Ähnlich wie beim letzt jährig erschienenen "Flying Scotsman" über einen schottischen Radfahrer, handelt es sich auch bei "Lauf um dein Leben !" um die Biografie eines Sportlers, der noch aktiv ist und der die Buchvorlage selbst verfasst hat - um Andreas Niedrig, der im letzten Jahrzehnt ein erfolgreicher Triathlet war. Angesichts der Tatsache, dass es sich in beiden Fällen eher um Insidern bekannte Sportler handelt, stellt sich die Frage nach der Intention des Films, der im Anhängsel des Titels Rechnung getragen wird - "Vom Junkie zum Ironman".
Damit ist im Grunde schon das Wichtigste gesagt, aber Biografien haben grundsätzlich den Nachteil, dass man das Ergebnis des Films kennt, weswegen das Gewicht vor allem auf der scheinbar ausweglosen Situation des Andreas Niedrig liegt, die erst das Interesse an diesem Sportlerleben weckt und die auch eine allgemeine Identifikation mit seinem Schicksal erzeugen soll.
Konsequenterweise - und in diesem Punkt unterscheidet sich "Lauf um dein Leben!" wohltuend von üblichen Sportfilmen - werden nur wenige Szenen dem eigentlichen Sport gewidmet. Noch dazu verzichtet der Film gänzlich auf Ergebnisse, Siegerehrungen oder umjubelte Siegerposen - nur in einem zuletzt eingeblendeten Text werden Niedrigs Erfolge erwähnt. Stattdessen konzentriert sich die Story auf die 80er Jahre, in denen Niedrigs Drogensucht begann und zu seinem persönlichen Tiefpunkt führte.
Die Intention der Filmemacher, sich einem persönlichen Drama widmen zu wollen, zeigt sich auch darin, dass sich das Drehbuch von Niedrigs Leben in einigen wesentlichen Details entfernt. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe von vier jungen Männern, die im Ruhrgebiet der 80er Jahre ihren Lebenssinn suchen und ihn im gemeinsamen Ausleben einer anarchischen Freiheit zu finden glauben. Andreas (Max Riemelt), Kurt (Axel Stein), Motte (Robert Gwisdek) und Isamel (Ismael Deniz) träumen von einer gemeinsamen Reise um die Welt und basteln an einem alten Bus herum, können ihre Fantasien aber nicht ohne Drogen ausleben.
Der Film entwirft ein überzeugendes Bild einer Bundesrepublik, deren organisierte Realität für Jugendliche wenig verlockend erscheint, und es ist eine Stärke der Story, dass die Drogenabhängigkeit nicht mit irgendwelchen familiären Schwierigkeiten ,Arbeitslosigkeit oder vergleichbarem erklärt wird. Im Gegenteil wirkt die Konstellation der vier jungen Männer zu Beginn in ihrer Freude durchaus ansteckend, was dem sehr guten Spiel der Protagonisten, besonders Axel Stein und Robert Gwisdek, zu verdanken ist. Während Max Riemelt als im Mittelpunkt stehende Hauptfigur vor allem in ihrer dauernden Aktivität physisch präsent ist, sorgen Stein und Gwisdek für die ruhigen Momente, die die inneren Abläufe der Gruppe erfahrbar machen.
So ist auch ihre Enttäuschung verständlich, als Andreas sich in Sabine (Jasmin Schwiers) verliebt, diese schwanger wird und er sich für ein bürgerliches Leben mit Job und Familie entscheidet - und damit völlig gegenläufig zu den Vorstellungen der Gruppe handelt. Das sich der "echte" Niedrig in dieser Phase als Zeitsoldat bei der Bundeswehr verdingte, spart "Lauf um dein Leben!" aus, denn das hätte die Schlüssigkeit der Rückkehr in den Freundeskreis erschwert. Auch der Fakt, dass Niedrig LSD schon vor der Geburt seiner Tochter "probierte", wird zugunsten einer Situation verändert, die den jungen Vater nicht zuletzt auch wegen des sehr ermüdenden Familienlebens mit Säugling und anstrengendem Job in die Arme seiner Freunde zurück treibt, die ihn letztendlich glücklich wieder aufnehmen.
