Auch 65 Jahre seit seiner Veröffentlichung und diverse Remakes haben „Der Dieb von Bagdad“ noch nichts anhaben können, wenn es darum geht, ein familienfreundlicher Märchenfilm aus dem Orient zu sein, der einen von Kindesbeinen an geprägt hat.
Die von vielen Drehschwierigkeiten und dem Kriegsausbruch beeinträchtige Produktion verschliss geradezu sensationelle sechs Regisseure, von denen immer noch drei in den Vortiteln genannt werden. Das Ergebnis ist und bleibt trotzdem immer noch verblüffend und wirkt sowohl im Alter von sieben Jahren wie auch mit siebenundsiebzig.
Möglicherweise liegt es an der bloßen Pracht dieser Produktion, die praktisch aus allen Poren quillt. Weiße Türme und Minarette breiten sich da über der Skyline von Bagdad und Basra aus, die buntesten Segel blähen sich im Wind und um jede Ecke wartet ein neues Wunder.
Kennzeichen der Produktion ist auch ihre vertrackte Erzählstruktur, die der Tradition von 1001 Nacht Rechnung trägt: ein blinder Bettler erzählt in einem Harem seine Geschichte (und die seines Hundes). Er selbst sei der junge Sultan von Bagdad, von seinem finsteren Großwesir in den Kerker geworfen und mit Hilfe eines kleinen Diebs geflüchtet. In Basra erfährt der junge Mann seine große Liebe, als er die Prinzessin der Stadt erblickt, doch die Freunde werden gefangen und der schurkische Jaffar, verzaubert beide zu ihrem Schicksal.
Der Film hat schon mehr als ein Drittel hinter sich, wenn man in die Gegenwart zurückkehrt, doch kaum ist die Prinzessin aus todesähnlichem Schlaf erweckt, flieht der Bösling mit ihr und die Freunde werden durch einen Sturm getrennt. Nun muß Abu, der kleine Dieb, den Tag retten, ein Held werden. Er begegnet einem Flaschengeist, nötigt ihm drei Wünsche ab, fliegt aufs Dach der Welt um das allsehende Auge für sich zu erringen und gelangt schließlich ins Reich der Märchen (wollten wir da nicht alle mal hin), wo ein fliegender Teppich für den finalen Showdown für ihn bereitsteht.
„Der Dieb...“ verwurstet tatsächlich viele und nicht die schlechtesten der bekannten Elemente aus 1001 Nacht und baut sie neu zusammen. Der Focus liegt dabei sichtlich auf dem Jungstar Sabu (später noch im Dschungelbuch zu sehen), der mit Frische und herbem Charme für sein ureigenstes Abenteuer kämpft. Sabu hat Präsenz, allerdings wird der Film durch keinen anderen Charakter so dominiert wie durch den Deutschen Conrad Veidt, der hier als Jaffar eine Meisterleistung abliefert. Mit brennenden Augen und finster bis ins Mark wundert man sich kaum, daß dieser Mann einen Menschen verzaubern kann oder einen Sturm heraufbeschwören, sein Blick besagt alles. Veidt hat Präsenz (wenn auch sein leichter deutscher Akzent im Original für Heiterkeit sorgen kann) und das ist mehr, als man von vielen anderen sagen kann.
Denn das Liebespaar John Justin und Jean Duprez haben kaum das Format, um dagegen anzuspielen, sorgen sie doch nur für den nötigen Love Interest. Immerhin ist Justin laut Skript stets tatendurstig und bemüht, wenn ihm auch sonst wenig Zeit für Heldentaten gegeben wird.
Was den Film aber unverwechselbar macht (und so dauerpräsent), sind seine phantastischen Ingredienzien. Rex Ingram als Flaschengeist ist eine wunderbar dröhnende Schöpfung, die sechsarmige, tödliche Silberdame ein androgynes Meisterwerk, um Kinder zu verstören. Dazu kommt natürlich noch ein fliegendes Pferd, das Land der Wunder und nicht zuletzt der Kampf mit der Riesenspinne.
In der Tat ist die Sequenz im Tempel des allsehenden Auge der Teil des Films, der allen Zuschauern unvergeßlich bleibt. Schon von außen ein bemerkenswertes Modell, bietet die indische Pracht im Inneren, seine unglaubliche Detailverliebtheit und Versponnenheit ein Meisterwerk des Visuellen. Die riesenhafte Statue der vielarmigen Göttin birgt im Inneren die mörderische Gefahr eines riesigen Spinnennetzes samt ihrer tödlichen Bewohnerin und wer könnte den Blick in den dunklen Todesschacht darunter vergessen, an dessen Ende riesige Tintenfische im Wasser lauern?
Sicher, die Tricks sind nicht perfekt. Heutzutage kann man der Spinne die Machart anerkennen, wirken die Rückprojektionen und Traveling Mattes bei den Flugszenen des Teppichs und des Pferds unfertig und schludrig, ist das Auftauchen des Geistes ein relativ simpler Trick und die Puppe beim Anflug auf den Tempel ein unbewegliches, deutlich hölzernes Püppchen, aber der Verve und Drive samt eines mitreißendes Soundtracks von Miklos Roszas lassen das alles möglichst schnell vergessen.
Dieser Film von 1940 ist, wie auch „Der Zauberer von Oz“ einer der Filme, aus dem die Träume von ganzen Kindheitserinnerungen geprägt werden und kaum etwas davon wird vergessen sein, wenn man erst erwachsen ist. Trotz aller Mängel ein unsterblicher Klassiker : 9/10