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Als am 24. Februar 2008 während der Oscarverleihung die obligatorische In Memoriam-Rubrik über die Bildschirme flimmerte, dürfte der aufmerksame Cineast den Namen Brad Renfro vermisst haben, welcher am 15. Januar diesen Jahres - also eine Woche vor dem ebenfalls nicht mehr unter uns weilenden Heath Ledger - verstorben ist. Heath Ledger schaffte es in selbige Rubrik, Brad Renfro und sein Tod wurde von der Academy tot geschwiegen. Wahrscheinlich lag es daran, dass Heath Ledger an einem tödlichen Medikamenten-Cocktail starb, während Renfro eine Überdosis Heroin dahinraffte. Die Schattenseiten der Glitzerwelt Hollywood werden nur allzu gern von der Academy verschwiegen.

Zu Brad Renfros filmischer Hinterlassenschaft zählt neben seinem beeindruckenden Schauspiel-Debüt in der John Grisham-Verfilmung Der Klient und der Hauptrolle in der Stephen King-Adaption Der Musterschüler eben auch Mississippi - Fluss der Hoffnung, eine einfühlsam erzählte Geschichte um ein schwieriges Thema: Aids. Doch ungleich des zwei Jahre zuvor erschienenen Tom Hanks-Films Philadelphia geht es hier nicht um das Thema Homosexualität auf der zweiten Inhaltsebene, sondern um die problematische Freundschaft zweier Jungen.

Es sind Sommerferien. Der 14-jährige Eric (Brad Renfro) ist ein Außenseiter und wird von Mitschülern gehänselt, weil nebenan der 11-jährige Dexter (Joseph Mazzello) wohnt, welcher sich durch eine Bluttransfusion in frühester Kindheit mit Aids infizierte. Nach anfänglicher Ablehnung freunden sich die beiden Jungs an und unternehmen viel zusammen, bis Erics Mutter dahinter kommt und ihm aus Gründen der Vorsicht und Vorurteilen den Umgang mit Dexter verbietet. Als sie von einem neuen Wundermittel gegen Aids hören, welches ein Arzt aus New Orleans gefunden haben will, wollen sie sich dorthin begeben, bauen sich ein Floß und schippern den Mississippi hinab...

Neben Brad Renfro agiert mit Joseph Mazzello ein weiterer Mitte der 90er Jahre aufstrebender Jungstar. Mazzello war vor Mississippi unter anderem in Jurassic Park und Am wilden Fluss zu sehen - jeweils an der Seite großer Stars. Mit seiner Rolle in dieser Independent-Produktion konnte er endlich einmal aus deren Schatten heraustreten und beweisen, dass er ganz gut eigenständig schauspielern kann. So gehört beispielsweise jene Szene, als Dexter zusammen mit Eric in einem Zelt am Ufer des Mississippi übernachtet, schweißgebadet aufwacht und Eric von seinen Ängsten erzählt zu den intensivsten Momenten dieses unprätentiösen Films.

Mississippi
lebt von seiner leichten, unverkrampften Inszenierung, die ihr ernstes Thema dennoch nicht der Lächerlichkeit preis gibt. Regisseur Peter Horton und Drehbuchautor Robert Kuhn beschreiten mit ihrer zurückhaltenden, subtilen Arbeit den schmalen Grat zwischen leiser Komik und Ironie sowie dem übergeordnetem Drama um zeitlich begrenzte Freundschaft, Verlust und (elterliche) Liebe, womit sie punktgenau das Lebensgefühl der jugendlichen Protagonisten treffen, die zwar nicht hochgradig ausdekliniert, wohl aber differenziert charakterlich gezeichnet wurden. Auf der einen Seite der Schwache, aber Kluge, auf der anderen der Einsame und Freche, aber Solidarische. Joseph Mazzello und Brad Renfro spielen ihre Rollen sehr gut und wirken authentisch. Annabella Sciorra (Hinter dem Horizont, 1998) spielt die mal verzweifelnde, mal lebensfrohe Mutter Dexters mit einer ähnlichen Ambivalenz, die genau durch diese Gratwanderung als Figur stimmig und wie aus dem Leben gegriffen wirkt. Die Charakterisierung von Diana Scarwid in der Rolle von Erics Mutter als reaktionäre Workaholicerin hingegen geriet hingegen etwas zu platt und zu sehr auf das gängige Klischee getrimmt.

Bei aller Lockerheit wird jedoch die soziale Ausgrenzung Aids-Kranker ebenso thematisiert wie die Vorurteile um deren sexuelle Orientierung. In einer evidenten Szene im ersten Viertel des Films stellt sich Eric vor seinen mit HIV infizierten Freund Dexter und verteidigt ihn gegen eine Bande jugendlicher Rüpel, die ihn als „Schwuchtel" beschimpfen. Mississippi fungiert durch diese Art der authentisch anmutenden Konfrontation mit Aids als Plädoyer für mehr Toleranz und Aufklärung. Denn Borniertheit allein führt zu dummen Klischees und Vorurteilen. Und entgegen aller jetzt aufkommenden Bedenken um die verlogenen Euphemismen, die ähnlich gelagerte Independent-Filme zu ernstem Tobak betreiben mögen oder auch nicht: Das Ende des Films ist als konsequent zu bezeichnen. Die wundersame Heilung (der Originaltitel ist schließlich The Cure) wird nicht eintreten, der "Wunderheiler" entpuppt sich als Quacksalber. Die Reise nach New Orleans soll das große Abenteuer in der Freundschaft von Dexter und Eric werden, welches Konsequenzen nach sich ziehen wird. 

Das US-Einspielergebnis von nur 2,5 Mio. Dollar zeugt nicht gerade davon, dass das amerikanische Publikum diese kleine Independent-Perle zu würdigen wusste. Dabei hatte sie dem Genre „Jugendfilm" endlich wieder einmal eine gehaltvolle Spielart hinzuzufügen fernab klischeehafter Komödien um das sexuelle Erwachen. Man hat den Eindruck, tief ins Innere der jugendlichen Protagonisten zu blicken; ihnen wird - und das ist eher selten in diesem Genre - viel Zeit gegeben ihre Charaktere mit ihren Ängsten, Spleens und Wünschen zu entwickeln. Das ist das Verdienst des linearen Drehbuchs und der Inszenierung, welche sich eben auch in erster Linie für die Charaktere denn für besonders schöne Bilder oder die „Unterbringung" möglichst vieler „Top 10"-Hits interessiert.

Hin und wieder bleibt sogar Zeit für leichte Poesie, wenn der tolle Song „My Great Escape" von Marc Cohn erklingt oder Eric am symbolischen Ende ein Schuh Dexters den Mississippi hinunter treiben lässt. Der Fluss der Hoffnung behält seinen Status als solcher, als Symbol für die Affirmation des Lebens, das „Weitermachen", auch wenn er zuweilen den Tod bringen mag, der jedoch zum Leben dazugehört. Ein leiser, durchaus kritischer, sympathischer und - ja man verzeihe mir dieses undifferenzierte Urteil - schlicht toller Film mit wenigen Schwächen (8/10).  

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