Review

Die Edelromanze der 60er Jahre! Einer der größten Kassenschlager jenes Jahrzehnts. Ein Film von monumentalem Ausmaß. Ein unvergleichliches Epos. Erzählkino vom Feinsten.

Ist das alles übertrieben?
Nein! All das ist Doktor Schiwago tatsächlich, und noch viel mehr als das....

Zuallererst sollte man der Tatsache Tribut zollen, dass eigentlich mehr oder weniger auf dem Höhepunkt des kalten Krieges ein recht nüchterner und fast schon objektiv anmutender, intelligenter Film über die Gründungszeit der Sowjetunion gedreht werden konnte, und auch noch erfolgreich war.
Hier kommen die Stärken eines David Lean absolut ins Tragen, intelligente gewitzte Dialoge politischer Natur, symbolträchtige Bilder, famose Darsteller bis in die kleinsten Nebenrollen (beispielsweise Klaus Kinski in einer ca. fünfminütigen Nebenrolle als intellektueller Zwangsarbeiter), der forcierte technologische Fortschritt, koste es was es wolle (dargestellt im ambitionierten Staudammbau) und und und....
Gesellschaftspolitisch ist es eine Wucht, diesem Film zuzusehen. Spannend und nie mit erhobenem Zeigefinger.
Dabei ist Lean klug genug, von Anfang an klar zu machen, dass die meisten Menschen eigentlich ja nur Pragmatiker sind und weniger tatsächlich politische Fanatiker und sich schon seit jeher dem Druck von oben gebeugt haben, sei es  nun Monarchisch bedingt oder Parteispezifisch.
Und es ist auch so, dass bestimmte Subjekte immer auf den Füßen landen.

Und genau hier liegt gleichzeitig das Problem dieses Films:
Obwohl er mit über drei Stunden Länge eine beachtliche Länge aufweist, und auch sehr viele wichtige Themen des russischen bzw. sowjetischen Lebens abzudecken versucht, so ist letztlich das Gesamtkonzept zu diffizil, als dass man es tatsächlich in einem Film, der gleichzeitig den Lebensweg eines Mannes nachverfolgt, alles zusammenfassen könnte.
Nimmt sich der Film anfangs noch die Zeit, einige Protagonisten dem Zuschauer näher zu bringen, so wird dieser Umstand im weiteren Verlauf immer weiter in den Hintergrund gerückt, es wird alles abstrakter, im Hintergrund bleibt immer das bedrückende Gefühl eines "Big Brother is watching you".

So sollte man auch nicht unbedingt dem geläufigen Irrglauben verfallen, es handele sich hier um eine Art vom Winde verweht, nur in einer anderen Epoche in einem anderen Land. Der Schmonzettenfaktor ist, wie sollte es bei David Lean auch anders sein, angenehm subtil gehalten und beschränkt sich vordergründig gesehen nur auf die letzten dreißig bis vierzig Minuten des Filmes, der Rest ist mitreißendes elegisches episches Erzählkino über ein Land im Aufruhr aus der Sicht eines politisch absolut unmotivierten gutherzigen aber nicht dummen Arztes, der nur deshalb auf die schwarze Liste der Partei gerät, da er Poet ist...

Die Komplexität der Handlung verhindert es daher auch, dass der Film als allzu rund angesehen werden kann, das Ende erscheint etwas gehetzt und aufgesetzt, hier hätte man der Handlung gut und gerne noch zehn bis zwanzig weitere Minuten gönnen können.

Das alles soll jetzt aber nicht den Film an sich schmälern. Er ist schon komplex genug, gleichzeitig aber auch einfach genug gehalten, dass jeder Zuschauer sofort weiß, was Sache ist, oder es sich zumindest denken kann.
So etwas zeichnet einen Klassefilm nicht nur aus, es hebt ihn meilenweit über den Schnitt.
Und man sollte schon sehen, dass David Lean bei diesem Film auf seinem absoluten kreativen Höhepunkt ist. Eine Bildkomposition ist schöner als die andere.
Ein politischer Ausspruch ist intelligenter als der andere, ohne sich jetzt für ein System zu entscheiden, sondern für den Menschen in erster Linie.
Von daher alleine ist dies ein sehr humanistischer Film. Und ich glaube kaum, dass es ein großes Geheimnis ist, dass das bittere Ende alleine wegen dem humanistischen aspekt dann doch etwas versöhnliches hat: Schließlich ist es der von Alec Guiness verkörperte Idealstalinist, der am Ende doch noch auf die Suche nach seiner Familie geht, weil selbst er schließlich sieht, dass diese Wärme nicht zu ersetzen ist.

