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Ist es vorstellbar, dass in Deutschland wieder eine Diktatur entstehen kann ? - Eine Frage, die immer wieder den Geschichtsunterricht begleitet, sobald das Thema "Nationalsozialismus" auf dem Lehrplan steht und die dazu führte, dass das Buch "Die Welle" seit seinem Erscheinen in den 80er Jahren von unzähligen Schülern gelesen und diskutiert wurde.

Angesichts einer gewissen Lustlosigkeit, die inzwischen (nicht nur) die Schüler bei diesem Thema befallen hat, kommt der Film "Die Welle" zum richtigen Zeitpunkt in die Kinos, um das in den 60er Jahren in einer amerikanischen Schule durchgeführte Experiment - zeitgemäß aufgefrischt - wieder auf den deutschen Bürger los zu lassen. Geschickt spielt der Film gleich zu Beginn mit diesem Image, indem er das sofortige Aufstöhnen der Schüler zeigt, als Lehrer Rainer Wenger (Jürgen Vogel) in seiner "Autokratie" - Projektwoche nur einmal den Begriff "Nationalsozialismus" fallen lässt - "Nicht schon wieder das dritte Reich!"

Auch Wenger hatte sich die Woche ganz anders vorgestellt, denn eigentlich wollte er das Thema "Anarchie" bearbeiten, aber das hatte ihm ausgerechnet ein langweiliger, älterer Kollege zuvor weggeschnappt. Auf Wenger trifft eine solche Einordnung nicht zu, denn Jürgen Vogel spielt hier genau den Lehrer, den sich Schüler kurz vor dem Abitur wünschen - einen coolen, unangepassten Typen mit Hausbesetzervergangenheit, der sich von seinen Schülern duzen lässt und über eine natürliche Autorität verfügt. Der Mann hat seine Klasse im Griff und so fällt es ihm nicht schwer, das Thema "Autokratie" einmal ganz anders anzufassen - quasi als praktische Übung mit ihm als sofort anerkanntem Führer.

Parallel zu dem Beginn des Experiments entwirft Regisseur Dennis Gansel und Co-Autor Thorwarth eine soziale Klassenstruktur und einen Schulalltag, der sowohl in seiner filmischen Umsetzung wie Erzählstil mit den aktuellen Hollywood-Teenagerfilmen mithalten kann. Begleitet von fetziger Musik wird der Betrachter in einen hypermodernen Schulbau eingeführt, an dem die bekannten Schülertypen ihr Unwesen treiben.

Da gibt es die durchtrainierten Sportler der Wasserballmannschaft mit den beiden Protagonisten Marco (Max Riemelt) und dem türkisch stämmigen Sinan (Elyas M'Barek), die sich nicht leiden können und der Mannschaft damit schaden. Marco ist zudem mit der hübschen Karo (Jennifer Ulrich) zusammen, die in ihrer Klasse den Ton angibt. Dazu gibt es jede Menge Jungs, die sich mit Drogen und Autos die Zeit vertreiben, und natürlich den Loser, der gerne dazu gehören will und von diesen nur schamlos ausgenutzt wird - Tim, von Frederick Lau gespielt. Ähnlich sind auch die dazugehörigen Eltern kategorisiert, die sich in super-liberale 68er, reiche und für die Kinder keine Zeit habende oder asoziale Altvordere einteilen lassen.

Man spürt hier Thorwardts Handschrift, der schon in "Bang Boom Bang" sein Händchen für zeitgenössische Charaktere bewies und auch "Der Welle" gelingt es problemlos, den Betrachter in diese Welt einzuführen, ohne einen Moment das Tempo zu verlangsamen oder auch nur den geringsten Eindruck von deutscher Erzähl-Betulichkeit entstehen zu lassen - weiter entfernt vom "immer-wieder-ganz-ernsthaft-die Nazi-Zeit-durchnehmen" kann man gar nicht sein.

Stattdessen braust der Film von einer coolen Location zur nächsten und verdeutlicht dabei den langsam beginnenden Prozess der Veränderung. Lehrer Werner verordnet seinen Schülern zu Demonstrationszwecken eine Kleiderordnung und disziplinarische Verhaltensformen und schon nach zwei Tagen schlagen diese Muster durch. Die so definierte Gruppe unterscheidet sehr schnell nach Freund und Feind und während innerhalb der Gruppe soziale Unterschiede verschwinden, werden die Konfrontationen zu "denen da draußen" immer stärker.

Dank der klar definierten sozialen Strukturen zeigen sich sehr schnell die unterdrückten Gefühle, die plötzlich freien Lauf erhalten. Karo, die sich nicht dem Diktat unterwerfen will, muss erfahren, dass ihr ihre bisherige Rolle geneidet wird und ihre beste Freundin sie bekämpft, Marco und Sinan verstehen sich plötzlich bestens und vor allem der bisherige Loser Tim blüht regelrecht auf - wie auch viele Andere in der neuen Gemeinschaft ganz neue Interessen entwickeln.

