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Als 1967 mit Helga - Vom Werden des menschlichen Lebens der erste staatlich geförderte Aufklärungsfilm in der Bundesrepublik in die Kinos kam, klingelten die Kassen und er sorgte mit der nackten Ruth Gassmann für einen Skandal. Die bis in die 60er Jahre tabuisierte Sexualität machte die Jugendlichen neugierig und Oswalt Kolle, der zuvor schon in Zeitschriften öffentlich über Sexualität schrieb, gelang es mit einem klugen Schachzug, mit dem 1968 entstandenen Film Das Wunder der Liebe der Zensur zu entgehen. Mittels eines Sexualwissenschaftlers und eines Psychologen verpackte er seinen pseudo-dokumentarischen Aufklärungsfilm als populärwissenschaftliches Bildungsfernsehen und sollte zum Zugpferd der Sexuellen Revolution werden, die in Westdeutschland Ende der 60er Jahre die christlich-konservative Sexualmoral ablöste und mit ihr ein Thema, über das man nicht spricht, zu öffentlicher Auseinandersetzung verhalf. Außereheliche Sexualität, Homosexualität und Pornografie - bis dahin Straftatbestände und gesetzlich verboten - wurden im Zuge der Aufklärungswelle legalisiert, der „Kuppeleiparagraph" um die Beförderung vorehelichen Geschlechtsverkehrs aufgehoben, „Ausprobieren" vor der Ehe mit mehreren Partnern wurde legitim.

Einhergehend jedoch mit der Freiheit und Enttabuisierung der Sexualität, die dadurch erreicht wurde, fand auch die Pornobranche zu ihrer Blüte, die auch oder gerade heute im Zeitalter der DVD und des Internets boomt und mittlerweile weite Teile der Gesellschaft durchdringt. Das Bedürfnis der Jugendlichen der 60er Jahre nach sexueller Aufklärung sollte mehr als befriedigt werden, die Übersättigung mit sexuellen Motiven oder Inhalten - besonders in der Werbebranche - war die Folge. Es ist also eine zweischneidig zu betrachtende Lawine, die nicht nur, aber ganz besonders Oswalt Kolle, genannt „der Orpheus des Unterleibs" mit seinem Film Das Wunder der Liebe seinerzeit lostrat.

Gleich nach dem Filmtitel steht dabei die Einblendung Sexualität in der Ehe, welches das vorherrschende moralische Bild des Westens, dass Geschlechtsverkehr nur innerhalb einer ehelichen Gemeinschaft betrieben wird, illustriert. Oswalt Kolle und zwei Wissenschaftler diskutieren dabei über den Sinn und die Notwendigkeit sexueller Aufklärung hinsichtlich des Glücks und der Möglichkeiten der Verbesserung des ehelichen Zusammenlebens, wobei zahlreiche - aus heutiger Sicht - skurrile, um nicht zu sagen: lächerliche Aussprüche fallen. Erkenntnisse wie „Sexualität ist eine besondere Quelle von Freude und Lust für den Menschen. Sie dient weiter dem Spannungsausgleich und ist damit psychiologenisch sogar notwendig." wirken heute eher erheiternd, so stark haben sich Moral und Gesellschaft gewandelt. Allerdings begab man sich 1968, in einer Zeit, in der insbesondere die katholische Kirche trotz bereits weit verbreiteter Antibabypille noch einen stärkeren Einfluss auf die Sexualität, die Erotik, menschliche Beziehungen und moralische Ansichten ausüben konnte, damit hart an die Grenze.

Noch 1951, als in dem Film Die Sünderin Hildegard Knef nur sekundenkurz nackt auf einem Liegestuhl zu sehen war, versuchten die katholische Kirche und christliche Jugendliche durch Demonstrationen die Aufführung des Films zu unterbinden. Die Aufklärung ist unaufhaltsam und geistiger als auch sexueller Natur - 1968 mussten gar halbnackte kopulierende Liebende und entblößte Brüste in Das Wunder der Liebe missmutig unter dem Deckmantel der „staatliche Sexualaufklärung" hingenommen werden. Heute locken diese prüden, kaum zeigefreudigen und zudem teils ungestüm und seltsam gehemmt wirkenden Szenen (man achte einmal darauf, dass sämtliche Griffe ans Hinterteil peinlich vermieden werden) Niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.

