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In "Vertigo" wird eine scheinbar verstorbene Frau auf Wunsch des Zurückgebliebenen durch eine Andere, die dieser frappant ähnelt, ersetzt, bis dieser zunehmend unsicherer wird, ob nicht beide Frauen doch identisch sind. Lebt die Tote immer noch ?

Regisseur und Autor Ole Bornedal, der in den 90ern durch "Nightwatch" weit über die Grenzen Dänemarks bekannt wurde, nutzt Hitchcocks Ideen zu einer veränderten Konstellation. Die in diesem Fall weibliche Zurückgebliebene, Julia (Rebecka Hemse), hat auf Grund eines Unfalls ihr Augenlicht und ihre jüngsten Erinnerungen verloren, weshalb sie nichts mehr von ihrer Beziehung mit Sebastian weiß. Jonas (Anders W. Berthelsen) gerät eher gegen seinen Willen in die Rolle des Sebastian, findet aber zunehmend Gefallen daran, bis er nicht mehr daraus ausbrechen kann. Durch seinen Freund und Polizeikollegen Frank (Dejan Cukic) erfährt er, das der wirkliche Sebastian, bei dem es sich um einen gewalttätigen Drogenkurier handelte, in Vietnam ermordet wurde.

Die Parallelen zu Hitchcock liegen in dem stark subjektiven männlichen Blickwinkel, aus dem die Story erzählt wird, auch wenn dieser genau den gegensätzlichen Standpunkt einnimmt. Während in "Vertigo" der Zuschauer mit James Stewart über die Rolle der doppelten Frau im Unklaren ist, liegt die Rätselhaftigkeit hier im Vorleben der Julia, über die der zweite Sebastian nichts weiß. Und ist der echte Sebastian wirklich tot ?

Was wie eine fantastische Geschichte klingt, bekommt bei Bornedal eine realistische Anmutung, denn er bettet seine von Psycho-Thriller-Elementen geprägte Story in die dänische Gegenwart, die normaler nicht sein könnte.
Wie schon in "Nightwatch" ist zwar auch hier der Tod allgegenwärtig, genauso wie das Leichenschauhaus mit einer Vielzahl nackter Leichen sowie knackende Knochen im Hintergrund gezeigt werden. Das ist als ironisches Zitat an seinen früheren Film zu verstehen, aber in "Bedingungslos" ist das nur Teil von Jonas' Job als Polizeifotograf. Das Bornedal diesen Hintergrund nicht für eine dämonische Story nutzt, sondern im Gegenteil diesen Job fast nebenbei in seiner Normalität beschreibt, ist signifikant für diesen Film, der eher wie eine Sozialstudie der bürgerlichen dänischen Gesellschaft beginnt.

Jonas wohnt mit seiner Frau Mette (Charlotte Fich) und seinen zwei Kindern in einer Wohnung in einem unpersönlichen modernen Stadtteil von Kopenhagen. Ihre Hauptprobleme liegen darin, ob sie sich endlich einen neuen Wagen kaufen sollen oder das es zunehmend schwieriger wird, Sex zu haben, ohne das die Kinder sie dabei stören. Als die Familie mit ihrem alten Auto unterwegs ist, bleibt dieses nicht ganz überraschend auf der Strasse liegen. Julia, die offensichtlich nicht ganz bei sich ist, bemerkt das stehende Fahrzeug zu spät und stösst beim Versuch dieses zu überholen mit einem entgegenkommenden Wagen zusammen. Jonas, der ihr zu Hilfe eilt, ist augenblicklich fasziniert von dieser Frau.

Glaubwürdig gelingt es Bornedal ein Szenario zu entwickeln, warum ein durchschnittlicher Mann plötzlich aus seinem solide geführten Alltag ausbricht. Gut ist in diesem Zusammenhang die Person des Hauptdarstellers Anders W. Berthelsen gewählt, der zwar sympathisch und locker wirkt, aber gleichzeitig wenig dynamisch und bestimmend. Als er frech vor dem Krankenhauspersonal behauptet, Julias Freund zu sein, um zu ihr vorgelassen zu werden, ist sein Potential an Mut schon erschöpft. Ab diesem Zeitpunkt ist sein Handeln nicht mehr selbstbestimmt, denn er begegnet Julias sehr reicher Familie, die ihn freudig als Sebastian begrüsst, den Julia in Vietnam kennengelernt hatte.

In dieser Konstruktion sind auch wieder deutlich die Parallelen zu Hitchcocks "Vertigo" zu erkennen. Jonas verliebt sich zwar in Julia, aber er wird - ähnlich wie Kim Nowak - zu seiner Rolle als Ersatz gezwungen, wenn auch ohne das Wissen der ihn dazu Überredenden. Gleichzeitig ist darin auch Bornedals inszenatorische Eigenständigkeit zu erkennen, der geschickt übliche Elemente vermischt. Jonas, der bürgerliche Mann, der sich korrekt, wenn auch wenig sensibel, von seiner Frau trennt, bleibt trotz aller Fürsorge und Liebe für Julia ein Betrüger, während Julia, die Femme Fatal aus reicher Familie, in ihrer Art und Ausdruckform von frappierender Ehrlichkeit ist.

Bornedal verbindet in "Bedingungslos" geschickt den normalen dänischen Alltag, eine fatale Liebesgeschichte und eine seltsame Dreiecksgeschichte zu einem äusserst spannenden Thriller - ungewöhnlich erzählt, effektvoll in Szene gesetzt und in seiner sperrigen Konsequenz beeindruckend. Nicht mehr so einfach strukturiert wie "Nightwatch" und weniger leicht konsumierbar, aber nachhaltiger in seiner Wirkung (8/10).

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