"Die Welle" will getreu der Buchvorlage deutlich machen, dass auch die heutige Jugend nicht gegen die Verführung solcher Mechanismen gefeit ist und indem hier Abiturienten und ein "linker" Lehrer in den Mittelpunkt gestellt werden, wird damit auch dem Vorurteil widersprochen, das das nur eine Frage der Aufklärung und Bildung ist. Diese These ist berechtigt und wert überdacht und diskutiert zu werden. Nur stellt sich die Frage, ob der Film dabei wirklich nützlich ist.

Das die Charaktere plakativ und zugespitzt sind, ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass hier wenige handelnde Personen stellvertretend für gesellschaftliche Muster stehen, aber im Gegensatz zu einem Film wie "Bang Boom Bang", dessen ironischer Charakter überdeutlich ist, ist hier alles ganz ernst gemeint - und dabei schießt der Film über sein Ziel hinaus. Jürgen Vogel ist lange Zeit sehr überzeugend - auch in seiner Überraschung als ihm sein Experiment entgleitet - aber der Konflikt mit seiner Ehefrau und Kollegin (Christiane Paul) ist völlig unglaubwürdig. Als diese ihm eine Lust an seiner Führungsrolle vorwirft, wird er plötzlich kleinlich und von Minderwertigkeitsgefühlen geplagt, was in seiner bisherigen souveränen Vorstellung weder zu erkennen noch zu vermuten war. Hier wird geradezu verkrampft das Bild des "Führers" bestätigt, dessen Antrieb letztendlich nur im verborgenen Komplex liegt.

Viel offensichtlicher, aber deshalb nicht besser ist die Rolle von Tim gestaltet, der hier stellvertretend für die SA-Schläger steht, die sich in voreilendem Gehorsam der Partei unterordneten und ihre bisher minderwertige Stellung in der Gesellschaft endlich ablegen und es den Anderen mal zeigen können. Das Karo zu diesen gehört ist auch nicht überraschend, da sie die intellektuelle Tochter aus "linkem" Hause verkörpert, die nicht lange fackelt, um konkret Widerstand zu leisten. Dazu gibt es natürlich eine Menge Mitläufer, die von der "Macht" der Gruppe profitieren und deshalb mitmachen.

"Die Welle" wird mit ihrem an Hollywood-Filmen orientierten Stil jeden Fan klassischer Highschool-Filme begeistern können und sein Publikum erreichen, aber die eigentliche Thematik bleibt im typischen Strickmuster hängen und bestätigt sämtliche Vorurteile. Die nachvollziehbar plakativen Charaktere werden nicht genutzt, um auf attraktive Weise das Thema neu anzufachen, sondern kehren die eigentliche Intention des Buches um. Die hier dargestellten Konflikte sind - nimmt man mal den politischen Hintergrund weg - typisch und bekannt, so dass der Film eine Mixtur aus Erster Liebe, Machtstrukturgeschichten mit Party- und Eifersuchtsambiente und unterdrückten Einzelgängern darstellt, die wie in Erfurt irgendwann durchdrehen.

Das eigentliche Thema, das untersuchen will, ob aus dem normalen deutschen Alltag wieder eine Diktatur entstehen kann, geht dabei verloren, denn die hier geschilderten Ereignisse sind viel zu unrealistisch und zugespitzt, als dass sie eine Antwort darauf geben können. Wörtlich genommen könnte man das Thema nach dem Film ad acta legen, denn wenn es einer Konstellation wie der hier beschriebenen bedarf, dann wird nichts mehr passieren. In der Realität sind die verschiedenen Gruppierungen an den Rändern durchlässiger und fließender, die Charaktere weniger eindeutig, und es wäre tatsächlich interessant gewesen, zu überprüfen, ob auch dann eine solche Entwicklung möglich wäre.

Doch das hätte der Intention der Macher widersprochen, hier einen attraktiven, peppigen Film anzubieten, der ein großes Publikum ansprechen will und so bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. "Die Welle" wird auf Grund des hohen Bekanntheitsgrades und der folgenden Verbreitung ein scheinbar unliebsames Thema zeitgemäß vorstellen, aber dienlich ist es dem Thema in seiner zu vordergründigen Machart nicht. Und den Film nur auf seine attraktiven Film-Qualitäten zu reduzieren, ist angesichts der Offensichtlichkeit, mit der das Thema "Faschismus in der Gegenwart" als Deckmantel benutzt wird, auch nicht möglich (3,5/10).

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