"Fango bollente" (wörtlich "Heisser Schmutz") verdeutlicht, ähnlich wie der zeitgleich entstandene "L'uomo della strada fa giustizia" ("Der Mann auf der Straße sorgt für Gerechtigkeit"), wie stark die gesellschaftliche Situation Italiens Mitte der 70er Jahre Einfluss auch auf die Filme genommen hatte, die unter Verwendung reißerischer und schockierender Elemente auf reine Unterhaltung setzten. "Fango bollente" funktioniert in dieser Hinsicht auf mehreren Ebenen, da er einerseits als klassischer "Giallo" die Suche des Commissarios nach den Serienmördern beschreibt, dazu über brutalste Elemente verfügt - von einem rituellen Mord an einem Zuhälter und seiner Prostituierten, über Vergewaltigung bis zur Tötung einer nackten Schönen mit einem Gabelstapler - andererseits seine Story in ein sehr realistisches Umfeld einbettet, die eine bis heute aktuelle gesellschaftliche Kritik übt.
Vielleicht lag dieses kritische Szenario Mitte der 70er Jahre in Italien, während das Land von terroristischen Attentaten erschüttert wurde, einfach in der Luft, weshalb Regisseur und Drehbuchautor Vittorio Salerno es bewusst als Hintergrund wählte, um seiner Story noch zusätzliche Brisanz zu verleihen, aber das ändert nichts an der stringenten, immer nachvollziehbaren Entwicklung der Story, die zudem von zwei überzeugenden Protagonisten lebt, die hier als Gegenspieler fungieren.
Da ist zum Einen Ovidio Mainardi (Joe Dallesandro, ein us - amerikanischer Darsteller, der aus Andy Warhol's Factory stammte und dort als männliches Nacktmodell berühmt wurde), der als Techniker in einer Computerfabrik arbeitet. Auch wenn die veralteten Geräte heute einen steinzeitlichen Eindruck hinterlassen, ändert das nichts an der Modernität in der Betrachtung des Arbeitslebens. Sowohl die umgebende Architektur, als auch Kleidung und Arbeitsklima haben bis heute an Aktualität nichts verloren, wenn auch der pessimistische Blick auf die Eintönigkeit der Tätigkeit, die der Film hier beschreibt, sicherlich einer damals vorherrschenden Skepsis vor der neuen Technik entsprang.
Sehr gelungen ist in diesem Zusammenhang die Szene, in der Commissario Santaga das erste Mal auftaucht. Der gehbehinderte, ältere Beamte befindet sich in einem Vortragsraum der Computerfirma, wo er als Vertreter der Polizei in die neue Technik eingewiesen werden soll. Nachdem der Vortragende seine von Fachbegriffen geprägte Rede beendet hatte, stellt ihm der Commissario eine ebenso verschlüsselte Frage. Dafür bekommt er wegen seiner Mitarbeit viel Lob, eine Antwort erhält er natürlich nicht, denn so offensichtlich es ist, dass seine Frage nur Fachwissen vortäuschte, so wenig war der Vortragende in der Lage, dass zu durchschauen. Diese ironische, seine Umwelt jederzeit entlarvende Sprache behält der Commissario über die gesamte Spielzeit bei, was dem Film eine angenehm humorvolle Komponente verleiht.
Als sich die beiden Protagonisten bei dieser Gelegenheit das erste Mal begegnen, lag der erste mörderische Akt schon zurück, wurde aber noch nicht als solcher betrachtet. Mainardi hatte, nachdem er in seiner Firma ein Experiment mit weißen Mäusen betrachtet hatte, spontan diese Erfahrung bei einem Fussballspiel von Juventus Turin umgesetzt. Der Zusammenhang zwischen dem Aggressionsverhalten von eingesperrten weißen Mäusen und Fußballfans in einem vollen Stadion, wirkt im ersten Moment etwas vereinfacht, bekommt aber hinsichtlich der Vorkomnisse im Brüsseler Heysel-Stadion 10 Jahre später, bei dem 39 Fans von Juventus Turin starben, eine tragische, vorausschauende Komponente. Mit zwei Freunden hatte Mainardi eine Kettenreaktion ausgelöst, die eine Schlägerei provozierte, bei der ein Mann stirbt, während er das Stadion schon wieder verlassen hatte, um ein Auto zu stehlen. Mit diesem verursachen die drei Männer weitere Unfälle bis sie zwei Motorradfahrer mit einer geöffneten Tür herunterholen, um mit deren Maschine zu fliehen.
