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Die Zeit war einfach reif. Filmlegende Clint Eastwood („Kelly's Heroes”, „Dirty Harry”) musste viele Jahre warten, um endlich das Alter zu erreichen, in dem er dem Genre, aus dem er quasi mit Sergio Leones „Dollar“ – Trilogie geboren wurde, ein würdiges Denkmal setzen konnte. „Unforgiven“ ist in vielerlei Hinsicht ein Meisterwerk und trotz solcher Regiearbeiten wie „Mystic River“ wohl auch Eastwoods wichtigster Film überhaupt.

Mit einfachen Textzeilen führt er hier in das Geschehen und lässt es schließlich ausklingen, zeigt einen Westen, der kalt, ungemütlich und gefährlich ist. Hier lebt Eastwood alias William „Bill“ Munny als Witwer zusammen mit seinen beiden Kindern mitten in der kargen Einöde. Der Schweinezüchter ist ein ehemaliger skrupelloser Killer, der weder vor Frauen noch vor Kindern Halt machte. Der Whiskey half ihm stets seine Taten zu verdauen bis er von seiner Frau geläutert wurde. Doch die ist nun schon seit Jahren tot und er fristet ein erbärmliches, armes Leben, muss sich im Schweinepferch im Dreck sudeln, zusehen wie sein Vieh krepiert und in seinem vegetativen Zustand harren. Die Zeit der Revolverhelden ist vorbei sagt Clint Eastwood eindeutig aus.

Würde Munny nicht von Eastwood gespielt werden, wäre „Unforgiven“ sicherlich nur halb so gut. Mit seinen ehemaligen Paraderollen im Hinterkopf gewinnt der Film erst an Extraklasse. Da sieht man einen ehemaligen Revolverhelden, gealtert und zermürbt von der Trauer sein elendiges Dasein fristen. Ein Mann, der es verlernt hat auf ein Pferd zu steigen und im Sattel zu sitzen, der mit dem Revolver nicht mehr trifft und deswegen zur großkalibrigen Schrotflinte greifen muss, ein Mann den einfach die Zeit eingeholt hat. Eastwood ist sich seiner Vergangenheit selbstverständlich bewusst und demontiert hier geradezu mit minimaler Mimik und den von ihm gewohnt wenigen Worten seinen eigenen Mythos auf unbeschreibliche Art und Weise.

Nun schaut bei ihm eines Tages der junge Heißsporn Schofield Kid (Jaimz Woolvett, „Sanctuary“, „Red Water“) vorbei, der auf Geheiß seines Vaters den ehemaligen, skrupellosen Killer um Unterstützung bittet, um das auf zwei Cowboys ausgesetzte Kopfgeld zu kassieren. Eine legitime Sache an sich: Die beiden haben einer Hure das Gesicht aufgeschlitzt, weil die sich über das lütte Ding zwischen den beiden amüsierte. Munny lehnt zunächst ab, macht sich dann aber doch auf, um Kid zu folgen.

„Unforgiven“ ist selbstverständlich von Eastwood kompetent inszeniert, die wahren Stärken finden sich aber im exzellenten Drehbuch von „Blade Runner” - Autor David Webb Peoples („The Blood of Heroes”, Soldiers”) und den ebenso überragenden Schauspielern. Da ist in erster Linie erst mal Munny, der seinen voreiligen Entschluss einzig und allein noch mal überdenkt, um seinen beiden Kindern eine bessere Zukunft zu garantieren. Nach einer Konstante suchend, wendet er sich an Ned Logan (Morgan Freeman, „The Shawshank Redemption”, „Se7en”), einen ehemaligen Weggefährten, der jetzt mit seiner indianischen Frau ebenfalls ein, wenn auch nicht luxuriöses, aber friedliches Leben nachgeht. Widerwillig zieht er mit ihm.
Ned Logan verkörpert hier die tragischste Rolle. Er ist ein Mann, der mit der Vergangenheit abgeschlossen hat, im Alter ein neues Kapitel aufgeschlagen hat und sich im Gegensatz zu Munny seine Sünden verziehen hat. Deswegen kann er auch nicht mehr töten und bricht das Unternehmen ab. Damit ist er der einzige im gesamten Film, der ein besserer Mensch geworden ist und dafür postwendend die Quittung bekommt.
Schofield Kid hingegen ist gleich im doppelt kurzsichtig. Er ist ein Junge, der sich und anderen trotz seiner Sehbeeinträchtigung etwas vormacht, der in Illusionen verhaftet seinen Vorbildern nacheifern will und stets davon träumt einer der Helden zu sein, von denen an Lagerfeuern immer erzählt wird. Doch solche Helden gibt es nicht, wie er spät feststellen muss. Ihre Auftragsmorde, soviel sei verraten, gelingen, aber wie ist die Frage. Das erste Opfer stirbt qualvoll in der Wüste an einem Bauchschuss und der Zweite wird kaltblütig aus nächster Nähe auf dem Klo erschossen. Daran ist nichts Heldenhaftes und das muss auch Kid feststellen. Seine Entdeckung ersäuft er umgehend im Alkohol.
Little Bill Daggett (Gene Hackman, „Crimson Tide”, „Heist”), der Sheriff von Big Whiskey, bemüht sich die Kirche im Dorf zu lassen, was ihm die Huren mit dem fürstlichen Kopfgeld natürlich nicht leicht machen. Daggett gehört zu der Fraktion ausgedienter, müder Revolverhelden, die sich an ihre Vision von friedfertiger Sesshaftigkeit klammern. Er plant den Umbruch und setzt Frieden mit Gewalt durch (Waffenverbot in „seiner“ Stadt“), notfalls auf Kosten anderer, doch sein Versuch eine neue Existenz aufzubauen (symbolisch seine Qualitäten als Zimmermann beim eigenen Hausbau) sind zum Scheitern verurteilt. Deshalb kommt auch bei ihm später sein wahres Gesicht wieder zum Vorschein. Back to the roots heißt es auch für ihn. Die Probleme können nicht „sauber“ gelöst werden, also wird Gewalt als Mittel zum Zweck eingesetzt, um die Ruhe wieder herzustellen.
Ganz anders da English Bob (Richard Harris, „A Man Called Horse”, „Juggernaut”). Der englische Revolverheld hat nur einmal gelernt die Zeichen der Zeit zu deuten (als er umschulte, um im Dienst des Staates zu töten) und glaubt immer noch das schnelle Geld mit dem Colt verdienen zu können – schleppt sogar seinen persönlichen Biographen (ein opportunistischer Feigling, der eigentlich nur auf das schnelle Geld mit billigen Groschenopern aus ist) mit sich. In Big Whiskey muss er schnell feststellen, dass sich die Welt weitergedreht hat, er wird gedemütigt, zusammen geschlagen und letztlich armselig aus der Stadt geworfen – eine anachronistische Figur, die ihren Platz nicht mehr findet. Sein Mythos ist Fassade, seinen Heldentaten sind Lügen. Daggett bringt das alles später auf den Punkt, denn den sauberen Revolverhelden hat es so nie gegeben. Auch wenn uns das diverse John Wayne-Western glauben machen wollen.

