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„Kalter Krieg aus dem Whirlpool"

Am 25.12.1979 erreichte der Kalte Krieg einen neuen Höhepunkt. Trotz zahlreicher Poteste vor allem auch der USA marschierte die Sowjetunion im Nachbarland Afghanistan ein. Dass dies der Anfang vom Ende des Kommunismus sein würde, ahnte damals noch kaum jemand. Heute ist allgemein bekannt, dass die USA auf dunklen Kanälen und im Verbund mit diversen anderen Ländern Waffen wie Material ins Land schmuggelten, um die Freiheitskämpfer gegen die Invasoren zu unterstützen. Auch die tragende Rolle der CIA bei Ausbildung in diversen Kampftechniken sowie im korrekten Waffengebrauch ist längst kein Geheimnis mehr.
Weit weniger verbreitet ist dagegen das Wissen um das anfängliche Desinteresse der westlichen Supermacht an einem aktiven Eingreifen in den Konflikt. Die am Ende eine halbe Milliarde US-Dollar umfassende „Hilfsaktion" begann als kaum erwähnenswerte Erhöhung eines geheimen Etats von 5 auf 10 Millionen Dollar. Federführend bei Initiative und Geldbeschaffung war der texanische Kongressabgeordnete Charlie Wilson. Dass es der wenig tugendhafte Hinterbänkler schaffte, eine Aktion aus dem Boden zu stampfen, die nicht nur half die Sowjets aus Afghanistan zu vertreiben, sondern auch gleich den Zusammenbruch des Kommunismus und damit das Ende des Kalten Krieges herbeiführte, klingt wie ein naiv-patriotisches US-Heldenmärchen oder aber eine besonders bissige Politsatire. Beides falsch. So unglaublich es scheint: Es handelt sich um eine wahre Begebenheit.

Eine solche Geschichte schreit förmlich nach einer Verfilmung, dachte sich wohl auch Regielegende Mike Nichols (Wer hat Angst vor Virginia Wolf? 1966, Die Reifeprüfung 1967). Mit der filmischen Aufbereitung brisanter Tatsachen (Silkwood 1983) hat er ebenso Erfahrung wie mit satirischen Seitenhieben auf die US-Politik (Mit aller Macht 1998). Gerade diese Mischung aus ernsthafter Auseinandersetzung und bissigem Witz ist dann auch eine der großen Stärken von Der Krieg des Charlie Wilson. Mit feinem Gespür für leise, bösartige aber auch liebevolle Zwischentöne sowie einem ausgezeichneten Sinn für Dramaturgie und Schauspielführung gelang Nichols einer der interessantesten, unterhaltsamsten und zweifellos besten Politfilme der letzten Jahre.

Neben der schier unglaublichen Geschichte ist vor allem die Figur des Charlie Wilson Hollywoodreif. Der texanische Kongressabgeordnete scheint so gar nicht in das Bild eines zupackenden und vorausschauend planenden Politprofis zu passen. Seine Mitarbeiter sind allesamt weiblich, jung und auffallend gutaussehend. Ihr Dresscode scheint nur einer Auflage zu unterliegen: der Ausschnitt muss möglichst tief sein. Sein Büro ziert ein großer kuhfellbespannter Couchtisch, auf den der Abgeordnete - auch bei politischen Verhandlungen - gern mal seine Cowboybestiefelten Füße hochlegt. Dem Koks ist er ebenso zugetan wie Hochprozentigem. Die Gewohnheit ist so verinnerlicht, dass er bei einem morgendlichen Treffen mit dem pakistanischen Präsidenten ein Glas Whiskey verlangt. Auf Wilsons entschuldigende Frage „Dieser Fehler ist bestimmt schon vielen ausländischen Gästen unterlaufen?" antwortet der Pakistani trocken: „Nein. Sie sind der erste." Zu Beginn des Films planscht Wilson splitterfasernackt mit zwei Callgirls in einem Whirlpool des neu eröffneten Caesars Palace und verhandelt über eine Beteiligung an einer Fernsehsoap. Aber Charlies Schwäche ist gleichzeitig auch seine größte Stärke. Die Medien sind so mit seinen Ausschweifungen beschäftigt, dass der umtriebige Politiker hinter den Kulissen in Seelenruhe an dem Programm zur „Befreiung Afghanistans" arbeiten kann.
Diesen schillernden Trunkenbold und Schürzenjäger ausgerechnet mit „Mr. Integrity" Tom Hanks zu besetzten ist ein grandioser Coup. Der zweifache Oscarpreisträger scheint einen Heidenspaß an der für ihn völlig untypischen Rolle gehabt zu haben und gibt den lasterhaften Polithallodri als ungemein sympathischen Lebemann.

