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Filme mit Asia Argento stehen grundsätzlich unter dem Verdacht, dass dort mit extremen Gefühlen und Randerscheinungen unserer Gesellschaft gespielt wird. Angesichts des Filmplakates mit einer knapp bekleideten Asia, die eine Waffe in der Hand hält, scheint sich diese Erwartungshaltung zu bestätigen, aber Regisseur Assayas nutzt die schauspielerischen Fähigkeiten seiner Hauptdarstellerin für eine eigenständige Form der Umsetzung eines scheinbar typischen Themas.

Sandra (Asia Argento) ist die Geliebte des in Paris arbeitenden Fondsmanagers Miles Rennberg (Michael Madsen). Er nutzte deren sexuelle Freizügigkeit nicht nur für die Umsetzung eigener Fantasien, sondern setzte sie auch auf Klienten an, um an geheime Informationen heranzukommen, die diese möglicherweise beim Sex ausplaudern. Dass Sandra dabei nicht immer gut weg kam, sondern einmal auch nach der Verabreichung von KO-Tropfen von mehreren Männern vergewaltigt wurde, nahm Miles scheinbar billigend in Kauf, weswegen Sandra sich von ihm trennen will.

Wer nun reisserische Bilder erwartet, wird enttäuscht, denn die oben genannten Fakten ergeben sich ausschliesslich aus einem Gespräch zwischen Sandra und Miles. Als sie jetzt wieder in seinem Büro auftaucht, hatten sie sich Monate nicht mehr gesehen, und sie offeriert ihm, dass sie ihn nicht mehr liebt. Selbst Temperamentausbrüche entstehen nicht aus dieser Thematik, die einzig allein durch das Spiel der Protagonisten Leben erhält. Die äußerliche Sprache bleibt belanglos und gelangweilt, aber Asia Argento gelingt es, ihre Empfindungen - bestehend aus Lust, Coolness und Verletztheit - durchscheinen zu lassen, die ihre ambivalente Haltung gegenüber einem Mann nachvollziehbar werden lassen, den sie trotz grösster Enttäuschungen immer noch begehrt.

Michael Madsen ist in seiner Schwere und sprachlichen Langsamkeit der geeignete Gegenspieler in dieser Konstellation. Als seriösen Fondsmanager, der seine Anteile an seiner Firma verkaufen will (was seinen Partner negativ überrascht), kann man ihn sich zwar nur schwer vorstellen, aber das sexuelle Zusammenwirken mit der wesentlich jüngeren Sandra dafür um so mehr. Auch Madsen gelingt es sehr gut, zu verdeutlichen, dass das Spiel, dass er mit ihr trieb, indem er sie mit seinen Klienten schlafen liess, für ihn den eigentlichen sexuellen Reiz ausmachte, den sie wiederum darin auslebte, sich für ihn zu prostituieren.

Indem Regisseur Assayas diese Emotionen nicht bebildert, sondern sie einzig der Sprache und Ausdrucksweise seiner Darsteller überlässt, reduziert er diese auf ihren wesentlichen Hintergrund - einer fast verzweifelten Suche nach Liebe. Wenig überraschend besucht Sandra Miles kurz danach in seiner Wohnung - angeblich nur, um ihm seinen Wohnungschlüssel zurück zu geben. Wer sich an der Profanität ihrer Gespräche stört, begreift nicht, dass deren hingeworfenen Dialoge nur ihre Gefühle unterdrücken sollen.

In einigen kurzen Szenen, die die Wiederbegegnung zwischen Sandra und Miles unterbrechen, ist zu erkennen, dass Sandra versucht, sich ein neues Leben aufzubauen. Sie hat das chinesische Paar Sue (Kelly Lin) und Lester Wang (Carl Ng) kennengelernt und arbeitet in deren Pariser Firma. Sie träumt davon in Schanghai einen Club zu eröffnen und versucht deshalb auf illegale Weise mit Drogenschmuggel an das nötige Geld dafür zu kommen, was beinahe tödlich für sie ausgeht. Lester kommt ihr zu Hilfe und es wird schnell deutlich, dass sie eine Liebesaffäre haben.

Als sie Miles nach einer kurz aufflackernden Auseinandersetzung in dessen Wohnung erschiesst, wirkt diese Handlung wie im Affekt, aber kurz danach stellt sich heraus, dass sie nur einen Auftrag ausgeführt hat, den ihr Lester übermittelt hat und der ihr das notwendige Geld einbringen soll. Als dieser feststellt, dass sie dabei nur wenig professionell vorgegangen war, schafft er sie sofort mit gefälschtem Pass nach Hongkong, wo sie von Eingeweihten empfangen und ihr Honorar erhalten soll.

Trotz dieser widersprüchlichen und perfiden Handlungsweise behält Sandra immer die Sympathien des Zuschauers, da Asia Argento vermitteln kann, dass für sie der Tod von Miles nur das äusserliche Abbild eines Endes ist, das sie gefühlsmässig schon vollziehen musste. Obwohl diese Szene nach einem Drittel des Films stattfindet, symbolisiert sie das Ende einer Hoffnung, deren Beginn lange vor der eigentlichen Handlung lag. Die Trauer und Zerstörtheit, die sie im Moment von Miles' Tod empfindet, wirkt wahrhaftig, genauso wie die darauf hin folgende Handlung nie den Eindruck macht, als könnte sie zu konkreten Lösungen führen. Auch nicht die Beziehung zu Lester, die in ihrer Emotion merkwürdig diffus bleibt. Stattdessen wirkt Miles' Tod fast wie von diesem gewünscht, denn Madsen verkörpert einen desillusionierten Mann, dessen einzige Hoffnung zu empfinden in der Beziehung mit Sandra lag.Konsequenterweise verzichtet Assayas im weiteren Verlauf des Films auf eine realistische Verfolgung des Verbrechens, welches beim Betrachter nie den Eindruck eines kriminellen Aktes hinterlässt.

Die kommenden Ereignisse in Hongkong erfüllen zwar ein wenig den Action-Anspruch, den der Film scheinbar macht, aber sie sind nur Ausdruck von Sandras Situation. Asia Argentos Stärke liegt darin, Selbstbewusstsein mit Verletztlichkeit und Schwäche so zu mischen, dass ihre Einsamkeit und Ausgeliefertheit in der Fremde genauso erfahrbar wird, wie ihre Kraft, sich selbst aus dem Schlamassel herauszuziehen. Dadurch vermeidet der Film jede typische weibliche Opferrolle, sondern zeigt den Weg zu einer inneren Stärke, der letztlich dazu führt, dass Sandra sich von dem gesamten Ballast befreit.

Ein vielleicht auch durch die geschürte Erwartungshaltung erzeugtes Missverständnis liegt darin, den Film als Mischung aus Drama (Beziehung zu Miles) und Action (Auseinandersetzung mit der Killerbande in Hongkong) zu verstehen. Dem geringen Budget wird in diesem Zusammenhang gerne die Schuld daran gegeben, dass der Film mehr durch lange Gespräche "glänzt", als die dort beschriebenen Handlungen im Bild auszuführen. Tatsächlich handelt "Boarding Gate" nur von dem inneren Prozess einer Frau, den der Film mit seiner nicht immer stringenten Handlung und seiner optischen Reduktion, die Asia Argento trotz ihrer teilweisen Nacktheit nie zum Objekt werden lässt, in einer Art vermitteln kann, das er auch für weniger extreme Charaktere nachvollziehbar und erfahrbar wird.

Damit erfüllt Asia Argento das von ihr erwartete Klischee und widerspricht diesem gleichzeitig - sie ist extrem, aber auch ganz normal (8/10).

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