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Dass die Kultur der Menschen eine visuelle ist, wird niemand ernsthaft bestreiten wollen. Wir nehmen einen Großteil der uns umgebenden Lebenswelt über die Augen, den Blick wahr, der potenziell das Wesentliche erfasst und - aufgrund der Vielzahl von Sinnesreizen - das Unwesentliche ausblendet. Das Internet ist das Leitmedium unserer Zeit, kaum denkbar ohne eine visuelle Kultur, welche Bild- und Textelemente miteinander verbindet. Auch aus diesem Grunde wird häufig behauptet, dass die Menschen nur das glauben, was sie sehen. Diese Aussage soll auch im Film The Eye aufgegriffen und kritisiert werden, vergegenwärtigt man sich die Täuschungen, die bei der Fixierung der Sinne auf den des Sehens einhergehen.

Nun ist es jedoch nicht der Sehsinn, welcher den Horrorfilm seit jeher thematisch interessierte. Vielmehr der, welcher über die klassische Wahrnehmung abseits von Hören, Sehen, Riechen, Tasten und Schmecken hinausgeht: der „sechste Sinn" oder - um mal ein konkretes Beispiel aus dem gleichnamigen Film zu nennen - das „Shining", wobei diese telepathische Kommunikation eher die Ausnahme bildet. Die Archetypen des Genres Horrorfilm sehen Dinge, die nicht da, oder Dinge, die nicht real sind.

Das kognitive und biophysikalische Sehen weicht einem mystischen Verständnis davon, mittlerweile banal-wissenschaftliche Erklärungen weichen dem Aufbau einer Spannungskurve, deren höchster Punkt gleichzeitig bisweilen auch den Gipfel der Unlogik darstellt. Die Fähigkeit des „sechsten Sinns" wird kaum, vage oder nur unzureichend erklärt. Woher sie kommt, wird mit obskuren Ausführungen um Hexerei, eine ominöse Begabung notdürftig erklärt - oder schlicht: gar nicht. The Eye bildet da keine Ausnahme.

Wieder einmal nahm sich Hollywood einer Horrorfilm-Vorlage aus Fernost an, um sie fürs westliche Publikum zu „amerikanisieren". Mit Jessica Alba (Fantastic Four) wurde ein angesagtes Film-Sternchen besetzt, einzig der Besuch der von ihr verkörperten Figur Sydney Wells in einem abgebrannten chinesischen Restaurant kann als ferne Referenz an das chinesische Original Gin gwai (internationaler Vertriebstitel ebenfalls The Eye) gelesen werden.

Die musikalisch äußerst begabte Sydney ist im Kindesalter erblindet und sie hat sich nach über 20 Jahren mit dieser Situation angefreundet. Doch dann erhält sie die Chance, mittels einer Hornhaut-Transplantation wieder sehen zu können. Nachdem sie anfangs nur verschwommen wahrnehmen kann und die für sie sichtbaren, geisterhaften Gestalten als einen Synergieeffekt dieser Operation betrachtet, mehrt sich bei ihr die Tatsache, dass sie durch die gespendete Hornhaut Kontakt mit der Welt der Toten aufgenommen hat. Fortan wird sie von den Geistern und Toten regelrecht verfolgt, bis sie hinter das Geheimnis ihrer Hornhaut-Spenderin kommt.

Biologisch-kognitive Erklärungen werden nur kurz eingeführt, um schnell wieder verworfen zu werden, rationale Erklärungen halten nicht stand. Sonst würde The Eye, welcher mit verschwommenen Point Of View-Aufnahmen aus der Perspektive der Hauptdarstellerin nicht geizt und damit dem Zuschauer eine zusätzliche Dimension der Identifikation mit Protagonistin Sydney an die Hand gibt, jegliche Rätselhaftigkeit, die das Genre des Mystery-Horrorfilms ausmacht, abgehen. Das unvermeidliche Mittel zum konventionellen Zweck: Spannungserzeugung.


ACHTUNG: SPOILER!

Die Auflösung selbigen Rätsels – im Prinzip der Kern des Films – erinnert an Jacques Lacans „Spiegelstadium“, ein einflussreiches Konzept der Psychologie. Darin erkennt ein Kleinkind durch den Blick in den Spiegel sich selbst und kann eine Abgrenzung zwischen seinem Körper und der Umgebung treffen, was für die Entwicklung seiner Persönlichkeit, seines „Ichs“ zentral ist. Sydney erkennt innerhalb einer Szene des Films bei ebendiesem Blick in den Spiegel nicht sich selbst, sondern die Person, deren Hornhäute des Auges dafür verantwortlich sind, dass sie wieder sehen kann. Dadurch erhält sie die Erkenntnis, nach der sie suchte und wird sich ihres neuen, durch den Sehsinn maßgeblich bestimmten „Ichs“ bewusst. Sie begreift, dass die Toten und die Geister in ihrer Wahrnehmung und die Albträume von einem riesigen Feuer die Vorahnung eines grausigen Ereignisses sind, welches sie verhindern kann/muss.

SPOILER ENDE

Für den genreunkundigen Zuschauer birgt diese Story durchaus einige überraschende Wendungen und hält einen durchaus austangierten Spannungsbogen bereit. Wer jedoch mit Filmen nach dem Schema The Sixth Sense oder Final Destination vertraut ist, wird die Pointe schon nach der weit vorgreifenden Exposition riechen können. Immerhin kann The Eye mit einigen wirklich gelungenen Schockeffekten punkten, die hin und wieder von der doch arg strapazierten Logik des Films ablenken.

Allerdings kann sich Jessica Alba noch so sehr mühen, das große Vorbild - wenn es denn eines war - Naomi Watts, die mit ihrer großartigen Performance als verängstigte Frau in The Ring selbigen Film veredelte, bleibt unerreicht. Auch der in seiner Rolle als Arzt stets genervt wirkende Alessandro Nivola (Goal!, 2005) hinterlässt eher einen mittelprächtigen Eindruck.

Wenn denn schon jeder auch nur halbwegs erfolgreiche ostasiatische Horrorfilm von Hollywood der Vergewaltigung eines Remakes unterzogen werden muss, dann doch bitte wenigstens originell und gut gespielt. Das kann man von The Ring und mit Abstrichen von The Grudge durchaus behaupten, bei dem soliden, aber letztendlich mediokren The Eye jedoch nicht, da man sich ständig die Frage stellen muss, ob dieser Film, diese "amerikanisierte" Neuinterpretation eines Horrorstoffes nicht komplett überflüssig ist.

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