Aus: "Wer einmal mit dem Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment." macht Rudolf Thome nach dem Buch von Max Zihlmann in Rote Sonne ein Jahr nach dem zum Synonym gewordenen 1968: "5 Tage lang wird korpuliert, dann aber bitte massakriert." Ein Produkt dieser revolutionären Zeit, in der sogar heutige Politikprominenz Joschka Fischer mit einer Gruppe Aufständischer unter falscher Identität arbeitend die Nähe zum Proletariat im Opelwerk suchte, muß aber nicht zwanghaft den exploitativen Charakter eines Schockers haben, er kann auch als subtile Gesellschaftssatire auftreten.
Vier Mädchen haben sich als Gemeinschaft zusammen geschlossen und teilen nicht nur Wohnung, sondern auch eine alternative Lebensauffassung, wie es viele dieser Tage taten. Ihr Konzept scheint sich ähnlich dem mancher Kommunen parallel zur Gesellschaft zu entwickeln, niemandem ist es bisher aufgefallen, daß ihr Aufstand den Männern gilt, die sie als - zugegeben wunderschöne - schwarze Witwen erst in ihr Bett locken und später ermorden. Peggys (Uschi Obermaier) Bekanntschaft Thomas (Marquard Bohm) ist von Hamburg nach München getrampt und zieht in die WG, wo er langsam herausfindet, was dort abläuft.
Rein von der Handlung ist Rote Sonne sicherlich ein billigster Krimi, der aufgrund des vollständigen Fehlens von Spannung unscheinbar daher plätschert. Ohne freizügigen Sex kann der Film ausserdem nahezu keinen klischeebedingten Erwartungen entsprechen, die man an einen Skandal- oder gar Kultfilm der 68er Bewegung stellen könnte. Vielmehr deutet eine scharf beobachtende Zynik auf Individuen, die zwar gern nehmen und Andere gar des Egoismus bezichtigen, selber jedoch keine Gastfreundschaft erbringen können, obwohl es sich nicht einmal um ihr Eigentum handelt. Wirkliches Eigentum wird sogar bestimmt zurückgefordert.
Der Charakter Thomas stellt die Gemeinschaft in Rote Sonne nicht nur vor diese Herausforderung, sondern mischt sein Verlangen nach Öffnung für Neues mit erstaunlich konservativen Ansichten. Ausserdem ist er es letztlich, der die bisher vehementeste Verfechterin der aufgestellten Mordregel, Peggy, in Frage stellt, denn obwohl Thomas sein Verfallsdatum überschritten hat, denkt sie nicht daran, das zu tun, was sie kaltblütig von den anderen verlangt.
Es sind die Dinge, die uns heute so klein und selbstverständlich vorkommen, die jedoch zur damaligen Zeit eine schwerwiegende Bedeutung hatten. Rote Sonne steht nicht nur nahezu am Zündfunken einer Emanzipationsbewegung, der Film zeigt auch ganz nebensächlich und wertungsfrei zum Beispiel einen bereits mehrfach geschiedenen Amerikaner, thematisiert mit der neuen Macht der Frau allerdings auch offen, daß ein reicher Mann besser hätte geheiratet werden sollen, da sich nun nur die rechtmäßigen Erben an seinem Geld erfreuen würden. Wenn eine Leiche im dachauer Moor verscharrt werden soll, darf wohl auf eine sehr bewußte Ortswahl geschlossen werden.
Was mit der Bewegung letztendlich erreicht werden soll, darüber sind sich die Mädchen nicht sehr offensichtlich im Klaren. Da schnell eine Unruhe in den eigenen Reihen erzeugt werden kann, läßt sich ein wenig ausgeprägter Idealismus vermuten, dessen zerstörerische Folgen naiv in Kauf genommen werden. Vielleicht kann man ja etwas bewegen. Um etwas Publicity zu bekommen, läßt man da schon mal leichtfertig eine Bombe hochgehen.
Die Tragik besteht rückblickend darin, daß sich deutliche Ähnlichkeiten zur Realität wiederfinden und trotz der nachdenklich stimmenden, vielleicht mit der als Spaßfraktion verrufenen Kommune I, in der auch Obermaier zeitweilig residierte, als vereinbar anzusehende, offenen Kritik an den Revolutionisten selber, verschiedene Splittergruppen eine Eigendynamik entwickelten, die in Ausmaßen wie der RAF endeten.
Vor diesem historisch - interpretatorischen Hintergrund bietet Rote Sonne eine gewisse Tiefe, zeugt im Zusammenhang mit der für Uschi Obermaier in Vertragsverhandlung getretenen Kommune I von vorhandener Selbstreflexion, allerdings auch Unternehmergeist. Der aufgrund der provozierenden Skandälchen in seiner Zeit vielleicht funktonierende Film kann in der heutigen Zeit jedoch kaum derartige Stärken entwickeln. Zweifellos üben die damals noch bezaubernd schönen Mädchen einen Reiz aus. Trotzdem eignet sich Rote Sonne eher für eine Auseinandersetzung mit den späten Sechzigern und ihren Utopien, wie man es vielleicht mit amerikanischen Kommunen per T.C. Boyles Roman Drop City tut, als für den entspannten Fernsehabend.