Diejenigen, die sich die deutsche Übersetzung des Filmtitels "Akte X - Jenseits der Wahrheit " ausdachten, gingen gedanklich über den Film hinaus und gaben damit schon ihr Urteil ab. Denn strenggenommen heisst "jenseits der Wahrheit" , dass es nicht die Wahrheit ist, aber so genau meinten es die Werbefachleute sicherlich nicht, sondern wollten auf das Unerklärliche und Mysteriöse anspielen, dass bei "Akte X" bekanntlich mitschwingt. Dabei trifft der Originaltitel "Akte X - I want to believe" den Inhalt sehr genau, aber vielleicht war den hiesigen Verantwortlichen die wörtliche Übersetzung zu religiös angehaucht.
Das die Amerikaner da weniger Berührungsängste haben, ist dem Film jederzeit anzumerken, denn er steckt voller religiöser Symbole und lässt auch den Gedanken zu, dass sich hinter den unerklärlichsten Phänomenen der göttliche Wille verbergen könnte. Doch bis zu dieser Erkenntnis ist es ein steiniger Weg für Mulder (David Duchovny) und Scully (Gillian Anderson), die zehn Jahre nach dem ersten Film und sechs Jahre nach dem Ende der Serie, die Realität eingeholt zu haben scheint.
Dana Scully arbeitet als Ärztin in einem Krankenhaus, dass von einem Orden geleitet wird. Ihr besonderes Augenmerk gilt dem kleinen Christian, der an einer unheilbaren Krankheit leidet. Mitten in dieser Phase steht plötzlich das FBI vor ihr und bittet sie um ihre Hilfe. Die Beamten wollen wieder Kontakt zu Mulder herstellen, den sie vor Jahren aus dem FBI schmissen, und von dem sie sich Unterstützung bei einem unerklärlichen Fall erhoffen. Wer glaubt, Scully müsste jetzt in irgendein kleines Nest fahren, um zu dem Verschollenen nach Jahren wieder Kontakt aufzunehmen, irrt. Sie fährt einfach nach Hause, wo er sein eigenes Zimmer hat, indem er es sich inmitten alter Zeitungsausschnitte mit Vollbart eingerichtet hat.
An dieser Szene wird deutlich, wie unprätentiös sich der Film einem Geschehen nähert, dass knalliger und grausamer kaum sein könnte. Die Selbstverständlichkeit, mit der Scully und Mulder miteinander verkehren, irritiert geradezu, denn anstatt eines emotionalen Wiedersehens und darauf folgenden Zusammenraufens, plagen sich die Beiden mit Beziehungsproblemen und deuten in einem Nebensatz sogar an, dass sie einmal ein Kind hatten, dass gestorben sein muss. Mulder erwähnt das im Zusammenhang mit Scullys Engagement für den kranken Jungen, aber mehr wird im Film nicht dazu gesagt.
Diesem Charakter bleibt der Film in seiner gesamten Laufzeit treu, indem er kaum Erklärungen gibt, aber dabei von einer Ernsthaftigkeit ist, die ans morbide grenzt. Allein schon die Optik unterstreicht das, denn der Film spielt im tiefsten Winter inmitten hoher Schneemassen und gönnt dem Betrachter kaum einen Sonnenstrahl. Trotzdem bleibt der Mystery-Anteil verhältnismässig gering und konzentriert sich nur auf eine Person, während sich das sonstige Geschehen als eine Mischung aus Thriller und Alltagsleben entwickelt.
Der Mann, weshalb das FBI, in Person von Dakota Whitney (Amanda Peet), Mulder zu Hilfe ruft, ist katholischer Priester. Eine FBI-Agentin wird vermisst und Pater Joseph glaubt, dass sie entführt wurde, aber noch am Leben ist. Als Beweis für seine hellseherischen Kräfte, hat er auf einem grossen Feld unter den Schneemassen einen abgetrennten Arm gefunden, der aber nicht der Polizistin, sondern einem Mann gehörte. Die FBI-Agenten sind skeptisch, aber Dakota Whitney sieht darin die einzige Chance, ihre Kollegin zu retten, und erhofft sich von Mulder einen Zugang zu Pater Joseph und damit weitere Informationen.
Doch bei dem Priester handelt es sich um keinen ehrenwerten Mann, sondern um einen verurteilten Pädophilen, der in einer armseligen Unterkunft für Wiederholungstäter haust und vom Vatikan verbannt wurde. Selten wurde die Kirche in einem Hollywood-Film mit kritischeren Attributen versehen, denn auch die Ordensleute, die das Krankenhaus leiten, zeigen sich von ihrer egoistischen Seite, indem sie Scully die weitere Behandlung des Jungen verbieten wollen, weil sie diesen für einen hoffnungslosen Fall halten. Interessanterweise wirken die Geistlichen im Vergleich zu Scully, die darum Kämpft, an die Rettung des Jungen zu glauben, wie Ungläubige.
Die Spannung entwickelt sich einerseits wegen der fragwürdigen Gestalt, die zu Beginn von Scully abgelehnt wird, und andererseits daher, das noch mehr Menschen den skrupellosen Tätern zum Opfer fallen.Darin verbirgt sich die grösste Schwäche des Films, denn die Hintergründe der Morde erweisen sich als eine Mischung aus bekannten Szenarien und Unwahrscheinlichkeiten. Die Grausamkeit der Taten ist so gross, dass sie gleichzeitig den Betrachter auch wieder kalt lässt. Zudem bleiben sowohl die Täter als auch die Opfer anonym. Glücklicherweise nimmt dieses Szenario nur einen geringen Teil der Handlung ein, die sich hauptsächlich auf ihre beiden Protagonisten stützt.
Nicht ganz unproblematisch ist dabei sicherlich der Fakt, dass der Film sich keine Mühe bei der Charakterisierung gibt, sondern Vorwissen über die beiden Hauptdarsteller und ihre jeweiligen Eigenarten voraussetzt. Allerdings reiht sich ein eventuell fehlendes Wissen in das gesamte Geschehen ein, dass zum Schluss mehr Fragen stellt als Antworten gibt. Darin liegt wiederum die grösste Qualität des Films verborgen, auch wenn die meisten Betrachter - auf Grund der geschürten Erwartungen an einen spannenden Unterhaltungsfilm - diesen Fakt eher kritisch sehen werden.
In nahezu jeder Beziehung entlässt der Film den Zuschauer mit ambivalenten Gefühlen und das darin auch die Option erhalten bleibt, dass in einem pädophilen Mann ein göttlicher Funke bestehen kann, lässt den Mut erkennen, der darin liegt, den Zuschauer am Ende nicht mit klaren Verurteilungen zu versöhnen. "Akte X - Jenseits der Wahrheit" wurde nicht annähernd der bequeme Thriller, den die meisten erwarteten, sondern ist ein überraschend ernsthaftes, düsteres Werk, das mehr Probleme aufwirft als Lösungen anbietet (7,5/10).