Ein Staat wie die USA ist ohne seine Mythen nicht vorstellbar - ohne die unzähligen Siedler, die sich auf den Weg in unerschlossene Gebiete gemacht hatten, ohne die Arbeiter, die vor allem gegen sich selbst Härte bewiesen, ohne die rechtschaffenen, gottesfürchtigen Männer und Frauen, die für moralische Verhältnisse und Kindersegen sorgten, ohne die wagemutigen Kapitalisten, die aus dem Nichts florierende Unternehmen aufbauten und ohne das man das Recht in eigene Hände nahm, um Unheil vom Vaterland abzuwenden und seinen Besitz zu wahren, kommt man nicht aus, wenn man von der Entwicklung dieses Landes zur heutigen Weltmacht erzählen will.
Diese ehernen Gesetze bekamen nach dem zweiten Weltkrieg zwar zunehmend Risse, aber letztendlich wurden sie nicht ernsthaft in Frage gestellt. Selbst in den düstersten Szenarien (auch bei Sergio Leones europäischer Sichtweise) befanden sich innerhalb der dekadenten, selbstsüchtigen und promiskuitiven Gesellschaft, die so stark dem amerikanischen Selbstbild widersprach, immer ein moralisch einwandfreier Held, dessen Coolness und Charakterstärke im Endeffekt den Moloch überstrahlte - selbst wenn er an den Verhältnissen zugrunde ging. Die Mär vom Individualisten, der die besten Eigenschaften, die das Land USA ausmachen, in sich trug, blieb damit erhalten und man konnte die immer kritischer werdende Sichtweise als Auswirkung der Gegenwart geisseln.
"There will be blood" geht einen anderen Weg und Regisseur und Autor Anderson bürdet damit seinem Hauptdarsteller Daniel Day -Lewis, aber auch dessen Gegenspieler Paul Deno eine Aufgabe von geradezu herkuleschen Ausmassen auf, denn in ihren zwei Rollen vereinigen sich sämtliche dieser amerikanischen Mythen. Anderson erreicht damit nicht weniger als die komplette Rechtfertigung dieser hochstilisierten Sichtweise und ihre gleichzeitige Demontage, was seinen Film einerseits so raffiniert und andererseits so unbefriedigend macht.
Als Daniel Plainview (Daniel Day-Lewis) beim Graben eines Schachtes abstürzt und sich ein Bein bricht, gelingt es ihm trotzdem aus dem Loch zu klettern und bis zum nächsten Ort zu gelangen, um sich das Stück Land zu sichern. Plainview ist ein Mann von grossem Durchhaltevermögen, aber auch sprachlich begabt. Er adoptiert einen kleinen Jungen, dessen Vater bei der Arbeit an einem Bohrloch tödlich verunglückt ist, und nimmt ihn fortan zu allen seinen Verhandlungen mit. Sehr ausführlich beschreibt Anderson die kleinteilige Vorgehensweise, die darin liegt, eine eventuelle Öl-Fundstelle vor der Konkurrenz zu finden und sich noch möglichst preiswert und unauffällig das Land dazu zu sichern. Geschick in der Gesprächsführung wird dabei zu einer unverzichtbaren Eigenschaft, genauso wie die Formulierung der Vorteile aller Beteiligter an einer geplanten Sache.
Die lineare Erzählweise dieser Geschehnisse, die ohne besondere Dramatik auskommt und fast zwingend in ihrer Entwicklung wirkt, erhält durch den Einsatz einer eigenständigen musikalischen Begleitung eine tiefere Ebene, die schon zu diesem frühen Zeitpunkt Unruhe unter der oberflächlichen Glätte vermittelt. Als der Blick auf eine Hügelkette in der kargen Landschaft fällt, ertönen Sirenen wie bei einem Fliegeralarm. Es wird Blut geben, aber der Kampf wird gegen keinen äußeren Feind stattfinden, sondern wird ein immanenter Bestandteil kommender Ereignisse sein.