Nach einer Einführung und einer 10-minütigen Diskussion mit bereits angesprochenen Experten lässt Kolle einige kurze Episoden mit den Themen des Exhibitionismus, der Onanie und der Menstruation, die polemisch die rückständigen, konservativen Erziehungsmethoden der Eltern und deren verklemmten bis peinlich berührten Umgang mit diesen Dingen aufzeigen, folgen. Es schließen sich zwei allzu plump vorgetragene, angebliche Fallbeispiele an, in welchen zwei Paare mit den sexuellen und psychologischen Problemen kämpfen müssen, die im Verlauf ihrer noch jungen Ehe auf sie zukommen.

Da hätten wir zuerst das junge Paar Petra und Tommy. Ihr macht es keinen Spaß mit ihm zu schlafen, weil er nur auf sein Vergnügen bedacht ist. Dieses Problem diskutieren sie aus.
Bei Claudia und Martin hingegen gibt es ein anderes Problem: Nach sieben Ehejahren und zwei gemeinsamen Kindern kümmert sich der Workaholic Martin sexuell nicht mehr genug um seine Frau, die deswegen beinahe mit dem Autoverkäufer Klaus fremdgeht.
Aus dem Off kommentiert Kolle hin und wieder einige Dinge wie um das „Aufeinandereinstellen" eines Paares u. Ä., was heute wiederum reichlich angestaubt wirkt.

Die Inszenierung von Das Wunder der Liebe generell wirkt reichlich altbacken und bieder. Einzig die Episoden um die beiden Paare verbreiten heute ob ihrer Naivität einen gewissen Charme, wenn darüber aufgeklärt wird, dass Männer schneller erregt sind als Frauen oder diese sehr viel empfänglicher für Zärtlichkeiten sind und gern auch einmal „oben liegen" dürfen/können, weil es nichts „Böses" ist. Das klassische Rollenbild vom arbeitenden Mann, der das Geld nach Hause bringt und der Frau, die sich um Kinder und Hausarbeit kümmert, wird jedoch nicht infrage gestellt, sondern beinahe noch glorifiziert. Auch die Berührungen und Erotikszenen als solche wirken verkrampft. Im Film offenbart sich also ebenjene Doppelmoral, wie sie von Oswalt Kolle in der Einführung angeprangert wurde. Dies hinterlässt bei seinem bahnbrechenden, aber aus heutiger Sicht nur noch skurril anmutenden Film einen eher schlechten Eindruck.

Das Wunder der Liebe
kann heute als historisches Dokument einer rückständigen Sexualmoral gesehen werden. Während im Westen erst schleppend durch die Aufklärungs- und später: Erotikfilme die Freiheit auch auf sexueller Ebene gelebt wurde, war der Osten - auch was die modernen Rollenbilder um die alleinerziehende, arbeitende Mutter und sexuelle Freiheit, die als natürlich angesehen wurde - weit voraus. Vielleicht braucht es heute wieder einen Sexualaufklärer wie Oswalt Kolle, der 13-jährigen Müttern, die Sex und Liebe miteinander verwechseln (das Thema des zweiten Kolle-Films Das Wunder der Liebe II - Sexuelle Partnerschaft) ebenso wie Kinder- und Schlafzimmer. Führte Kolles mittlerweile arg angestaubter Film damals zur sexuellen Freiheit generell, ist er heute überholt und es wäre ein neuer Film notwendig, der die Kinder und Jugendlichen lehrt, mit der sexuellen Reizüberflutung in Filmen, Videoclips und Werbung sowie dem Riesenangebot der kapitalistischen Überflussgesellschaft zurecht zu kommen - Kolle sei dank oder Kolle zum Trotz (4/10).

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