Bei seinem zunächst recht einsamen Feldzug gegen den Kommunismus gerät er an den ebenfalls wenig linientreuen CIA-Mann Gust Avrokotos. Der unkonventionelle Agent schlägt schon mal seinem Chef die Büroscheibe ein und beschimpft ihn als schleimigen Sesselpfurzer. Da überrascht es kaum, dass der rüpelhafte Avrokotos trotz eines brillanten Geistes kaltgestellt wird und seitdem ein zermürbendes Dasein zwischen ihn langweilenden Aktenbergen fristet. Auch Charlie Wilson zeigt sich bei ihrer ersten Begegnung wenig beeindruckt und empfängt den unorthodoxen Avrokotos mit den Worten: „Sie sind ja nicht gerade der James Bond-Typ." Als der Abgeordnete bei ihm anfragt, was man bräuchte um die Afghanen gegen die Invasoren zu unterstützen, glaubt Gust zunächst an das übliche leere Politikergerede. Als er aber hinter Wilsons halbseidener Fassade ernste Absichten erkennt, erwacht der Sohn eines griechischen Brausefabrikanten aus seiner Lethargie und zieht virtuos die Strippen hinter den Kulissen.
Philipp Seymour Hoffman gibt hier nach Capote erneut eine Oscarwürdige Vorstellung als prolliger CIA-Wadenbeißer. Mit ordentlich Mut zur Hässlichkeit - ausladende Wampe, fettige Haare und eine extrem uncoole Hornbrille -, politisch unkorrekt, mürrisch und nach allen Richtungen austeilend, macht er den stets übel gelaunten Zyniker zum Highlight des Films.

Die dritte im Bunde ist die texanische Millionärin Joanne Herring (Julia Roberts). Sie ist eine alte Bekannte Charlies, ein Umstand dem beide gerne auch einmal bei einem mondänen Schäferstündchen gedenken. Das Laster ungezügelter Fleischeslust steht zwar in krassem Gegensatz zu ihrer fanatischen Bibeltreue, verbindet sie aber auch mit Charlie - den ja ein ähnliches Problem „plagt" - und macht sie zum idealen Mitglied des „Trio Unkonventionale". Zudem ist sie trotz ihrer Religiosität ein leidenschaftlicher Kommunistenhasser und verfügt über ausgezeichnete politische Verbindungen zu pakistanischen Regierungskreisen. Mit „Crassus" Herring ist das skurrile Triumvirat zur Vertreibung der Russen aus Afghanistan schließlich perfekt.

Wie es Charlie gelingt, eine Allianz aus Ägypten, Pakistan, Saudi Arabien und Mossad-Kreisen zu schließen und nebenbei dem Kongress immer weitere Millionen aus der Tasche zu ziehen, gleicht beinahe einer Screwballkomödie. Man muss sich immer wieder daran erinnern, dass dem Drehbuch der Tatsachenbericht (Charlie Wilson´s War: The Extraordinary Story of the Largest Covert Operation in History) des US-Journalisten George Crile zugrunde liegt, um die skurrilen Begebenheiten und politischen Scharaden nicht für unterhaltsame Bonbons einer zwar clever konstruierten, aber natürlich völlig überzogenen Politfarce zu halten.
Trotz aller vordergründigen Heiterkeit, schwungvoll-lässigem Politikschach und witzig-bissigen Wortgefechten spart Mike Nichols nicht mit schockierenden Bildern von verstümmelten Kindern und riesigen Flüchtlingslagern. Auch das Wissen um die heutige Situation in Afghanistan und die Rolle der USA lassen Wilsons Erfolge in einem anderen Licht erscheinen und versehen das Erreichte mit einem bitteren Nachgeschmack.

Fazit:
Selten gelang es einem Film gleichzeitig so gut zu unterhalten, zum Nachdenken anzuregen, in Erstaunen zu versetzen, zu amüsieren und zu schockieren. Im Verbund mit Drehbuch- und Theaterautor Aaron Sorkin (Eine Frage der Ehre, The West Wing) hat Regisseur Nichols das in den letzten Jahren wiedererstarkte US-Politkino um einen weiteren Glanzpunkt bereichert. Brillant gespielt, temporeich inszeniert, in seinen Aussagen böse, brisant und zeitweise zum Brüllen komisch, endet der Krieg des Charlie Wilson in einem glanzvoller Sieg. Der Film wohlgemerkt.

(9/ 10 Punkten)

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