Nachdem Plainview auf Grund jahrelanger harter Arbeit zu einem gewissen Wohlstand gekommen ist, ergibt sich plötzlich die Chance auf das ganz grosse Geschäft, als ein junger Mann namens Paul Sunday (Paul Deno) auf eine ergiebige Fundstelle hinweist und sich bei der Besichtigung die Verhältnisse als vielversprechend erweisen. Auf dem Grundstück der Familie Sunday angekommen, wird Plainview erstmals mit Eli Sunday (ebenfalls Paul Deno) konfrontiert, während Paul verschwunden bleibt. Eli sieht sich als Führer einer christlichen Gemeinde und ist vor allem am Aufbau einer Kirche interessiert, die er mit dem Verkauf des Landes finanzieren will. Der Film lässt offen, ob es die zwei Brüder Paul und Eli überhaupt gibt, oder ob sich Eli nur als Paul ausgegeben hatte, da nur er selbst von Paul spricht und auch sein Vater es nicht wagt, ihm zu widersprechen.
Doch die Auflösung spielt letztlich keine Rolle, denn diese Konstellation unterstreicht nur seine zwiespältige Persönlichkeit, die von Nächstenliebe spricht, angebliche Wunderheilungen vollzieht und gleichzeitig von intoleranter Härte ist, die die Auswirkungen der wirtschaftlichen Veränderungen als unmoralisch geißelt und gleichzeitig das Kapital für seine eigenen Zwecke nutzt. Anderson entwirft hier ein Bild gegenseitiger Abängigkeiten, denn Plainview verachtet als Pragmatiker diesen religiösen Eifer, aber er braucht ihn zur Umsetzung seiner Ziele. So wie er schon den langsam heranwachsenden Adoptiv-Sohn, den er als leiblich ausgibt, zum Beweis seiner Familienliebe und väterlichen Pflichterfüllung vorweist, um damit einen positiven Eindruck bei den Siedlern zu erreichen, so unterwirft er sich auch den Regeln der Kirche, als ihm bewusst wird, dass er nur so seinen geschäftlichen Erfolg sichern kann.
Die eigentliche Leistung der Darsteller liegt darin, hier keine typischen Entwicklungen im Charakter aufzuzeigen (auf der einen Seite vom religiös netten Jugendlichen zum verbohrten Fanatiker, auf der anderen Seite vom hart arbeitenden Unternehmer zum desillusionierten, asozialen Kapitalisten), sondern die Veränderungen als logische Auswirkung der inneren Kämpfe und Auseinandersetzungen aufzuzeigen, die gleichzeitig erst die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ermöglichten. Doch diese gegenseitige Abhängigkeit erzeugt einen sich steigernden Hass, da sie das jeweilige Ego einschränkt.
In der einzigen positiven Figur, Plainview's Adoptivsohn H.W.(Dillon Freasier), verdeutlicht sich dieses Prinzip. Als er durch einen Unfall taub wird, verliert er für seinen Vater an Wert, so dass dieser ihn fortschickt. Charakterlich passt sich H.W. nicht an und bleibt auch seiner Linie treu, aber "There will be blood" zeigt, dass mit diesem Charakteristikum nichts zu gewinnen ist. Letztlich macht Plainview alles richtig und es ist Day-Lewis' großartigem und gleichzeitig unmerklichen Spiel zu verdanken, dass er bis zum Schluss das Gleichgewicht aus klarem Menschenverstand und abgrundtiefer innerer Verrohung beibehalten kann, so dass seine Figur einerseits bewundernswert, andererseits abstoßend wirkt. Ähnliches gelingt Dano, der mal mächtig und intelligent, mal unsicher und selbstverliebt wirkt, und zum Schluss regelrecht Mitleid erregt.
Anderson, der seinen Film in seiner Erzählstruktur, optisch und mit seinen genauen historischen Details konservativ inszeniert, will nicht von dieser Auseinandersetzung ablenken, bei der es sich nicht wirklich um eine Konfrontation handelt. In "There will be blood" kommen nur Menschen und Gruppierungen wie etwa "Standard Oil" vor, die das System unterstützen und sich im Sinne der us-amerikanischen Legendenbildung verhalten. Das Blut, das hier fliesst, ist ein unvermeidlicher Bestandteil dieser Verhaltensmuster, und Anderson nimmt diesen Idealisierungen ihren moralischen Heiligenschein. Das Blut fließt immer noch - kein schöner Anblick (9,5/10).