Ein Barbier wurde zu Unrecht für Jahre ins Gefängnis gesperrt, kommt dann wieder frei und kehrt nach London zurück, wo er sich unter dem Namen Sweeney Todd (Johny Depp) an den Richter (Alan Rickman), der ihm seine Familie raubte, mit der gründlichsten Rasur seines Lebens rächen will, wobei er auch einigen anderen „Kunden" die Kehle aufschlitzt.
Den Abriss der Handlung auf mehr als diese verschachtelte Satzkonstruktion auszudehnen, würde all jenen Slasher-Filmen wie Hostel oder selbst der Alien vs. Predator-Reihe Unrecht tun, weil man ihnen dadurch eine größere Inhaltsarmut unterstellen würde, als dass es im Vergleich zu Sweeney Todd gerechtfertigt wäre. Gewalt wird in allen drei Werken gleichsam zelebriert, ja verherrlicht und der Umgang damit gerät so lapidar, dass dies schon zur Konvention geworden ist.
Der einzige Unterschied zwischen diesen Filmen ist letztendlich, dass man uns, dem erwartungsvollen Zuschauer, Sweeney Todd als ambitionierten Musical-Kunstfilmprojekt verkaufen will und nicht als schwülstiges und gehaltloses Pseudo-Blockbusterkino, was es aber im Grunde ist. Konvention (Rache) reiht sich an Konvention (große Liebe, die zerstört wurde) und am Ende bleibt die Light-Version vom Überlebensgroß-Kitsch Phantom der Oper in einem Gothic-London des 19. Jahrhunderts, die aber - und das muss man neidlos anerkennen - ziemlich gut seine unterschwellige Eingebildetheit und sich in Morden erschöpfender inhaltlicher Beliebigkeit mit Düster-Look und regelrechten Blutbächen durch eine handwerkliche Perfektion in den Sets, bei der Inszenierung und Kamera kaschieren kann.
Tim Burton, der Genius auf dem Regiestuhl, in dessen Oeuvre sich hin und wieder ein Faux-Pas (z.B. Planet der Affen) in die Reihe von stilistisch atemberaubenden Filmen und modernen Klassikern des Morbid-Kinos wie Beetlejuice oder Edward mit den Scherenhänden einreiht, versagt ein weiteres Mal, indem er das Grusical aus der Feder von Stephen Sondheim, welches ich jedoch bis dato nicht kenne, nicht überzeugend auf die große Leinwand transportieren kann.
Es fehlt an der Eloquenz, die Leichtigkeit der Inszenierung, welche dafür sorgt, dass - wie hier leider geschehen - die simple, sich schleppende Handlung nicht von dem grandiosen Szenenbild, der Ausstattung mit Sinn fürs düstere Detail und ebensolchen schwermütigen Bildern erdrückt wird. Das cineastische Korsett wird solange geschnürt, bis der Film jeden Atem verliert, in den narrativen Dornröschenschlaf während der selben, sich wiederholenden Gesang-Einlagen verfällt. Die Zeit transformiert sich in Blei oder - um mit lateinischem Vokabular zu jonglieren sowie lautmalerisch an die bassintensive Musik des Films zu erinnern - Plumbum, besonders, aber nicht nur, wenn der durch die Straßen von London stapfende, von Liebe getriebene Anthony Hope (gespielt von Jamie Campbell Bower) nach „Johanna" begehrend, zum dritten, gefühlten 20. Mal ein gleichbetiteltes Liedchen tiriliert.
Dabei suhlt sich Sweeney Todd zwar nicht in Originalität, aber man erkennt das Potenzial dieses Films, welches jedoch weitgehend verschenkt wird. Ich persönlich fühlte mich jedenfalls nach gut einer Stunde Sweeney Todd relativ gelangweilt, was ich mit einigen erzählerischen Lücken glaube, begründen zu können. Der Film ist schlicht zu lang.
Während Johny Depp in seinem betont düsteren Minenspiel sämtliche Sympathien auf seine Hauptfigur vereint, gelingt es seinen Kollegen nur bedingt, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Während Sasha Baron Cohen (Borat) als schleimiger Barbierkonkurrent mit Akzent im Gedächtnis haften bleibt, chargiert sich Alan Rickman als böser Richter bis hin zu seiner eigenen Parodie und Helena Bonham Carter kokettiert in ihrer Rolle als Mrs. Lovett derart, als wolle sie sich für Fortsetzung von Fight Club anbiedern. Zumindest erinnert ihre Figur sehr an Marla Singer, was Frisur, Make-Up und Nihilismus-Attitüde angeht.
Ist Sweeney Todd etwas wirklich Neues abseits der Konventionen der Traumfabrik? Leider nicht. Er springt auf jenen Morbid-und/oder-Gothic-Zug auf, den Tim Burton mit Beetlejuice begründete und mit Sleepy Hollow zur Vollendung führte. Ein traditionelles Musical ohne die Anhaftung einer Skandal-Attitüde hätte mich aber auch überrascht. Da kann Burton noch so sehr versuchen, sein Publikum durch den eher kruden Mix, das Oszillieren zwischen Musical und Horror, Surrealismus und Realismus, Liebe und Mord, Humor und Ernst zu verstören und am Ende die altbekannte Frage nach der Sinnhaftigkeit von Rachsucht aufwerfen: Die Mängel des unausgegorenen Mixes, des Nicht-Harmonierens bleiben.
Dass das Ergebnis dabei von großer Professionalität zeugt, was Inszenierung und Stilistik angeht, ist Burtons Verdienst. Dass der Film aber nicht als solcher funktioniert, da die ohnehin schon simple Geschichte von den Musical-Einlagen unnötig gedehnt wird, aber auch. Und so ragen am Ende einzig ein großartiger Johny Depp, viel rabenschwarzer Humor und die makellose Optik und Ausstattung des Films aus dem Hollywood-Einheitsbrei heraus (Knappe 6/10).