieren sich auf Themen wie Spannungsfelder zwischen Religion und Paganismus, zwischen Sein und Sollen, bei beiden kann man sich jeden einzelnen Screenshot als gerahmtes Gemälde vorstellen. Dennoch sind bei ÙDOLI VCEL kleine, feine Unterschiede zu Vlácils wohl bekanntestem Werk festzustellen. MARKETA LAZAROVÁ ist, wie gesagt, ein Epos. Seine Laufzeit beträgt fast drei Stunden. Seine auftretenden Figuren sind in ihrer Fülle kaum überschaubar. Ihre Konflikte untereinander teilweise unentwirrbar miteinander verheddert. In MARKETA LAZAROVÁ überfordert Vlácil sein Publikum nahezu mit den vielen verschiedenen Erzähltechniken, die er anwendet, mit seiner pompösen Bildsprache, mit den vielen Details, die einem erst nach wiederholtem Sehen klar werden. ÙDOLI VCEL im Gegenzug bietet eine klare, lineare Handlung mit einem Anfangs- und einem Endpunkt, ein überschaubares Personal, eine leicht zu folgende, wenn auch düstere und schwere Story.  

Im Grunde kann man ÙDOLI VCEL als eine reduzierte Variante dessen bezeichnen, was Vlácil in seinem Vorgängerfilm aufbot. Alles scheint überschaubarer und eingängiger. Nichtsdestotrotz ist ihm auch mit ÚDOLI VCEL ein Meisterwerk gelungen, das in seiner Zurückgenommenheit nichts von der Faszination seines ersten Mittelalterfilms einbüßt. Die Musik, wenn auch nicht mehr so laut und so verrückt, gehört mit zum Besten, was ich jemals gehört hab. Die Bilder sind, wie erwähnt, ein Genuss. Der Kontrast zwischen Schwarz und Weiß wurde selten deutlicher als in ÚDOLI VCEL. Teilweise, wenn die Kamera direkt in die Sonne blickt, versinken Landschaften in einem weißen Flimmern, oder sind zumindest derart von ihm durchtränkt, dass die gesamte Szenerie etwas Unwirkliches erhält. Die Schatten im Gegensatz sind undurchdringlich und verschlingen den Film förmlich. Wohl nicht zufällig erinnern die Bildkompositionen an Eisenstein oder Fritz Langs NIBELUNGEN, und immer wieder bringt Vlácil Bilder, die in ihrer Schlichtheit poetisch, bedrohlich und surreal wirken. Da wären eine gekreuzigte Fledermaus, die Großaufnahme eines Rehs, dem die Kehle durchgeschnitten wird, die in tiefes Schwarz gehüllte Ordensburg der Deutschritter vom Strand aus gesehen. Surreal wird es zuweilen auch beim Sound, wenn Vlácil Szenen mit Geräuschen kombiniert, die überhaupt nicht zu ihnen gehören, sich eher in den Köpfen seiner Protagonisten abzuspielen scheinen. Als Ondrej am ersten Morgen im ehemaligen Schlafzimmer seines Vaters aufwacht, vernehmen er und wir die Wellen, die an die Küste des Ordenslandes branden, dem er den Rücken gekehrt hat. Mönchsgesänge tauchen unerwartet auf, schwellen an und wieder ab. Traditionelle tschechische Volkslieder sind leise im Hintergrund zu vernehmen, obwohl weit und breit niemand zu sehen ist, der sie hätte singen können. Subtil, völlig unauffällig, ruft der Film mit solchen Mitteln ein schwer zu beschreibendes Gefühl der Rätselhaftigkeit hervor.

Dabei erzählt Vlácil die Geschichte klar und deutlich, verzichtet weitgehend auf avantgardistische Spielereien und Uneindeutigkeiten wie er sie in MARKETA LAZAROVÁ mehrfach anwandte. Interessant fand ich neben der offensichtlichen Religionsthematik, dass man Armins verzweifelte Bemühungen, Ondrej zurück in die Ordensgemeinschaft zu bringen, auch ganz profan deuten kann. Der schon mehr als fanatische Eifer, den Armin an den Tag legt, Ondrej zu bekehren und vom Pfad der vermeintlichen Sünde abzubringen, kann einfach, selbst wenn es dem Deutschritter nicht bewusst ist, aus einem Gefühl der Liebe zu Ondrej entspringen. Wenn er gegen dessen vorstehende Hochzeit mit seiner Stiefmutter rebelliert, tut er das nicht nur aus Glaubensgründen, sondern schlicht und ergreifend aus Eifersucht. Dabei scheint er selbst zu glauben, dass er nur den Willen Gottes erfülle, wenn er unendliche Strapazen auf sich nimmt und Ondrej bis nach Böhmen folgt. 

Die Religiosität in ÚDOLI VCEL entsteht nicht aus Überzeugungen. Rotgier ist unzufrieden mit dem Ordensleben, sehnt sich nach seinen Besitztümern, nach einem weltlichen Leben. Ondrej ist nur in den Orden eingetreten, weil sein Vater meinte, der Heiligen Jungfrau etwas zu schulden, und die erste Erschütterung seines Glaubens ist genug, um ihn in sein altes Leben fliehen zu lassen. Der Pfarrer, der Ondrej und Lenor traut, sieht gerne über die eigentliche Sünde hinweg, die Stiefmutter und Stiefsohn in ihrer Liebesbeziehung begehen, wenn er dafür von Ondrej nur die Zusage erhält, dass der eine beachtliche Spende für seine Gemeinde leisten wird. Wenn man annimmt, dass Armin zwar durchaus von übersteigerten religiösen Gefühlen geleitet wird, sein immer mehr zutage tretender Fanatismus, der am Ende an Wahnsinn grenzt, aber mit unterdrückten sexuellen Gefühlen gegenüber Ondrej zusammenhängt, ist auch er selbst nach seiner eigenen Definition, auch wenn er sich nicht dafür hält, ein Sünder, der nur vorgibt, Gott zu dienen, und dem es in Wirklichkeit um seine eigenen Belange geht. Auch der Schluss macht mehr als deutlich, dass ÚDOLI VCEL ein religionskritischerer Film ist als man auf den ersten Blick meinen könnte. Seine Protagonisten befinden sich auf der Suche nach Gott, und zumindest in der organisierten Religion mit ihren fest vorgeschriebenen Gesetzen kollidiert das, was sie wollen, irgendwann mit dem, was sie dürfen. Gegenentwürfe findet man spärlich über den Film verstreut. Da ist eine wunderschön gefilmte Prozession von Kindern an einem eigentlich heidnischen Festtag, die erschrocken davonrennen, als plötzlich Armin vor ihnen auftaucht. Und da ist eine mythische Figur, eine blinde Seherin, ein junges Mädchen, die Armin allein deshalb herablassend behandelt, weil sie eine Frau ist. Ihren weisen Worten hört er erst gar nicht zu. 

MARKETA LAZAROVÁ mag der Film sein, der mehr Schauwerte aufbietet, der experimenteller ist, nervöser und bombastischer. Trotzdem ist für mich auch ÚDOLI VCEL eine vergessene Perle, die ich vorbehaltlos empfehlen kann.  

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