Review

„Willkommen in Japan, Mr. Bond!"

Mit diesem Satz wurde Sean Connery überschwänglich allerorten im Land des Lächelns begrüßt. Das Lächeln allerdings war dem Medienscheuen Schotten längst vergangen. Für den introvertierten Star waren die Dreharbeiten zum fünften 007-Abenteuer der viel zitierte Tropfen, der das ohnehin bereits randvolle Unmuts-Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Ein derartiges Medienspektakel war auch für die in dieser Hinsicht Stahlgebadete Bondcrew eine ganz neue Erfahrung. Die schiere Masse an Journalisten sowie deren Aggressivität ließen den bisher als Orkanartig empfundenen europäischen Bond-Rummel wie ein laues Sommer-Lüftchen wirken. Connery wurde auf Schritt und Tritt von Sicherheitsleuten und der örtlichen Polizei abgeschirmt und konnte sich vor allem in Tokio keinen Zentimeter bewegen, ohne dass nicht mindestens ein Dutzend Teleobjektive in Stellung gebracht wurden. Hinter vorgehaltener Hand machte dann auch schnell der wenig schmeichelhafte Begriff „Japarazzi" die Runde.

Sean Connery hatte den Bond-Charakter ohnehin gehörig satt. Man lebt nur zweimal war sein fünfter Bondfilm im fünften Jahr hintereinander. Er wollte sich und der Welt endlich beweisen, dass er auch ohne 007 erfolgreich sein konnte. Darüber hinaus war ihm die Gleichsetzung seiner Person mit der (inzwischen) lästigen Rolle ein massiver Dorn im Auge. Seit dem phänomenalen Erfolg von Goldfinger und dem damit einsetzenden globalen Bond-Hype war sein anfänglicher Enthusiasmus wie weggeblasen. Schon in Feuerball war ihm diese „Bond-Müdigkeit" deutlich anzusehen. Dieser Trend sollte im Folgefilm noch eine Steigerung erfahren. Connery wirkt in vielen Szenen abgekämpft und regelrecht lustlos. Er spult die Rolle wie auf Autopilot zwar routiniert, aber seltsam unbeteiligt herunter. Von einer Identifikation mit der Figur oder gar Spielfreude ist nichts zu spüren. Damit bleibt auch der in  Liebesgrüsse aus Moskau und Goldfinger perfektionierte Raubtierhafte Charme des britischen Superagenten auf der Strecke. Trauriger Höhepunkt ist Bonds Transformation in einen Japaner (mitsamt Perücke und veränderten Augenliedern). Nicht nur dass Flemings Romanfigur niemals irgendeine Tarnung oder Verkleidung verwendete, Connery sah als japanischer Fischer einfach nur lächerlich aus.

Neben Connerys offensichtlicher Bond-Müdigkeit hat Man lebt nur zweimal aber auch noch mit einer weiteren „Feuerball-Erbschaft" zu kämpfen: der verstärkten Hinwendung zu Technik und Gimmicks. Diese Entwicklung ging bereits im vierten Bondabenteuer zu Lasten der Hauptfigur, die weit weniger agierte als reagierte. Das enorme Einspielergebnis von Feuerball (bis heute inflationsbereinigt der finanziell erfolgreichste Film der Franchise) wischte sämtliche Bedenken beiseite und bestärkte die Macher in ihrer Ansicht, mit den eingeleiteten Veränderungen goldrichtig gelegen zu haben. So gesehen musste die Devise auch für Bond Nr. 5 lauten: höher, schneller, weiter.
Tatsächlich ist Man lebt nur zweimal in vielerlei Hinsicht der bis dato spektakulärste Bondfilm. Vor allem die von „Hausdesigner" Ken Adam entworfene Raketenabschussbasis im Inneren eines Vulkans ist auch heute noch eine der beeindruckendsten Kulissen der Filmgeschichte. Das in einer riesigen Halle in den Londoner Pinewood-Studios errichtete Set enthielt einen Hubschrauberlandeplatz und eine Einschienenbahn (beides funktionstüchtig!) sowie eine 22-Meter-hohe Leichtmetall-Rakete, die je nach Bedarf bis zu 30 Meter hochgeschoben werden konnte, um die Anfangsphase des Starts zu simulieren.
Nach dem populären Aston Martin DB5 (Goldfinger, Feuerball) sollte es natürlich auch wieder ein Fahrzeug mit „inneren Werten" geben. Die japanische Autofirma Toyota baute extra für den Film ihr schnittiges Sportcoupe 2000 GT zum Cabrio um. Im Film dient es dem japanischen Geheimdienst als Einsatzwagen. Ein Mini-Farbfernseher, diverse Kameras, ein drahtloses Telefon und ein Videorekorder gehörten zur Standartausrüstung.
Unbestrittenes Gimmick-Highlight in Man lebt nur zweimal ist aber Bonds Mini-Helikopter „Little Nellie". Ken Wallis, ehemaliger Staffelkommandant der Royal Air Force, entwarf und baute das volltaugliche Fluggerät. Der lediglich 3-Meter-lange Hubschrauber wog 122 Kilo, erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von knapp über 200 km/h und konnte problemlos bis zu 4000 Meter hoch steigen. Für den Film rüstete man „Little Nellie" natürlich zusätzlich mit einem Bondgemäßen Waffenarsenal auf (u.a. Wärmeleit-Raketen, Maschinengewehre und Flammenwerfer). Die von Q und seinen Helfern in riesigen Koffern nach Japan transportierte und dort vor den faszinierten Augen von Bond und Tanaka zusammengesetzte Variante war allerdings nur eine Attrappe. Die spektakulären Luftkämpfe zwischen Bond und vier feindlichen SPECTRE-Helikoptern über einer japanischen Vulkanlandschaft sind jedenfalls keine Tricksequenz. Ken Wallis höchstpersönlich doubelte Connery am Steuerknüppel „Little Nellies" und hatte einen wesentlichen Anteil am Gelingen der keineswegs ungefährlichen Aufnahmen.
Vor dem Hintergrund eines solch knallbunten Gadget-Bonbons laufen die übrigen Gimmicks natürlich Gefahr, wenn auch nicht übersehen, so doch zumindest nicht gebührend gewürdigt zu werden. Und das wäre jammerschade, denn Man lebt nur zweimal kann hier mit einer Reihe wirklich genialer Einfälle aufwarten. So verfügt der japanische Geheimdienstchef Tanaka in Tokio über eine unterirdische Operationsbasis mitsamt eigener U-Bahnlinie. Kommen seinen Agenten bei einer Autojagd die Verfolger zu nahe, lässt er sie kurzerhand von einem Helikopter durch einen mitgeführten Riesenmagneten aus dem Spiel nehmen und unsanft über dem offenen Meer entsorgen. Seine Ninja-Armee verfügt nicht nur über traditionelle fernöstliche Kampftechniken, sondern versteht es auch mit „explosiven" Zigaretten zu töten.

