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Stumpfe Krallen aus Edelstahl

Logan ist ein Kämpfer. Die phantastisch montierte Anfangssequenz zu den Opening Credits zeigt ihn zusammen mit seinem Bruder Victor bei einer blutigen Hatz durch die amerikanische Kriegsgeschichte. Ob Bürgerkrieg, die beiden Weltkriege oder Vietnam, stets kämpfen die beiden an vorderster Front und überleben auch die fürchterlichsten Gemetzel wie Verdun oder Omaha Beach. Das Geheimnis heißt Mutation. Neben übermenschlichen Kräften liegt ihre Stärke vor allem in ihrer unglaublichen Regenerationsfähigkeit. Selbst an sich tödliche Schussverletzungen heilen in Windeseile. Verständlicherweise ist es nur eine Frage der Zeit, bis das US-Militär die beiden als Geheimwaffe für Spezialaufträge entdeckt.

Wolverine
ist ein Spinn-off der überaus erfolgreichen X-Men-Trilogie. Die Idee, Logan einen eigenen Superheldenfilm zu widmen, kommt wenig überraschend. Der animalische Mann mit den Stahlkrallen ist zweifellos der populärste Charakter der langlebigen Comic-Serie. So durfte der kernige Australier Hugh Jackman ein viertes Mal die Zähne fletschen und im Feinripp-Unterhemd seine stählernen Muskelpakete präsentieren. Endlich sollte man erfahren wie aus Logan der Misanthrop Wolverine wurde. Welch dunkles Geheimnis zu seiner inneren Zerrissenheit und immer wieder durchbrechenden rohen Wildheit führte. Aber wollen wir das wirklich alles im Detail serviert bekommen? Schon einmal wurde ein, wenn auch ungleich dunklerer, filmischer Antiheld durch ein erklärungswütiges Prequel entmystifiziert. Den dunklen Lord der Sith als neunmalklugen Dreikäsehoch zu erleben, hat an der Aura eines der berüchtigsten Filmschurken jedenfalls deutliche Kratzer hinterlassen.

Um es kurz zu machen: X-Men Origins: Wolverine tappt leider ähnlich ungestüm in die dieselbe offensichtliche Falle. Auch hier wird der Urtrilogie nachträglich aus rein monetären Motiven mehr Schaden als Nutzen zugefügt. Wurde Wolverines Vergangenheit in den ersten beiden X-Men-Filmen durch Erinnerungs- bzw. Bildfetzen lediglich angedeutet und in einem faszinierendem Halbdunkel belassen, so hakt das Prequel lediglich strichlisten- und schlaglichtartig eine Reihe traumatischer Erlebnisse aus Logans Biographie ab. Der Zuschauer wird von diesen Ereignissen wenig bis kaum mitgerissen, geschweige denn emotional berührt. Das ist umso erstaunlicher, da es sich hier um Themen wie Vatermord, geschwisterliche Hass-Liebe, Aussenseitertum aufgrund genetischer Anomalien, Verlust eines geliebten Menschen sowie Missbrauch für wissenschaftliche Experimente handelt. Die Tragik und Komplexität einer solchen Figur in den Rahmen eines actionlastigen Sommer-Blockbusters einzubetten hat die Fähigkeiten des südafrikanischen Regisseurs Gavin Hood offenbar heillos überfordert. Dass dieser Spagat nicht zwangsläufig misslingen muss, bewies unlängst Christopher Nolan mit The Dark Knight .

Ein weiteres Problem ist sicherlich beim Hauptdarsteller zu suchen. So ist der ehemals Sexiest Man Alive einfach zu brav und sympathisch für den aggressiven Soziopathen Wolverine. Zwar verkörpert Jackman perfekt die kraftstrotzende und „anständige" Seite seines Charakters, scheint allerdings bei dessen düsteren Facetten mit seinem darstellerischen Latein recht schnell am Ende. Ein Problem, das bereits bei Nolans Magier-Thriller Prestige zu beobachten war. Besonders deutlich wird dies durch seinen filmischen Widersacher Liv Schreiber. Bei Logans Bruder Victor siegt die dunkle Seite der Macht. Schreiber liefert eine grandiose Vorstellung als mordlüsterner, verschlagener und doch gequälter Sabretooth und verleiht seiner Figur genau die perfekt austarierte Mischung aus Bedrohlichkeit, Zerrissenheit und animalischer Wut, die Jackman für Wolverine nicht zu vermitteln vermag.

Trotz dieser inhaltlichen und dramaturgischen Schwächen ist Wolverine kein Totalausfall. Verabschiedet man sich vom Anspruch eines interessanten und fundierten psychologischen Profils der Titelfigur, so bekommt man immerhin noch eine recht flott erzählte und mit einigen Schauwerten auftrumpfende Comicverfilmung geboten. So wartet Logans erste verdeckte Mission mit einem Haufen zusammengetrommelter Mutantenkollegen mit ein paar knalligen Actioneinlagen auf. Auch die brachialen Zusammenstöße mit Sabretooth sowie die diversen Versuche des US-Militärs ihres abtrünnigen Spezialagenten habhaft zu werden, können sich durchaus mit vergleichbaren Produktionen messen.

Insgesamt ist das Gebotene aber vor allem vor dem Hintergrund der ersten beiden X-Men-Filme dann doch etwas zu wenig. Welch dramatisches Potential vorhanden gewesen wäre, ist insbesondere im düsteren Schlussakt zu spüren. Als Logan sich nach der Ermordung seiner Freundin doch noch von dem zwielichtigen Colonel Stryker für dessen Geheimwaffenprojekt „X" instrumentalisieren lässt. Als sein Skelett in einer Frankensteinschen Gruselsequenz mit dem unzerstörbaren Metall Adamantium versehen wird. Als das Mutantenraubtier gezähmt, manipuliert und für politisch-militärische Zwecke auf sämtliche Feinde des Landes losgelassen werden soll. Als diese Prozedur Logans dunkle Urgewalt erst entfesselt und einen blutigen Rachefeldzug starten lässt. All diese Steilvorlagen werden allerdings von der uninspirierten Regie hartnäckig ignoriert.
Am Ende bleibt ein recht kurzweiliges aber oberflächliches Abenteuer des physischen Kämpfers Wolverine. Von seinen inneren Dämonen und Konflikten erfährt und spürt der Zuschauer leider kaum etwas. Hier hätte man sich weitaus schärfere Krallen gewünscht, als diese routinierte Comicverfilmung von der Stange auszufahren weiß.

(5,5 Punkte)

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