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"Einmal noch in die Schlacht, ein letztes gutes Gefecht ..."

Ok, dass wilde Wölfe Menschen anfallen, ist natürlich Quatsch. Und ok, die fröhliche Ignoranz dieser Tatsache ist vielleicht ein bis zwei mal zu oft über die Kinoleinwände geflimmert. Trotzdem ist Joe Carnahans Survival-Thriller The Grey durchaus eine Empfehlung wert.
Ja genau, der Joe Carnahan dessen Werkschau bisher mit dem drögen Drogenthriller Narc, dem mülligen Tarantino-Plagiat Smokin´ Aces und der insgesamt doch eher lauwarmen Wiederbelebung der angestaubten TV-Serie The A-Team bestenfalls matt schimmerte. Doch siehe da, in The Grey ist offenbar Schluss mit bemüht un- bzw. überkandidelt lustig. Auch der in Narc schon im Titel angedeutete Valium-Schleier senkt sich diesmal glücklicherweise nicht über den Film.

Schon der knackige Beginn gibt die Grundrichtung vor und erinnert in seiner ebenso lakonischen wie auf jegliches überflüssige Geschwafel verzichtenden Exposition an John Carpenters beste Tage. Wir befinden uns irgendwo in Alaska auf einer wenig einladenden Bohrstation. Die Belegschaft besteht hauptsächlich aus Ex-Knackis, verunglückten Abenteurern und allerlei ähnlichem Gesindel, dessen einzige Abwechslung vom rauen Arbeitsalltag in dem abendlichen Dreifach-Hobby Saufen, Prügeln und Huren besteht. Der Einzelgänger John Ottway (Liam Neeson) ist noch ein gutes Stück kerniger als der Rest und entschieden zu cool, um sich am profanen Standard-Amüsement zu beteiligen. Er achtet lieber auf das nächtliche Wolfsgeheul, schließlich ist sein Job das Töten der Biester, sollten sie dem Camp zu nahe kommen.

Bei wem jetzt bereits die Kronkorken fliegen, weil er sich gleichermaßen wehmütig und erwartungsfroh an Steven Seagals Öko-Klopper Fire down below erinnert, oder eingedenk des Hauptdarstellers auf 96 hours im Eis - das Ganze garniert mit einer netten Prise Tierhorror der blutigen Art - hofft, der sollte es sich lieber weiterhin im Heimkinosessel gemütlich machen.
Joe Carnahan setzt mehr auf Melancholie als Adrenalin und gibt dem Ganzen mehr einen philosophischen als bleihaltig-pyrotechnischen Anstrich. Auch die mörderischen Bestien spielen nicht die tragende Rolle, die einem der reißerische Trailer suggeriert. Das mag sich in der Theorie dröge anhören, hat aber in der Praxis ordentlich Pepp und bringt frischen Wind in das ausgelutschte Szenario.

Dass dieser eher auf zwischenmenschliche Beziehungen und gruppendynamische Prozesse angelegte Survival-Thriller über die volle Laufzeit zu fesseln vermag,  ist u.a. auch ein  Verdienst von Liam Neeson. Ihm genügen die spärlichen Hintergrundinfos von einem rauhbeinigen irischen Vater und dem nicht verwundenen Tod der Ehefrau, um der eigentlich recht holzschnittartig gezeichneten Figur des mürrischen, Suizidgefährdeten Ottway Leben einzuhauchen und zum emotionalen Zentrum zu machen, auf das binnen kürzester Zeit sowohl Zuschauer wie übrige Filmcharaktere gleichermaßen fokussiert sind.
Dieser Antiheld braucht eine äußere Extremerfahrung, um aus seiner misanthropischen Depression gerissen zu werden. So bringt erst die Ausnahmesituation eines katastrophalen Flugzeugabsturzes wieder den Kämpfer in ihm zum Vorschein. Nur eine Handvoll Bohrarbeiter überlebt wie durch ein Wunder den geplanten Heimflug und sieht sich nicht nur mit 30 Grad unter Null, kaum Nahrung und einer verschwindend geringen Chance auf Rettung konfrontiert, sondern hat offenbar auch noch das Glück gehabt mitten im Revier eines äußerst angriffslustigen Wolfsrudels aufgeschlagen zu sein. Ottway überzeugt schließlich die Truppe sich auf den Weg in zivilisierteres Gebiet zu machen, wollen sie nicht entweder erfrieren, verhungern und/oder von Wölfen zerrissen werden.

Obwohl auch hier wieder Klischees wie die vom aufrechten Familienvater, der innerhalb der inhomogenen Gruppe ausgleichend und beschwichtigend wirkt, oder vom aggressiven Ex-Sträfling, dessen Macho-Allüren ständig für Unruhe und Gefahr sorgen, bemüht werden, ist die Schilderung der emotionalen und psychischen Auswirkungen einer solchen Extremsituation ernsthaft und glaubwürdig. Ob Angst, Verzweiflung, Erschöpfung, oder aber auch Tatkraft, Mut und Überlebenswille, die Männer haben streckenweise mehr mit sich selbst, als mit den ständig lauernden Wölfen zu kämpfen. Das ist stellenweise durchaus vorhersehbar und gängigen Genremustern folgend, hat aber durch die konsequente Besetzung aus der zweiten Reihe (einzige Ausnahme ist Neeson) zumindest den Vorteil, dass das mögliche Schicksal der einzelnen Charaktere davon ausgenommen bleibt.

Etwas störend im über weite Strecken dramaturgisch wie atmosphärisch packend inszenierten Überlebenskampf, ist lediglich die in ihrer Häufigkeit penetrante Bebilderung von Ottways Erinnerungsfetzen an seine verstorbene Ehefrau. Hier ist die Metaphorik mit der Schneekanone aufgetragen und bildet einem unangenehmen Kontrast zum ansonsten durchgängig subtil-lakonischen Tenor des Films.
Seine stärksten Momente hat The Grey am Ende, wenn der äußeren Kampf der noch Lebenden gegen Tier und Natur immer mehr einem inneren gegen die eigenen Dämonen und das gnadenlose Schicksal weicht. In diesen Augenblicken erinnert sich Ottway an den hassgeliebten Vater und dessen einziges Vermächtnis an seinen Sohn in Form eines selbst geschriebenen Gedichts. Und das bringt die permanent irgendwo zwischen Rauhbeinigkeit und Melnacholie schwebende Stimmung des Films perfekt auf den Punkt:

"Einmal noch in die Schlacht, ein letztes gutes Gefecht. Lebe und stirb heute Nacht. Lebe und stirb heute Nacht".

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