Für die Polizei stellt der tötliche Unfall im Stadion kein krimineller Akt dar, aber auch die Diebstähle und Unfälle werden nicht aufgeklärt, da sie nur, wie üblich, Immigranten und politischen Aktivisten in die Schuhe geschoben werden. Commissario Santaga vermutet als Einziger einen Zusammenhang, wird aber von ignoranten und selbstgefälligen Kollegen und Vorgesetzten nicht ernst genommen. Die Parallelen zu "L'uomo della strada fa giustizia" in der generellen Beschreibung einer aggressiven Gesellschaft sind offensichtlich, gehen aber in ihrer Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft weit darüber hinaus, was auch zum eigentlichen Auslöser der Serienmorde führt. War die Aktion im Stadion noch spontan, führt eine Auseinandersetzung im Straßenverkehr zum ersten Mord. Nach einem Beinaheunfall mit einem LKW kommt es auf der Straße zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Fahrer und den drei Kollegen, bei der Mainardi den Fahrer mit einem Schraubenzieher tötet.
Als die Drei merken, dass ihnen immer noch Niemand, obwohl der Mord mitten am Tag auf einer öffentlichen Straße begangen wurde, auf die Schliche kommt, beginnen sie gezielt ihre Taten auszuführen. Parallel zur wachsenden Brutalität ihrer Vorgehensweise, vertieft der Film deren gesellschaftlichen Hintergrund, der drei Typisierungen hervorbringt. Mainardi, verheiratet mit einer attraktiven Ärztin, die ihn aus Karrieregründen betrügt, gehört zur Oberschicht, während sein aus Italiens Süden stammender Kollege Teil einer Großfamilie ist, die in einem heruntergekommenen Mietshaus lebt. Allerdings schämt er sich für diese Verwandtschaft. Der Dritte lebt noch bei seiner Mutter, die ein strenges Regime in ihrem Haushalt führt. Es ist bemerkenswert, mit welcher Fülle an Details der Film - trotz seiner verhältnismässig kurzen Laufzeit - aufwartet und damit eine Komplexität entwickelt, die direkte Klischees vermeidet.
Die Taten selbst erschliessen sich nicht aus dem jeweiligen individuellen Hintergrund der drei Männer, sondern werden hier nur als Folge von Langeweile, Monotonie und einer ständigen unterschwelligen Aggression geschildert, aber die unterschiedliche Herkunft führt zu verschiedenen Reaktionen, als sich doch langsam die Schlinge der Polizei, gezogen von Commissario Santaga, zuzieht. Als Mainardis Kollege, schon wegen einer Phantomzeichnung nervös geworden, nach Hause kommt und dort die Polizei antrifft, flieht er und wird überwältigt. An dieser Szenerie wird die Intelligenz des Films deutlich, denn die Polizei war nicht seinetwegen dar, sondern wollte auf Veranlassung des Besitzers das Mietshaus räumen lassen.
"Fango bollente" gelingt es mühelos, seine schnelle, jederzeit unterhaltende Story mit der Beschreibung einer egoistischen, dummen und aggressiven Gesellschaft zu kombinieren. Obwohl die Morde der drei Männer detailliert geschildert werden, verhindert er damit deren Dämonisierung, da er sie als logische Reaktion auf ihre Umwelt erscheinen lässt. Einzig Commissario Santaga kann in seiner zynischen Art noch Sympathiepunkte sammeln, aber auch er irrt letztlich, denn in einem Punkt ist sich der italienischen Film in seiner Beschreibung der Realität der 70er Jahre einig - egal ob künstlerisch und politisch engagiert oder einfach auf Unterhaltung zielend - es gibt keine Lösung (9/10).