Der "Super-Patriot"
Captain America haftet vor allem außerhalb der USA der Ruf eines tumben Hurra-Patrioten an, der mit vermeintlich typisch amerikanischer Arroganz und Überheblichkeit dem Rest der Welt zeigt, was wahres Heldentum bedeutet. Sein Comic-Debut als Supersoldat im Kampf gegen Nazi-Deutschland sowie sein „Star-Spangled Banner"-Kostüm dürften erheblich zu dieser verbreiteten Wahrnehmung beigetragen haben. Die Wahrheit ist allerdings wie so oft etwas differenzierter.
Während des Zweiten Weltkriegs von Timely Comics erfolgreich als eindimensionaler Propagandaheld installiert, verpasste ihm Marvel-Legende Stan Lee in den 1960er Jahren eine gehörige Portion Charaktertiefe. Als Anführer der Superheldentruppe „The Avengers" (u.a. Thor, Iron Man und Hulk) avancierte der einst simpel gestrickte Vorzeige-Amerikaner zum politischen Gewissen der USA, der immer wieder auch den Kurs der eigenen Regierung kritisiert. Steve Rogers alias Captain America steht für universelle Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit, die in seinem Zusammenhang häufig gehörten Vorwürfe wie nationalistische Scheuklappen oder kritiklose Obrigkeitshörigkeit laufen völlig ins Leere.
Diesen polarisierenden Superhelden auf die Leinwand zu bringen barg für das finanzierende Marvel-Studio sicherlich ein ordentliches Risiko, schließlich übertreffen die Einnahmen aus dem Rest der Welt das heimische Box Office gerade bei sündteuren Blockbustern inzwischen häufig um ein Vielfaches. Aber was wäre der geplante Avengers-Film ohne „Cap"? Zumal in den letzten Jahren mit Der unglaubliche Hulk, Iron Man und Thor seine prominentesten Mitstreiter bereits jeweils ihr eigenes Kinospektakel serviert bekommen haben.
Diesmal durfte Joe Johnston auf dem „Marvel"-Regiestuhl Platz nehmen, keine schlechte Wahl, schließlich hat der ehemalige Szenenbildner (Star Wars- und Indiana Jones-Trilogie) reichlich Erfahrung mit knallbunten Abenteuerspektakeln (u.a. Rocketeer, Jumanji, Jurassic Park III) bei denen visuelle Effekte eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Vor allem in den stylischen, retro-futuristischen Sets diverser Verstecke des Oberschurken „Red Skull" ist Johnstons Handschrift deutlich zu sehen. Aber auch in den zahlreichen Actionszenen, in denen Captain America meist fast im Alleingang ganze Heerscharen seines Erzfeindes aufmischt, verliert der Regieveteran nie den Überblick und vermag ganz ohne moderne Inszenierungs-Übeltaten wie Wackelkamera oder Schnittgewitter Rasanz und Tempo zu vermitteln.
Auch bei der eigentlichen Story hieß es - hier allerdings gezwungenermaßen - „back to the roots", da die „moderneren" Abenteuer des Sternenbanner-Helden dem kommenden Avengers-Film vorbehalten sind. Zudem galt es die Captain America-Werdung des schmächtigen Steve Rogers zu erzählen und die fand nun einmal Anfang der 1940er Jahre statt.
Der aus Nazi-Deutschland geflohene Wissenschaftler Dr. Josef Reinstein (Stanley Tucci) rekrutiert den schmächtigen Rogers für ein Geheimprojekt des US-Militärs. Für den zuvor bei sämtlichen Musterungsversuchen gescheiterten Steve ist dies die letzte Möglichkeit, doch noch für sein Land in den Krieg zu ziehen. Reinstein hat ein Serum entwickelt, das ganz gewöhnlichen Menschen zu körperlichen Höchstleistungen verhelfen soll. Leider verstärkt es zudem auch die Charaktereigenschaften der Testperson, was die Transformation von Johann Schmidt (Hugo Weaving) - seines Zeichens Hitlers Sonderbeauftragter für Okkultes und Leiter der geheimen Forschungseinrichtung „Hydra" - in den Superschurken Red Skull belegt.
Zwar glückt das gewagte Experiment bei Steve, seine Muskeln wachsen direkt proportional zu seinem Helden- und Edelmut, aber ein von den Nazis eingeschleuster Spion tötet Reinstein und entwendet das Serum, so dass Rogers ein Unikat bleibt und der geknickte General Phillips (Tommy Lee Jones) auf seine Armee aus Supersoldaten verzichten muss. Da Phillips keine Verwendung für ihn hat, muss Steve in der Folgezeit als Propaganda-Maskottchen durch amerikanische Großstädte tingeln und als Star einer patriotischen Nummernrevue für Kriegsanleihen werben.