Diese angemessene "Verfälschung" der Realität kommt dem Film zugute, denn die Veränderungen werden dadurch nachvollziehbarer. Der Niedergang der Gruppe, die immer engeren Verflechtungen mit der Beschaffungs-Kriminalität und der sich daraus ergebende nicht mehr zu stoppende Kreislauf wird erstaunlich abwechslungsreich und ohne moralischen Zeigefinger geschildert. Das Drama findet in ihren Köpfen statt, nicht in der Außenwelt. In diesem Zusammenhang kommt der Rolle von Niedrigs Vater eine besondere Bedeutung zu. Udo Schenk spielt mit Mut zum Unsympathischen den Hauptwachtmeister, der Spaß an seinem Job hat, vor martialischen Bemerkungen nicht zurückschreckt und in seinem Bestreben, seinem Sohn helfen zu wollen, an seinem fehlenden Einfühlungsvermögen scheitert.
„Lauf um dein Leben!“ gelingt im Zusammenspiel mit dieser eckigen, wenig für sich einnehmenden Figur, und den Jugendlichen, die trotz ihrer gemeinsamen Träume und engen Freundschaft keinen Halt finden, das schlüssige Bild eines Lebens zwischen bürgerlicher Prägung und dem Wunsch nach Ausbruch, dass keine Erfüllung bringen kann. Letztendlich können sie ihrer Umgebung nicht entkommen, was zu unterschiedlichsten Reaktionen führt. Der Blick in die Augen von Kurt und Motte beim Erkennen der Ausweglosigkeit ihrer Situation ist schlicht der Höhepunkt des Films, der in diesem Moment einen Generalismus weit abseits von persönlichen Biografien erreicht.
Regisseur Köse, der auch das Drehbuch nach der Buchvorlage schrieb, legte in seinem Film so eindeutig das Gewicht auf den Prozess des Niedergangs, dass der Prozess der „Heilung“ des Andreas Niedrig dagegen sehr schnell abgehandelt wird. Ohne größere Widerstände gelingt Andreas der Aufstieg zum Sportler (so spart der Film auch aus, dass der „echte“ Niedrig zwei Entziehungskuren benötigte) und es überrascht auch nicht, dass die für diese Entwicklung wichtigsten Figuren – seine Frau Sabine und sein Trainer Oscar (Uwe Ochsenknecht) – die blassesten und eindimensionalsten bleiben.
Oscar erwähnt zwar einmal größere Schwierigkeiten in der Vergangenheit, die ihn von seiner Frau trennten und auch mit der Polizei in Berührung brachten, aber er konkretisiert diese nie und Ochsenknecht erfüllt mit seiner Darstellung nur das Klischee des bärbeißigen, letztendlich gutherzigen Trainers, der auch dem tief gefallenen Schützling noch einmal eine Chance gibt. Ebenso ist Jasmin Schwiers immer liebende Ehefrau, immer angemessen in ihrem Verhalten und verliert selbst bei den wüstesten Ausschreitungen ihres Mannes kein böses Wort. Angesichts der Tatsache, dass beide Personen zu Niedrigs Gegenwart gehören, ist diese Darstellung verständlich, verdeutlicht aber nur, wie gut es dem Film getan hat, dass Köse sich nicht dogmatisch an die Realität gehalten hat.
„Lauf um dein Leben! – Vom Junkie zum Ironman“ hat seine Stärke darin, dass er in seinen besten Momenten nicht wie eine Biografie wirkt, sondern ein nachvollziehbares Bild unserer Gesellschaft zeigt, in der Schicksale wie die von Kurt und Motte nachempfindbar werden. Der Film vermeidet zudem, den Aufstieg des Andreas Niedrig als vorbildhaft und nachahmenswert in seiner Motivation zu verkaufen und unterstützt damit seine eigentliche Intention, dass er dessen Ausweg aus der Drogenabhängigkeit als Glücksfall schildert. Auch wenn das letzte Bild den „echten“ Andreas Niedrig zeigt, so bleiben stärker die Bilder von Kurt und Motte in Erinnerung und ihrem Versuch, dem Leben einen Sinn zu geben (7,5/10).