Über den Regisseur Robert Bresson ist wenig bekannt; er galt als ein mysteriöser Einzelgänger, der die Öffentlichkeit scheute und nach seinem letzten Werk "L´argent" (1983) völlig zurückgezogen lebte. Zum Glück bleiben uns ja seine Filme, mit denen wir zumindest den Versuch unternehmen können Rückschlüsse auf die Weltsicht dieses wichtigen Autorenfilmers zu ziehen.
Eine gewisse Orientierung an der Ästhetik und an den Vorgaben des Neorealismus lässt sich nach der Sichtung von "Mouchette" nicht von der Hand weisen. Der Verzicht auf bekannte Darsteller und die permanente Minimalisierung der filmischen Mittel, wie beispielsweise Musik oder lang andauernde Dialoge geben Aufschluss über Bressons Prinzip der Verweigerung; kein Trivialismus, keine reduktionistische Psychologisierung, nichts, was auf irgendeine Art und Weise einfache Schlussfolgerungen erlaubt, soll seinen Weg in den Film "Mouchette" finden. Somit situiert sich das Werk selbstverständlich fernab von den Darstellungskonventionen und den narrativen Strukturen der Unterhaltungsindustrie.
Mouchette ist ein 14jähriges Mädchen; sie lebt zusammen mit ihrem Vater, ihrer schwer kranken Mutter und ihrer kleinen Schwester in ärmlichen Verhältnissen in einer ruralen Region Frankreichs. Die Familie befindet sich bereits in einem Status des Verfalls, das heißt, dass sie keine der üblichen "Funktionen" wie Geborgenheit oder Unterstützung erfüllen kann. Durch die Erkrankung der Mutter steht Mouchette bereits in der Verpflichtung sich um den Haushalt und um die jüngere Schwester zu kümmern. Somit reflektiert der Film in erster Linie einen Verlust der Kindheit und der damit verbundenen Unschuld. Besonders deutlich wird dieser Verlust der Unschuld als Mouchette von dem Jäger Arsène vergewaltigt wird.
Nur an einer Stelle des Films verflüchtigt sich der Gedanke dieses frühreifen Mädchens; als ihr auf dem örtlichen Jahrmarkt eine Münze für die Autoscooter geschenkt wird, offenbart sie auf dem Karussell einen kurzen Moment des Glücks und damit auch einen unterdrückten Wille zur Freiheit. Dieser ephemere Moment findet ein jähes Ende als ihr alkoholsüchtiger Vater die Situation mit einer Ohrfeige quittiert. Auch die Versuche zahlreicher Dorfbewohner dem jungen Mädchen zu helfen scheitern aufgrund der heuchlerischen Moral, die sich hinter ihrem Tun verbirgt. Es handelt sich eher um einen herabwürdigenden Blick, der diese Landbevölkerung dazu motiviert Mouchette helfen zu wollen. Somit entsteht um unsere Protagonistin eine dezidiert feindliche Atmosphäre, obwohl man ihr prinzipiell gar keine Vorwürfe machen kann. Mouchette ist jedoch für ihr Alter schon intelligent genug, um die umgebenden Gefahren wahrzunehmen. Um eine Metapher des Films aufzugreifen, lässt sich Mouchette mit einem Hasen vergleichen, der von allen Seiten von totbringenden Jägern umstellt ist.
Trotz der Negierung aller theatralischen, pathetischen, künstlichen Elemente interessiert sich Bresson eindeutig für den Menschen. Man könnte ihm sozusagen einen gewissen soziologischen Blick unterstellen, der menschliches Verhalten in der allerreinsten Form durch das künstliche Auge der Kamera einfangen möchte. Gerade in unserer heutigen Zeit finde ich den Film "Mouchette" nahezu erfrischend, da er uns nicht mit vorgefertigten Klischees belästigt und auch keineswegs der immer stärker werdenden "Dramatisierung des Alltäglichen" verfällt. Bresson wusste selbstverständlich über die inhärenten Möglichkeiten des Mediums Film bescheid, dem Zuschauer die "Scheinwelt" als Wirklichkeit zu verkaufen. In seinem Werk ersetzt er den "Schein" durch das "Sein".
Nach der Sichtung von "Mouchette" habe ich nun endlich verstanden, warum Michael Haneke das Werk Robert Bressons als seine wichtigste Inspirationsquelle ansieht.
Ich verleihe voller Anerkennung 10/10 Punkte!