Erst als Johann Schmidt alias Red Skull mittels eines in Norwegen erbeuteten Energiewürfels eine Privatarmee ausrüstet und sich aus Hitlers Eroberungsplänen ausklingt um nichts weniger als die Weltherrschaft anzustreben, schlägt Steves große Stunde. Voller Tatendrang und zusätzlich aufgerüstet mit einem Schild aus dem unzerstörbaren Metall Vibranium zieht Captain America mit einer Handvoll Getreuer in den Krieg gegen die bis dato unbesiegbare Hydra-Armee ...
Es ist schon ein kleines Kunststück einen Film über den Zweiten Weltkrieg zu drehen, in dem eben dieser Krieg kaum zu sehen und letzlich nur als erzählerische Klammer relevant ist. Vielleicht war den Machern ein Superheld der Seite an Seite mit dem US-Militär gegen Nazi-Deutschland antritt dann doch zu anachronistisch oder lächerlich. Vielleicht war aber auch das massenhafte Eliminieren der Klon-artigen, gesichtslosen Hydra-Soldaten einfach Zielgruppen-kompatibler als ein halbwegs authentisches Weltkriegsszenario, bei dem man sich möglicherweise auch noch an dem Hyperrealismus der Marke „Private Ryan" hätte messen lassen müssen.
Hinsichtlich der Comicvorlage hat man sich hier jedenfalls ordentliche Freiheiten genommen, taucht die Organisation Hydra doch erst Mitte der 1960er Jahre als Caps Gegner auf und hat rein gar nichts mit Johann Schmidt/Red Skull zu tun. Auch die Beziehung zu Tony Starks/Iron Mans Vater Howard (Dominic Cooper) - im Film fungiert er als eine Art „Q" für Rogers - dient weit mehr einer möglichst engmaschigen Verknüpfung diverser Marvel-Filmhelden als einer Vorlagen-treuen Adaption.
Diese Dinge dürften allerdings ausnahmslos Comic-Puristen Unbehagen bereiten, die Masse der aktuellen Zuschauer dagegen aber kaum berühren. Erzählfluss, Unterhaltungswert und Tempo tun diese Modifikationen keinerlei Abbruch. Captain America ist ein flotter Superheldenfilm, der nicht nur aufgrund seines Settings einen wohlig altmodischen Charme verbreitet. Gerade Freunde des klassischen Abenteuerkinos kommen hier voll auf ihre Kosten. Die moderne Tricktechnik einmal außen vor, hätte der Film auch in den 1950er bzw. 1960er Jahren bestens funktioniert. Chris Evans spielt einen strahlend weißen (Super-)Helden ohne Fehl und Tadel. Keinerlei charakterliche Schwächen oder sonstige negative Eigenheiten trüben das heroische Panoramabild. Für seine Nemesis Red Skull gilt im Umkehrschluss das Gleiche, hier findet sich auch nicht der kleinste weiße Fleck auf der rabenschwarzen Weste.
Vom psychologisch-philosophischen Unterbau wie man ihn bei Singers X-Men-Filmen und vor allem den Nolanschen Batman-Adaptionen findet, ist hier allerdings weit und breit nichts zu sehen. Lediglich Caps Auftritt als Patriotismus-Maskottchen kann als ironischer Seitenhieb auf die Urcomic-Serie gesehen werden, da der Film danach aber wieder konsequent auf Heldenmodus umschaltet, verpufft der angedeutete Effekt auch ganz schnell wieder.
Es wird interessant sein zu beobachten, wie man diese perfekte Heldenfigur in den ungleich komplexeren Avengers-Kosmos rund um die wesentlich differenzierter ausgearbeiteten und ambivalenter gestalteten Figuren wie Iron Man oder Hulk integriert. Ein wenig Selbstironie, wie sie jüngst Kenneth Branagh so gekonnt wie nochalant dem arroganten Göttersohn Thor verpasste, würde spätestens da dann auch Steve Rogers ganz gut tun. Ohnehin ist der Avengers-Anführer aus anderem charakterlichen Holz geschnitzt als der Weltkriegs-Heroe. Schließlich hat Rogers zu diesem Zeitpunkt längst den ein oder anderen Schmutzfleck auf dem Star-Spangled Banner entdeckt.