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Man kennt sie, viele Thriller beginnen mit ihnen: Spannende Szenen von atmosphärischer Dichte, die neugierig machen auf das, was da noch kommen mag. Meist sparsam mit Dialogen versehen, sich zuerst nur über Andeutungen in Bild und Ton vermittelnd. Hier machen sich die Filmschaffenden die gesteigerte Aufmerksamkeit und Neugier des Publikums zunutze, das gespannt der Dinge harrt, die da im Verborgenen lauern mögen. Wenn nach dieser Kür dann aber die Pflicht beginnt, die Geschichte ausgebreitet und die Inszenierung offener wird, verpufft diese Spannung nur allzu oft wieder. Figuren bekommen dialogreich Hintergrundgeschichten verpasst, Zusammenhänge werden hergestellt, das ist Arbeit, das ist Standard, aber: Der Zuschauer wird dabei vom Haken gelassen.

An diesem Punkt nun möchten die Gebrüder Coen mit ihrem zwölften Kinofilm nicht mitspielen.
Ihnen ist vielmehr daran gelegen, immer fester am Spannungsgewinde zu drehen, auf keinen Fall locker zu lassen. Den Schwung der Eröffnung, das Unbehagen aufrecht zu erhalten. Und mit bemerkenswerter technischer Raffinesse gelingt es ihnen auch. Ein komplett abwesender Score erzeugt dabei ebenso Spannung wie die Edward-Hopper-Wüstenei, in welcher Kamera-As Roger Deakins die einsamen Wölfe und ihr blutiges Tun abbildet. Mit dem Ergebnis, dass die Szenen nicht wie chronologisch geschnitten wirken, sondern förmlich ineinander zu wachsen scheinen, um jeden Spannungsdruckabfall zu vermeiden. Gleichsam mit der Ereigniskette rollt der Film in seinem bedächtigen Tempo ab, erzeugt dabei aber ein konstantes Gefühl der Bedrohung. Bleischwer lastet die Präsenz des irren Killers Anton Chigurh (Javier Bardem als Teufelsmaschine), der hinter dem Gelddieb Llewelyn (Josh Brolin) her ist, auf dem Plot. Der Zuschauer fühlt sich ebenso wie die von ihm beobachteten Protagonisten in eine kalte Welt geworfen, in der ein Menschenleben nur soviel wert ist wie die Kugel, die es auslöscht. Der Zuschauer wird zum Komplizen gemacht. Was manch’ anderer Film sicherlich mit grimmiger Moral ausformulieren und ergründen würde.

Doch soviel Blut auch fließt, so einschneidend die Ereignisse sind, und so sehr Sheriff Tom Bell (Tommy Lee Jones) auch mit der gewalttätigen Gesellschaft hadert und nach dem „Warum“ fragt, das ihn als Spross einer Gesetzeshüter-Familie tagtäglich beschäftigt: Den Coens kommt weiterhin kein Subtext bei ihrer Erforschung filmischer Sprache in die Quere. Sie bleiben ihren Grundsätzen treu und liefern, umhüllt von bissigem Humor, ein für sie typisches (manch einer würde sagen: zynisches) Kabinettstück über die Unbelehr- und Unauslotbarkeit des Menschen ab, das sich nahtlos in ihr Gesamtwerk einreiht. Sei es nun der Dude aus „Big Lebowski“, dem das haarsträubende Chaos, das kurzzeitig in sein Leben trat, nichts Charakterformendes anhaben konnte, sei es nun der schlitzohrige Everett, der, in „O Brother where art thou“ kaum dem Galgen entronnen, schon die nächste krumme Tour im Sinn hat, oder aber das im vorliegenden Falle agierende Personal, welches von den Vorgängen überrollt wird: Keine Antwort. Ratlosigkeit allerorten. Eine Ratlosigkeit, mit der auch der Zuschauer schlussendlich entlassen wird. Moralische Erkenntnisse oder eine Botschaft gibt einem „No Country For Old Men“ jedenfalls nicht mit auf den Weg. Er bildet lediglich eine Ereigniskette ab, ist ein Vorgang, ein filmisch perfekt gelöster Vorgang. Reines Spannungskino. Aber wenn man etwas aus ihm herauszieht, hat man es sehr wahrscheinlich selbst hineingesteckt.
Da verhält es sich mit dem Film dann nicht viel anders als bei einem Münzwurf.
Aber entscheiden Sie selbst.

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