Die Darsteller sind wie üblich über jeden Zweifel erhaben und die Musik ist unsterblich. Also sollte man meinen, dass dies ein absolutes Meisterwerk ist?

Nun, fast....
Obwohl das jetzt unfair erscheinen mag, muß man bei David Lean die Meßlatte sehr, sehr hoch ansetzen, hat er doch vorher Die Brücke am Kwai und Lawrence von Arabien gedreht.
Tatsächlich steckt Doktor Schiwago Die Brücke am Kwai mühelos in die Tasche, bei Lawrence von Arabien scheitert er dann doch.
Das liegt daran, dass Doktor Schiwago die komplexere Geschichte zu erzählen versucht, über einen weitaus längeren Zeitraum hinweg, so dass er zwangsläufig in einigen Teilen gehetzt wirken dürfte.
Zum anderen versucht Lean mit Doktor Schiwago gleich zei Geschichten gleichzeitig zu erzählen, die zwangsläufig miteinander zwar verbunden sind, aber dennoch den gegenseitigen Erzählfluß beinträchtigen: Die Geschichte eines Landes im Aufbruch und die Geschichte eines Mannes, der versucht, darin zu überleben. Das macht er zwar mehr als nur sehr gut, verwehrt ihn aber dem absoluten Olymp. Bei Lawrence von Arabien ist es nämlich so, dass die Geschichte von Lawrence gleichzeitig auch die arabische Geschichte ist. so dass zwangsläufig nur eine Geschichte erzählt wird. Auch ist der betrachtete Zeitraum weitaus kürzer gefaßt als in Schiwago.
Insofern ist Schiwago zweifelsohne der ambitioniertere Film und alleine die eben erwähnten Punkte machen ihn ja nicht schlechter.
Was Schiwago tatsächlich etwas schlechter macht, ist die Tatsache, dass der Film keinen erzählerischen Bruch aufweist: Verfällt Lawrence im zweiten Abschnitt des Films zusehends dem Wahnsinn und wird zum Spielball der politischen Fronten, nachdem der Film wie ein Abenteuerfilm begann, so entwickelt sich Schiwagos Charakter nicht wirklich weiter, das Um-Ihn-Herum zwingt ihm sein leben auf, ohne dass er irgendeinen Einfluß darauf nehmen kann.

So ist es also die Hauptfigur, die den Film dann tatsächlich nicht zum Besten macht: Ihr fehlt es an Charisma und Ausstrahlung, all das, was Lawrence eigen war.
Natürlich geht es hier in der Erzählung um etwas völlig anderes, es geht hier um einen Menschen, dem genau das passiert, wovor er gewarnt wurnte: Er wurde vom Mühlstein zermahlen.
Und nicht um einen Anführer.

Aber genau diese fehlende Präsenz schmälert diesen Film, wenn auch nur minimal. Kann es denn von ungefähr kommen, dass ausgerechnte der schleimige Rod Steiger die schillerndste Figur des Films ist?

Nichtsdestotrotz muß ich dem Film wenn auch sehr sehr ungerne, seine 10 Punkte geben, da nur weil bei David Lean die Meßlatte sehr viel höher ist als bei anderen, man doch objektiv genug sein muß, und deshalb zugestehen, dass er den doch sehr komplexen Stoff im gegeben Rahmen mehr als nur sehr gut verfilmt hat.
(Man sehe sich nur mal die heutigen Erzählkinoversuche an, um zu sehen, dass selbst solch nicht so perfekte Filme von Lean noch drei Ebenen über Ergüssen von Ridley Scott, Steven Spielberg oder gar Anthony Minghella sind, wobei letzterem damit schon etwas unrecht getan wird, denn der ist wirklich nicht so schlecht....)

Details
Ähnliche Filme