„Das Superheldenkino zeigt Krallen, endlich!"
Ein altersmüder Krieger zieht noch einmal in die Schlacht. Das viele Töten hat einen einsamen, verbitterten Mann aus ihm gemacht, aber es lässt ihn nicht los. Ein Leben aus Gewalt, Blut und Tod schüttelt man nicht so einfach ab, es holt einen immer wieder ein. Dieser Kampf wird sein letzter sein und er weiß das. Es ist gut so, denn Frieden kann es für ihn ohnehin keinen geben, auch wenn die Illusion eine schöne war.
Sofort denkt man dabei an einen alternden Revolverhelden, der sich ein letztes Mal den Colt umschnallt. John Wayne in „The Shootist" und Clint Eastwood in „Unforgiven" haben sich und diesem Sujet eindrucksvolle Denkmäler gesetzt und dabei den Western auf seine Essenz herunter gebrochen.
James Mangold hat einige Erfahrung mit solch grimmigen Psychogrammen abgekämpfter Recken und dabei einige seiner besten Arbeiten abgeliefert. Ob Sylvester Stallone als abgehalfterter Sheriff im Polizei-Thriller „Copland", oder Joaquin Phoenix als von diversen Dämonen geplagte Countrylegende Johnny Cash in „Walk the Line", stets verstand es Mangold seine Antihelden auf mitreißende Art zwischen Schmerz und Katharsis zu inszenieren. Warum also nicht auch den Stahlklauen-Mutanten „Wolverine"?
Hugh Jackman legt die mit Abstand schillerndste Figur der X-Men schon im ersten Film als offenkundige Eastwood-Referenz an. Die erstaunliche physische Ähnlichkeit ist dabei nicht einmal ausschlaggebend gewesen, sondern viel mehr die wortkarge, zynische, über den Dingen stehende Coolness. Wie Dirty Harry, oder der Mann ohne Namen ist auch Wolverine ein Außenseiter, der nur temporär und teilweise dem System dient. Er hat einen ureigenen Kodex, der ihm auch die Doppelrolle als Richter und Henker erlaubt. Sein Gerechtigkeitssinn hat etwas Urwüchsiges, Archaisches und sieht Gewaltanwendung durchaus als legitimes Mittel. Wenn also eine Superheldenfigur mit Westernmythen gekreuzt werden sollte, dann gäbe es keine Naheliegendere.
Und jede Kreuzung ist mehr als wünschenswert. Das insgesamt nach wie vor enorm erfolgreiche Superheldenkino hat sich in den letzten Jahren ins keineswegs ungefährliche Ödland aus Inhaltsleere und Substanzlosigkeit manövriert. Die hohe Schlagzahl und die immer gleichen Erzählmuster haben bereits erste Ermüdungsopfer gefordert. Aber noch hat kein Umdenken statt gefunden. Einzig und ausgerechnet der geleckte Posterboy Catptain America scherte nach seinem 08/15-Debut aus und zeigte in seinen beiden Sequels („Winter Soldier", „Civil War") wie man das Genre frisch und relevant hält, wenn man sich nur traut auch mal ein paar weniger begangene Seitenwege einzuschlagen. Übrigens seinerzeit ein bewährtes Mittel vieler Western, die parallel als Kammerspiel, Psychothriller, Kriminalstück, oder Beziehungsdrama funktionierten und damit trotz Schwemme relevant blieben.
Der Western also scheint wie geschaffen für den Schwanengesang eines rentenreifen Superhelden. James Mangold hat das nicht nur sehr richtig erkannt, sondern auch konsequent umgesetzt. Den allzu plakativen Hinweis auf „Mein großer Freund Shane" - Xavier sieht den Film im Fernsehen - hätte es dafür gar nicht gebraucht. Die Konnotationen sind auch so klar erkennbar.
„Logan" ist ein nihilistischer, finsterer Abgesang auf Heldentum und Außenseiterdasein. Der einstige Alphatier-Mutant hat sich in die staubige Einöde hinter der mexikanischen Grenze zurück gezogen. Auf einer halb verfallenen Farm haust er weitestgehend isoliert mit dem ebenfalls deutlich gealterten Professor X, dessen zunehmende Demenz eine Bedrohung für die Menschheit darstellt. Die Kräfte der beiden Mutanten schwinden, ihre Spezies ist fast ausgestorben, das Ende scheint nahe. Da taucht urplötzlich ein schutzbedürftiges kleines Mädchen auf und durchbricht den tristen Alltagstrott aus bleierner Langeweile und resignativer Todessehnsucht. Laura wird von von einer Armee schwer bewaffneter Söldner verfolgt, die im Dienst eines obskuren Großkonzern stehen. Und der verfolgt Absichten, die Logan nur allzu bekannt vorkommen.
Ein simpler Plot, ohne Frage, aber das muss kein Manko sein. Die Handlung einiger der größten Western aller Zeiten lassen sich in zwei Sätzen zusammen fassen. In „Logan" passiert nicht viel an äußerer Handlung, im Prinzip handelt es sich um eine einzige, lange Verfolgungsjagd, dafür bleibt mehr Zeit für das Innenleben der Figuren und die wird weidlich genutzt. Ein Glück, wenn man Darsteller wie Hugh Jackman und Patrick Stewart hat, die seelische Abgründe und Stimmungen spürbar machen können, ohne dabei viele Worte verlieren zu müssen.
Gewalt gibt es auch und die fällt deutlich drastischer aus, als es von dem familienfreundlichen Genre gemeinhin gewohnt ist. Der Erfolg des in dieser Hinsicht Maßstäbe setzenden „Deadpool" hat wohl die Studiobosse etwas mutiger gemacht. Für „Logan" ist diese ungewohnte Härte ein Segen, denn ein raubtierhafter Mutant mit messerscharfen Krallen in Bajonett-Länge war noch nie der klassische Kinderzimmerheld, zumal Themen wie psychischer- und physischer Verfall, ein demontierter Heldenmythos sowie ein Hinterfragen der eigenen Lebensleistung nicht unbedingt zum juvenilen Standard-Gesprächsstoff zählen dürften.
Mangold begeht allerdings nicht den Fehler, sich an der rohen Brutalität zu weiden. Trotz teilweise splattriger Einstellungen inszeniert er sie ruppig, kurz und eruptiv genug, um dem möglichen Gorehound-Gejohle zu entkommen. Die Gewalt steht für die wilde Natur Logans, aber auch für die Ausweglosigkeit und Tragik seiner Situation, gegen die er kein anderes Mittel findet, gegen die man ihn aber auch kein anderes Mittel finden lässt. Die Gewalt bietet ihm letztlich auch keine Erlösung, aber zumindest Selbsterkenntnis.
Das Ende ist von Beginn an klar, nicht nur Logan selbst, sondern auch dem Zuschauer. Der Weg dorthin ist das eigentliche Faszinosum, ein staubiger, steiniger, blutiger Weg, der sich zu großen Teilen im Innern des alternden Helden abspielt. Ein Weg aber auch, dem ein zwei Ruhepausen weniger nicht geschadet hätten. Manches wirkt zu gewollt elegisch und zu bemüht episch. Da waren die großen Vorbilder vielleicht doch ein wenig zu dominant. Dabei braucht man gar kein Kenner von Western-Abgesängen zu sein. Es hilft allerdings um James Mangolds Superhelden-Variante zu mögen und vielleicht auch zu genießen. Der klassische Westernheld schwimmt meist gegen den Strom der Gleichförmigkeit, Konformität und Risikolosigkeit. So gesehen wird es höchste Zeit, dass sich Logans Kollegen ebenfalls Hut und Colt schnappen.