Review

Spoilerwarnung!


Spike Lee kopiert "Oldboy", vergisst dabei aber dessen Qualitäten zu übernehmen und neue Akzente zu setzen.


Das Geschrei war groß, als vor einigen Jahren eine amerikanische Verfilmung des südkoreanischen Kultfilms "Oldboy" angekündigt wurde. Es schwirrten Fakten und Gerüchte durch die Foren, die unter anderem Steven Spielberg und Will Smith damit in Verbindung brachten. Auch war die Rede von einem PG-13-Rating, was die Grimmigkeit und den Biss der Vorlage bereits im Keim erstickt hätte. Nun kam alles aber ganz anders. Auf dem Registuhl nahm der sozialkritische Regisseur Spike Lee Platz und für die Besetzung der Hauptrolle wurde letzendlich Josh Brolin engagiert, der durchaus passend erschien. Trotz der geänderten Ausgangslage stand das Projekt trotzdem unter keinem guten Stern, auch weil  die Nachricht die Runde machte, Lee hätte 1 Stunde Material aus seiner ursprünglichen Fassung tilgen müssen, um den Produzenten zu gefallen. Letztendlich waren alle Bedenken mehr als berechtigt.

Bereits nach wenigen Minuten wird das erste Problem offensichtlich: die Darsteller agieren teilweise jenseits von Gut und Böse. Hier trifft Overacting auf eine zu unterkühlte Performance. Sharlto Copley spielt den Antagonisten als die verzerrte Parodie eines Blaublüters und das so dekadent-dick aufgetragen, dass es zeitweise unfreiwillig komisch wirkt. Brolin schafft dann im Gegenzug zu keiner Sekunde, das was er sagt, wirklich glaubhaft rüberzubringen. Von der ersten Sekunde an macht es uns das Drehbuch schwer, eine Beziehung zu Joe aufzubauen. Die Figur ist so angelegt, dass es einem herzlich egal sein kann, ob er das nun schafft oder nicht. Von der ursprünglichen Sympathie zum exzentrischen Antihelden, die das Original so besonders machte, ist nichts mehr übrig. Average Joe verwandelt sich hier auch nur in den Durchschnittsrächer. Sogar Samuel L. Jackson spielt nur sein Standardprogramm runter und wirkt völlig deplatziert, auch wenn er natürlich wie immer "sein Ding" durchzieht. Durch die schwache Charakterisierung tauchen auch gar nicht die Fragen auf, die das Original nach dem Sinn der Rache gestellt hat und dem daraus resultierenden Verlust menschlicher Züge. Es fehlt damit der Zwiespalt zwischen Mann und Monster gänzlich. Hier wird einfach eine simple Rachegeschichte erzählt, genau das, was "Oldboy" eben nie war und nicht sein sollte.

Inhaltlich werden sich hier und da Freiheiten genommen, die allerdings aufgrund der anscheinend maßiven Kürzungen alles andere als rund wirken. Immerhin fordern sie etwas. Wo wir im Original noch durch die inneren Monologe an die Hand genommen wurden, wird hier fast völlig darauf verzichtet. Einige Details, besonders in Joes Gefangenschaft, muss sich der Zuschauer dann selbst erklären. So wissen wir allerdings auch selten, was in ihm letzten Endes vorgeht. Dem Film fehlt vor allem eine wirklich eigene Note und echte Dramatik. Hier und da wurde der Twist modifziert und das Trauma multipliziert. Allerdings war bereits bei Sichtung der Trailer klar, dass man hier eine falsche Fährte legen wollte, um die Kenner des Originals abzulenken. Hat halt leider nicht geklappt. Dafür haben wir merkwürdige Medienkritik: "Unglaublich, was Menschen alles glauben, wenn es im Fernsehen zu sehen ist."

Leider hat es sich Lee nicht nehmen lassen, den besonders ästhetischen Sequenzen des Originals ihren visuellen und inhaltlichen Pfiff zu nehmen. Der Selbstmord am Staudamm wurde hier dann  durch eine Schrotflinte und viel Blut ersetzt. So kann im lahmen Finale wenigstens noch geballert werden... Wo im Original Dae-Su auf einer künstlichen Grünanlage (ein wunderbares Sinnbild zu seiner Zelle) irgendwo auf einem Hochhaus aufwachte, ist es hier halt einfach eine echte Wiese. Statt den verstörenden Wahnvorstellungen (Ameisen), kuschelt Joe lieber mit weißen Mäusen, dass sich sogar John Coffey schämen würde. Es wirkt so, als wollte Lee hier auf keinen Fall kopieren, aber hat dabei vergessen, etwas belangvolles hinzuzufügen. Klar, hier muss man Drehbuchautor Mark Protosevich ordentlich auf die Finger klopfen, der "Olboy" amerikanisiert hat, wo es nur ging. Die fremdartige Faszination ist dabei völlig flöten gegangen. Dies unterstreicht nur, warum sich das Ausgangsmaterial von vornherein nicht für ein amerikanisches Remake eignete.
Die ursprünglich so ruppige, rohe und einprägsame Plansequenz sollte hier wohl übertrumpft werden werden und zwar um zwei Etagen und technischer Perfektion. Leider wirkt das Gesamtbild der Sequenz noch cartoonhafter, als damals und reizt das Gimmick, das Heute einfach keines mehr ist, viel zu unnötig aus. Sowieso fühlt sich das Ganze nur noch wie ein schnöder Actionthriller an, dazu noch eine auf Hochspannung getrimmte Musikuntermalung ohne jeglichen Wiedererkennungswert, einige Splattereffekte und fertig ist die Remakesoße.

Es fehlen auch wirklich frische Ideen, es mangelt an Substanz und die visuelle Komponente, die damals so schön verspielt war, fehlt völlig. Keine Experimente,  keine Poesie und keine Tiefe. Bereits die Openingcredits zeugen von einer Lustlosigkeit, dass es wirklich traurig ist, da es 2003 einen inhaltlichen Bezug und Liebe fürs Detail gab. Sowieso wirkt die gesamte Produktion eher nur knapp über TV-Niveau. Zum Haareraufen.

An den Kinokassen ging das Debakel verdientermaßen völlig unter und spielte am Boxoffice nur 4 Mio. Dollar ein - weltweit, bei 30 Millionen Dollar Produktionskosten.

Spike Lees "Oldboy" steht ganz im Zeichen des Vergessens: inhaltlich dreht sich alles ums Vergessen. Lee hat vergessen, einen guten Film zu drehen und die Zuschauer haben vergessen, ins Kino zu gehen. In diesem Sinne: gesehen und vergessen.

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