Leider kann die Handlung mit den in üppiger Pracht dargebotenen Schauwerten nicht mithalten. Das ist umso überraschender, da diesmal Kultautor Roald Dahl (vor allem seine Kinderbücher erreichten Millionenauflagen) für das Drehbuch verpflichtet werden konnte. Die Produzenten wollten einen gestandenen Schriftsteller, da man erstmals lediglich den Titel eines Fleming-Romans verwendete (im fertigen Film ist außer dem Schauplatz Japan und ein paar handelnden Personen - u.a. Blofeld und Tanaka - nichts von der literarischen Vorlage übrig geblieben).
Dahl war nicht nur mit Fleming befreundet und ein Fan seiner Bondbücher, der spleenige Waliser war außerdem auch bekannt für seine ausgefeilten Plots und skurrilen Ideen. Leider ist im fertigen Skript nicht allzu viel davon zu spüren. Die Idee, dass die Terrororganisation SPECTRE die Supermächte durch eine verdeckte Kaperoperation gegeneinander auszuspielen versucht, erinnert frappierend an den Plot des Vorgängers Thunderball (Regisseur Lewis Gilbert schien die "Kaper-Idee" so gut gefallen zu haben, dass er sie in leichter Variation auch gleich in seinen weiteren beiden Bondfilmen -  Der Spion der mich liebte  und Moonraker - verwendete). Nur dass diesmal kein atomar bestückter Vulcan-Bomber entführt, sondern sowjetische und amerikanische Raumkapseln abgefangen werden. Es musste eben alles noch eine Nummer größer sein. Zumal man damit auch besonders nah am Puls der (Entstehungs-)Zeit war, da Mitte der 1960er Jahre der Kalte Krieg insbesondere auch über die konkurrierenden Weltraumprogramme ausgetragen wurde. Trotz des vordergründig aktuellen Bezugs markiert der Film durch die phantasievolle Ausgestaltung der Grundidee aber auch erstmals eine deutliche Hinwendung zum Science Fiction-Genre, die vor allem im Moore-Bond Moonraker ihren Franchise-internen Höhepunkt erreichen sollte.
Diese phantastischen Elemente dienten in erster Linie dem Eyecatching und ließen die anfangs durchaus noch handfeste und bodenständige Spionagearbeit des Protagonisten immer mehr in den Hintergrund treten. Bond spazierte mit zunehmender Lässigkeit durch die immer aberwitziger werdenden Szenarien und kommentierte diese durchaus selbstironisch mit trockenen Onelinern. Angst um den langsam zum Superagenten mutierenden Gentlemanspion musste man daher immer seltener haben. Eine thrillerartige Spannung wie beispielsweise in Dr. No oder vor allem in Liebesgrüße aus Moskau kann You only live twice jedenfalls zu keinem Zeitpunkt aufbauen. Das liegt in diesem speziellen Fall auch am Gegenspieler und seiner Entourage.