„Unforgiven“ ist der vielleicht intelligenteste Western – auch wenn man das erst auf den zweiten Blick erkennt. Das ganze Unternehmen verdreht sich ja geradezu ins Gegenteil. Aus Gut wird Böse und aus Böse Gut, eine klare Grenze ist nicht mehr vorhanden. Weder das Kopfgeld, noch die Jagd auf die beiden Cowboys sind rechtens. Neutral betrachtet ist Daggett im Recht, wenn er sich darum bemüht das Gesindel aus der Stadt fern zu halten.

Die Frauen werden hier zu bloßer Ware abgestempelt, Vieh gleichgestellt. Alle Frauen in „Unforgiven“ sind Huren. Sie können sich nicht selbst wehren, stauen aber soviel Hass und Stolz auf, um sich rächen zu lassen und ein Kopfgeld auszusetzen. Wenn der Sheriff oder der Bordellbesitzer nicht helfen wollen, muss eben ein Killer her, denken sie. Sie sind es, die den Stein anfangs überhaupt ins Rollen bringen und nach Eintreffen von Munny und Konsorten erschreckt feststellen müssen, was sie da heraufbeschworen haben.

Trotz seinen beiden Helfern ist dieser Killer Munny. Doch der Weg zurück in sein Innerstes, das Böse, das in ihm schlummert, gestaltet sich als schwieriger, als er wohl selbst erwartete. Wohl auch, weil er sich davor fürchtet, was da in ihm ist. Den Alkohol, den Weggefährten früherer Tage, lehnt er stets ab, schwelgt lieber am Lagerfeuer und badet in Gedanken. Er ist sich selbst nicht sicher, ob er, wenn er es noch mal aus sich hinauslässt, selbst in der Lage ist, es nach Gebrauch auch wieder wegzuschließen. Deswegen wird er zunächst auch, ohne sich zu wehren, schwer zusammengeschlagen und halb zu Tode geprügelt. Geradezu krampfhaft klammert er sich an seine Frau, im Grunde das einzig Gute, das in ihm Leben über den Weg gelaufen ist. Die Vorausbezahlung, ein Schäferstündchen, der entstellten Nutte lehnt er in Andacht an seine Frau ab.

Erst der Tod eines Freundes, als Treibmittel, lässt seine letzten Zweifel schwinden. Symbolisch zieht am Himmel ein Gewitter auf und Munny zieht in die Stadt ein. Da ist nicht mehr viel vom gebrochenen Individuum über. Wie der Leibhaftige rächt er sich, tötet gnadenlos und greift zum Whiskey. Auch an diesen Kills ist nichts Heldenhaftes zu entdecken. Sie sind schnell, tödlich und ohne Prunk. Genau wie der gesamte Film ist das Finale ganz großes Schauspielerkino, aber in den letzten Minuten überbietet sich Eastwood noch mal selbst, inszeniert sich selbst, wie es kein Sergio Leone und kein Don Siegel, denen er diesen Film widmete, geschafft hat. Wie ein Monster schreitet er hinein und wieder hinaus, warnt die Bewohner und verschwindet im Dunkel.


Fazit:
Vier Oscars sprechen bei insgesamt neun Nominierungen eine deutliche Sprache. Zusammen mit seinen langjährigen Weggefährten Jack N. Green (etwa 1 Dutzend mal Kamerammann bei Eastwood-Filmen) und Lennie Niehaus (u.a. Komponist bei „Heartbreak Ridge“,„A Perfect World“) schuf Clint Eastwood hier den definitiven Abschluss des Genres. Mehr muss zum Thema Western eigentlich nicht mehr gesagt werden. „Open Range“ ist beispielsweise ohne Frage ein klasse Western der heutigen Zeit, aber was Eastwood damals aus Peoples Skript herausdestillierte, ist alles, was zu dem Thema Wichtiges gesagt werden musste. Niveauvoll und intelligent in eine Wahnsinnsriege (Freeman und Hackman sind wirklich klasse) verpackt, kann man bei näherem Hinsehen alle Motive wiederfinden, auf die so viele Filme bauten. Mit dem Unterschied, dass Eastwood sie hier alle demontiert. Großartig, zeitlos, tiefgründig und sehr intelligent in jeder Beziehung.

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