Review

ADELHEID ist ein weiterer großartiger Film des tschechischen Regisseurs Frantisek Vlácil, der nach den Meisterwerken MARKETA LAZAROVÁ und ÚDOLÍ VCEL inhaltlich und stilistisch neue Wege beschritt. Beide Vorgängerfilme waren im 13. Jahrhundert angesiedelt (mit einer Länge von beinahe drei Stunden muss man MARKTA LAZAROVÁ dabei als wahres Epos bezeichnen), boten opulente Schwarzweißbilder, trotz der traurigen, dramatischen Geschichten, die sie erzählten, äußerst pompöse Szenen, bombastische Musik, eindrucksvolle Kamerafahrten. Das alles findet man in ADELHEID nicht. Verglichen mit seinen Mittelalterballaden wirkt der Film, als ob Vlácil sich mittels Reduktion und Minimalismus bewusst von all dem, was ihn zwei Filme lang begleitete, lösen wollte. ADELHEID kommt mir vor wie ein neuer Anfang, ein Schritt in eine andere Richtung, der dem Regisseur mehr als gelungen ist.

Die Handlung von ADELHEID beginnt, als ein junger tschechischer Leutnant aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrt. Sein Heimatdorf, das bis vor Kurzem in der Gewalt der Deutschen war, scheint der tristeste, kargste Ort der Welt geworden zu sein. Die Deutschen, die sich während des Kriegs im Dorf niederließen, sind in einem Lager außerhalb des Orts interniert. Einige Felder sind noch immer vermint. Es herrscht eine Stimmung wie nach tausend Beerdigungen. Um den Leutnant ist es nicht besser bestellt. Die Kriegserlebnisse haben ihn zu einem gebrochenen Mann werden lassen. Rein äußerlich hat er die Jahre an der Front einigermaßen heil überstanden, doch innerlich gleicht er einer Ruine. Von einem Feldwebel wird er nun in einer herrschaftlichen Villa einquartiert, in der zuvor ein gewisser Heidenmann mit seiner Familie lebte, der grausamste Nazi der Gegend, der sich unter anderem einen Spaß daraus machte, Gefangene in Hundezwingern zu sperren, und zurzeit weit entfernt in der Stadt darauf wartet, dass ihm der Prozess gemacht wird. In der Villa ist er nicht lange allein. Eine Deutsche, die kein Wort Tschechisch spricht, wird tagsüber aus dem Lager entlassen, um ihm im Haushalt zu helfen, zu putzen, für ihn zu kochen. Erst später erfährt er von dem Feldwebel, dass jene Frau mittleren Alters die Tochter Heidemanns ist. Das Angebot des Feldwebels, sie zurück ins Lager zu schicken und ihm eine andere Haushälterin zu besorgen, weist der Leutnant zurück: er möchte, dass sie bleibt. In den kommenden Wochen vergräbt er sich in der ehemaligen Nazivilla. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt besteht aus dem Feldwebel und einem anderen Soldat, die ab und zu bei ihm vorbeischauen, und Adelheid, die ihn in einem ewiggleichen Ritual jeden Tag zur selben Uhrzeit aufsucht und zur selben Uhrzeit verlässt. Sie spricht kein Wort, ist verschlossen und zurückhaltend. Der Leutnant, der sich immer mehr für sie zu interessieren beginnt, besorgt sich ein Deutsch-Tschechisches-Wörterbuch, sucht den Dialog mit ihr. An einem Abend, als der Feldwebel und der zweite Soldat zu einem Saufgelage in die Villa kommen, das alsbald eskaliert, da sich ihre Trunkenheit in aggressivem Verhalten gegenüber Adelheid entlädt, beschützt der Leutnant sie und nimmt sich das Recht heraus, sie fortan bei sich zu behalten, verhindert, dass sie von nun an jeden Abend zurück ins Lager muss. Mehr und mehr wird offensichtlich, dass er sich in sie zu verlieben beginnt. In der grenzenlosen Einsamkeit der Villa versucht er, in ihr leidenschaftliche Gefühle für sich zu wecken…

ADELHEID ist ein schrecklich einsamer Film, eine Depression in bewegten Bildern, dessen Ende einen zu Tränen rühren kann. Wie die Inhaltsangabe schon erahnen lässt, ist es auch ein vollkommen ruhiger, unaufgeregter Film, beinahe totenstill, mit einem überschaubaren Arsenal an Figuren. Wenn der Leutnant erstmal die Villa bezogen hat, spielt sich fast das gesamte Geschehen dort ab und ADELHEID wird zu einem psychologischen Kammerstück. Vor allem ist er allerdings ein Kriegsfilm. Nicht in dem Sinne, dass er sich auf den Krieg selbst konzentriert, auf Kampfhandlungen und Schlachten. In ADELHEID geht es um die Nachwirkungen eines Kriegs, sein Fortdauern, obwohl er offiziell längst vorbei ist. Die Landschaften, die Vlácil zeigt, sind trostlos wie die Menschen, die sich in ihnen bewegen, nicht nur die äußeren Landschaften, das triste Dorf, die öde Villa mit den unzähligen staubigen Räumen, in denen die Zeit stillzustehen scheint, sondern auch die inneren Landschaften der Personen. Der Leutnant und Adelheid sind innerlich förmlich tot. Der Feldwebel trägt einen tiefen Hass gegen die Deutschen mit sich herum, der zum Vorschein kommt, wenn er sich betrinkt. Die Frauen des Lagers erscheinen als schwarz gewandete Greisinnen, die wie Relikte einer früheren Zeit aussehen. Es sind Landschaften, in denen vielleicht nie wieder etwas wachsen wird.

Von der technischen Seite her ist der Film nahezu perfekt inszeniert worden. Selten, doch äußerst effektiv überrascht Vlácil gar mit einigen surreal anmutenden Traumszenen bzw. Visionen des Leutnants in optisch verfremdeten Szenen. Was mir auch sehr gefiel, ist, dass die Kamera oftmals wie ein Beobachter durch die leere Villa gleitet, immer mal wieder ein Detail fixiert, die Flure erkundet, sich in den einzelnen Zimmern umsieht, dabei auch auf die beiden Bewohner verstößt, die sich in ihrer Leblosigkeit kaum von den Mobiliar unterscheiden. Den Einsatz von klassischer deutscher Musik fand ich schlicht genial. Eine unheimliche Wirkung wird dadurch entfaltet, dass in ruhigen Szenen, beispielsweise wenn der Leutnant vor dem Haus herumspaziert und dann plötzlich in die Nähe der Kamera blickt, plötzlich in ohrenbetäubender Lautstärke Bach ertönt. Grandios auch das Ende, das zumindest mich außerordentlich überraschte, weil es dazu führt, dass man die Beziehung zwischen Adelheid und dem Leutnant aus einem ganz anderen Blickwinkel neu zu bewerten beginnt.

Nein, ADELHEID hätte mir nicht besser gefallen können und der Film untermauert für mich nur, dass Frantisek Vlácil wohl einer der besten Regisseure ist, die heute niemand mehr zu kennen scheint.

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