Der Einfall, Ernest Stavro Blofeld erstmals als Figur zu zeigen, darf als gescheitert betrachtet werden. Bisher waren vom Mastermind hinter SPECTRE lediglich die Hände sowie die obligatorische weiße Katze zu sehen gewesen. Zusammen mit der offensichtlichen Angst selbst so hart gesottener Handlanger wie Rosa Klebb (Liebesgrüße aus Moskau) vor ihrem Chef, hatte man eine geheimnisvolle Figur kreiert, die eine wirkungsvolle Aura aus Bedrohung und Gefahr umgab. Um dem gerecht zu werden, stattete man Blofeld-Darsteller Donald Pleasance mit einer fiesen Gesichtsnarbe aus, die seinen Charakter allerdings besonders karikaturhaft erscheinen ließ.
Leider konnte dieses Manko auch durch die Henchmen nicht wettgemacht werden. Der japanische Großindustrielle Osaka ist ein überaus blasser zweiter Mann mit viel zu wenig Screentime und noch geringerer Ausstrahlung. Der auch nicht gerade Furcht einflößende Adolfo Celi wirkt als Emilio Largo im Pendantpart aus Feuerball im Vergleich dazu wie ein Höllenfürst. Der deutsche Leinwandstar Karin Dor hat als Osakas rechte Hand Helga Brand noch den dankbarsten Part, wirkt aber nicht zuletzt dank der rot gefärbten Haare wie eine wenig originelle Neuauflage der eiskalten SPECTRE-Killerin Fiona Volpe aus dem Vorgängerfilm. Sonderlich viel Sorgen um Bond muss man sich also nicht machen.

Das gilt leider nicht für sein sonst so extravagantes Liebesleben. Weder wirkt Connery-Bond sonderlich interessiert an seinen wechselnden Partnerinnen, noch kann man ihm das angesichts der Besetzung wirklich übel nehmen. Die beiden Japanerinnen Akiko Wakabayashi und Mie Hama sind zwar hübsch, aber doch recht farblos. Im Vergleich mit Ursula Andress (Dr No), Daniela Bianchi (From Russia with Love) oder Claudine Auger (Thunderball) wirken sie ernüchternd brav und bieder, an „Bond-Girl-essentiellem" Sex Appeal fehlt es ihnen ebenso, wie an Ausstrahlung und Charisma. Die wesentlich schillerndere Karin Dor - ohnehin das Bad-Bondgirl - kann hier auch nicht mehr viel retten.

Bleibt noch die Action. Auf diesem Gebiet haben immerhin alle vorangegangenen 007-Filme Maßstäbe gesetzt. Und auch Man lebt nur zweimal macht hier erfreulicherweise keine Ausnahme. Stunt Koordinator Bob Simmons lieferte auch im vierten Bondfilm unter seiner Aufsicht erstklassige Arbeit ab. Die zahlreichen Faustkämpfe und Verfolgungsjagden sind gewohnt rasant inszeniert und perfekt choreographiert. Vor allem der 15-minütige Endkampf in Blofelds Vulkanfestung ist mit seinen Hunderten an Komparsen, den zahlreichen Explosionen, Kämpfen und Schießereien ein Stunt-technisches wie logistisches Meisterstück. Dass die Spezialeffekte bei der Entführung der Raumkapseln im Vergleich zum zeitgleich entstandenen Kubrick-Klassiker 2001 ziemlich hölzern und unbeholfen wirken, ist nicht den Stuntleuten anzulasten.

Fazit:
Trotz aller aufgeführten Defizite ist Man lebt nur zweimal beileibe kein Totalausfall. Die spätestens seit Goldfinger fest etablierte Bondformel wird zwar ohne große Überraschungsmomente, insgesamt aber doch routiniert und relativ souverän durchexerziert. Das im Vergleich zu Thunderball nochmals gesteigerte Budget ist dank fantastischer Bauten und einem ausgefeilten Production Design zu jeder Sekunde sichtbar. Lediglich die schwachen Weltraumeffekte fallen hier negativ aus dem ansonsten glänzenden Rahmen.
Störend sind vor allem Connerys inzwischen deutlich sichtbare Bondmüdigkeit sowie eine immer stärkere Hinwendung zu technischen Spielereien und diversen Science Fiction-Elementen. Beides geht zu Lasten von Hauptfigur und Spannung. Auch Bondgirls und Gegenspieler waren schon aufregender bzw. bedrohlicher.
Unterhaltungstechnisch ist das Gebotene immer noch in der Genreoberliga anzusiedeln, allerdings setzte sich der bereits mit dem Hit Feuerball eingeläutete Abwärtstrend fort. Es musste also etwas geschehen in der Welt des englischen Superagenten, wollte man die Serie nicht langsam aber sicher in die Krise steuern. So gesehen war Connerys unwiderrufliche Weigerung einen sechsten Bondfilm zu drehen nicht ausschließlich eine Hiobsbotschaft für das Produzentenduo, sondern bot auch die Chance auf einen radikalen Neuanfang. Die geplante Verfilmung des von vielen als Flemings besten Roman angesehenen Im Geheimdienst ihrer Majestät war dafür sicherlich nicht die schlechteste Vorraussetzung.

(7/10Punkten)  

Details
Ähnliche Filme