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Science Fiction Filme haben, wenn sie ihre Zukunftsschilderung an einem Datum festmachen, meist ein begrenztes Haltbarkeitsdatum. Spätestens wenn diese Zukunft zur Vergangenheit wird, verliert der Film einen erheblichen Teil seiner ursprünglichen Wirkung. „Strange Days“ versetzte seine Handlung nur etwa vier Jahre in die Zukunft und schildert die Ereignisse um die Jahrtausendwende. Knapp 10 Jahre danach wirken die paranoiden Vorstellungen über den Übergang in das neue Jahrtausend, die damals das Denken beherrschten, eher lächerlich, nachdem es sich zeigte, dass der Fortgang der Welt kaum von einem kalendarischen Datum abhängig ist.

Nur schadet das „Strange Days“ nicht, auch wenn Regisseurin Kathrin Bigelow und ihr damaliger Mann James Cameron, der für das Drehbuch zuständig war, schon ein wenig mit der Anziehungskraft des 01.01.2000 spekulierten, dass sich als Grundlage für ein hoch gepushtes Geschehen geradezu anbot. Letztlich diente das Datum nur als Kulminationspunkt, an dem die Ereignisse in einer Art Höhepunkt explodieren. Was danach kommt, interessiert in „Strange Days“ Niemanden, denn in dem Moment, in dem das neue Jahr eintritt, endet die Story. Aus diesem Grund bleibt die Wirkung des Films bis heute erhalten, denn auch im Rückblick wirkt der Beginn des neuen Jahrtausends als schlüssige Voraussetzung für das Ende eines Countdowns.

Vielleicht liegt es auch daran, das es sich bei „Strange Days“ weniger um einen Science-Fiction-Film handelt, sondern mehr um eine realistische Studie über die Unfähigkeit sich dem wirklichen Leben zu stellen. Dabei nutzt der Film ein futuristisches Element, dass es bis heute so nicht gibt. Die Geräte, die die Gehirnströme eines Menschen aufnehmen können, um es anderen Menschen zu ermöglichen, deren Erlebnisse und Empfindungen real nachempfinden zu können – sich sozusagen wie diese zu fühlen – nehmen das Ende einer Entwicklung voraus, an der bis heute gearbeitet wird. Ein Mann kann sich wie eine Frau fühlen, ein sexueller Akt kann virtuell beliebig oft wiederholt werden und man kann die gefährlichsten Abenteuer erleben, während man gemütlich zu Hause auf dem Sofa sitzt. Dass der letzte Schritt zur Gefühls-Authentizität bis heute noch nicht vollzogen ist, ändert nichts daran, dass die jetzt schon verfügbaren Medien keine andere Funktion haben.

Für die Story selbst ist diese Technologie auch keineswegs notwendig, denn die Bilder, die letztlich die Geschichte vorantreiben, weil sie Zeugnis von Verbrechen geben, könnten heute mit jedem Handy realisiert werden. Nur die emotionale Ebene kann damit zugespitzt in ihrer Sucht bringenden Wirkung verdeutlicht werden. Wem aber würden, wenn er des grinsenden Gesichts von Lenny Nero (Ralph Fiennes) beim Anblick eines selbst gedrehten Clips Gewahr wird, nicht auch andere Drogen einfallen? - Spätestens zu diesem Zeitpunkt, wenn er sich in seine heruntergekommen Wohnung begibt, um noch einmal Erlebnisse mit seiner früheren Freundin Faith (Juliette Lewis) nachzuempfinden, hat seine Person jegliche Coolness verloren.

Die Figur Lenny Nero ist signifikant für den Film „Strange Days“ und steht für dessen ungewöhnlichen, in keine Schublade passenden Charakter. Der Film beginnt mit einem Clip, bei dem der Betrachter in die Rolle eines Diebes schlüpft, der bei der Flucht tödlich verunglückt. Verärgert reißt sich Lenny den Apparat, mit dem er den Clip ansah, vom Kopf, weil er solche Todesfilme nicht leiden kann und auch nicht verkaufen will. „Strange Days“ stürzt sich ohne Erklärungen ins Geschehen und die Zusammenhänge ergeben sich erst mit der Zeit. Lenny wirkt zu Beginn wie ein cooler Typ, der mit der verbotenen Technologie handelt. Die Interessenten sind dagegen verklemmt und ängstlich, während er für alles einen guten Spruch hat. Dazu legt er Wert auf sein Outfit und seinen teuren Wagen, doch seine Demontage lässt nicht lange auf sich warten.

Merkwürdigerweise wird Fiennes Leistung in dieser Rolle bis heute nicht gewürdigt. Vielleicht weil der gesamte Film durch seine Vermengung von Thriller- und Krimielementen, der futuristischen Technologie und des tiefen Blicks in die Abgründe der menschlichen Seele, sehr laut, schnell und manchmal nach Sensationen heischend daher kommt. Dabei machen die leisen Zwischentöne erst den Film aus und Fiennes Gestaltung des Lenny Nero ist dabei entscheidend. Ihm gelingt es, einer unzuverlässigen, sich permanent selbst überschätzenden Figur Sympathie zu verleihen, ohne die negativen Seiten dabei abzuschwächen. Es gibt viele Filme, in denen vermeintliche Loser sich verändern und zu Helden werden, aber Lenny wird hier kein anderer Mensch, sondern wächst im nachvollziehbaren Rahmen über sich hinaus.

Zu verdanken hat er das Maze (Angela Bassett), seinem weiblichen Schutzengel, die zu Beginn wie eine Nebenrolle wirkt, aber zunehmend zur führenden Rolle wird. Auffällig in „Strange Days“ sind die sich verändernden Charakterisierungen, die fast sämtlichen der handelnden Figuren mit der Zeit ein anderes Gewicht geben. Das wird so schlüssig geschildert, dass es auch beim wiederholten Ansehen des Films nichts von seiner Wirkung verliert, sondern nur noch deutlicher werden lässt, wie sehr man als Betrachter gewohnt ist, in Stereotypen zu denken. Der Kriminalfall, der hier seine tödliche Wirkung verbreitet, ist dabei von untergeordneter Funktion, hat aber den Nachteil, dass er zu sehr davon ablenkt, dass es in „Strange Days“ vor allem um menschliche Emotionen geht. Der Film wandelt sich immer mehr von einer reißerischen, bewusst finster angelegten Story zu einer anrührenden Liebesgeschichte. Und dazu passt, dass alles, was so groß und Furcht erregend erschien, sich letztlich als klein und privat erweist. In dieser Weitsicht war der Film im Hinblick auf den 01.01.2000 geradezu prophetisch.

„Strange Days“ hinterlässt in seiner optischen Wirkung vordergründig einen uneinheitlichen Eindruck, da er wie ein Actionfilm beginnt, vor sadistischen Darstellungen nicht zurückschreckt, aber letztlich in seiner Innenbetrachtung verschiedener menschlicher Schicksale nahezu intim ist. Das hohe Tempo lässt dabei nie nach und scheint alles zu überdecken, aber das zunehmend Staccato der Bilder kurz vor der Jahrtausendwende ist eine gelungene optische Umsetzung einer allgemeinen Verunsicherung und der Film verschweigt trotz seines versöhnlichen Endes nicht seine pessimistische Grundhaltung. Es bedarf vielleicht noch ein wenig Zeit, bis man die Qualitäten dieses ungewöhnlichen Films entdeckt (9/10).

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