Review

„Als Anti-Bond zum Durchbruch"

Am 14. März 2008 feierte Sir Michael Caine seinen 75. Geburtstag. Der britische Charaktermime kann auf eine ebenso lange wie illustre Karriere zurück blicken. Trotz zweier Oscar-Gewinne und dem Ritterschlag durch die Queen (2000) finden sich unter Caines weit über 100 Filmrollen allerdings auch zahlreiche schwarze Schafe. Vor allem um seinen mondänen Lebensstil zu finanzieren, setzte der Filmstar häufig mehr auf Quantität denn auf Qualität. Wie sein Freund Sean Connery feierte Caine seinen Durchbruch in den 1960er Jahren. Ironischerweise ebenfalls als britischer Geheimagent. Allerdings haben Harry Palmer und James Bond nicht allzu viele Gemeinsamkeiten. Und das war durchaus so beabsichtigt.

Nach dem erdrutschartigen Siegeszug der ersten drei 007-Filme (1962-64) brach eine globale „Bonditis" aus, die einen regelrechten Agentenfilm-Boom auslöste. Folglich brach eine wahre Flut von Spionagefilmen über das lechzende Publikum herein. Harry Saltzmann - zu diesem Zeitpunkt noch gleichberechtigter Partner von Bond-Produzent Cubby Broccoli - dachte sich, warum nicht ebenfalls von der selbst ausgelösten Goldgräberstimmung profitieren? Allerdings sollte es keine müde Kopie der gewinnbringenden „Hausmarke" sein. Saltzmann dachte vielmehr an einen Gegenpol zum Jet Set-Agenten und eine ernsthaftere Ausrichtung der Spionagethematik.

Die Agenten-Romane des Engländers Len Deighton schienen dafür wie geschaffen, wurde dieser doch von der britischen Presse als der „bessere Fleming" gefeiert. Sein Romanheld Harry Palmer hatte so gar nichts gemeinsam mit dem stets souveränen Weltenretter. Palmer kocht gern, hört mit Vorliebe klassische Musik und schätzt sein ruhiges, beschauliches Privatleben. Seine Vergangenheit ist zwielichtig und von seinem Vorgesetzten wird er keineswegs als Star der Abteilung gesehen. Eher im Gegenteil. Palmers Personalakte zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Charakterbild: vorlaut, arrogant und renitent.

Für die Rolle dieses „Anti-Bond" verpflichtete Saltzmann den damals zwar aufstrebenden, aber der breiten Masse noch relativ unbekannten Michael Caine. Er unterschrieb einen 7-Jahresvertrag, womit eine mögliche Harry Palmer-Reihe abgesichert war. Da weder Hauptdarsteller noch Handlungsgerüst an den boomenden Trendsetter erinnerten, versuchte Saltzmann das Gewinnbringende Bond-Feeling auf andere Weise zu erzeugen.
Für den ersten Palmer-Film verpflichtete der findige Produzent nicht weniger als drei tragende Säulen der Bondschen Erfolgsformel: Cutter Peter Hunt, der mit einer neuartigen Technik - schnelle, handlungsunterstützende Schnitte - maßgeblich für die Rasanz der Bondfilme verantwortlich zeigte. Production Designer Ken Adam, der durch seine extravaganten Bauten und Interieurs den mondän-futuristischen Bond-Look kreierte. Und nicht zuletzt Filmkomponist John Barry, dessen unverwechselbarer Sound bis heute ein Markenzeichen der 007-Serie ist.
Dieser Cast war ein cleverer Schachzug, da die eigentliche Geschichte wesentlich realitätsbezogener und weit weniger actionbetont war. So hatte die angepeilte Zielgruppe zumindest unterschwellig das Gefühl, mit einem Bond-ähnlichen Produkt konfrontiert zu werden. Und schließlich ging es ja auch in Ipcress - streng geheim um einen britischen Geheimagenten.

Der Film beginnt mit der Entführung des Atomphysikers Radcliffe. Das Verteidigungsministerium zeigt sich äußerst beunruhigt, da seit geraumer Zeit politisch wichtige Wissenschaftler entweder sterben, verschwinden oder sich überraschend in den Ruhestand zurückziehen. Colonel Ross (Guy Doleman - Graf Lippe in Feuerball und damit der vierte „Bondveteran" des Films) beauftragt den unbequemen Sergeant Palmer (Michael Caine) mit einer untergeordneten Spionageabteilung zusammenzuarbeiten, um die Entführung aufzuklären. Ross vermutet eine Verschwörung in den eigenen Reihen und setzt deshalb den wenig Obrigkeitshörigen Zyniker Palmer auf den leitenden Beamten Colonel Dalby (Nigel Green) an. Dieser wiederum hat Ross in Verdacht. Bei seinen Ermittlungen stößt Palmer auf eine Gruppe um den zwielichtigen Grantby sowie ein mysteriöses Tonband mit der Aufschrift Ipcress das eine undefinierbare Geräuschabfolge enthält. Als er entdeckt, dass Grantby die vermissten Wissenschaftler mithilfe psychologischer Folter und des Ipcress-Bandes einer Gehirnwäsche unterzieht, gerät er selbst in die Schusslinie und in die Fänge der Entführer. Mit Hilfe der „bewährten" Methode soll Palmer gefügig gemacht und zum Sündenbock gestempelt werden. Aber der unbequeme Agent hat noch einen Trumpf in der Hand.

Ipcress - streng geheim
ist ein spannender Spionagethriller, der zwar vordergründig auf der Bond-Erfolgswelle der 1960er Jahre mitschwimmt, bei näherer Betrachtung allerdings ganz andere Qualitäten aufweist. Die Geschichte wird vergleichsweise bedächtig entwickelt und baut mehr auf subtile Spannungsmomente, denn auf rasante Actioneinlagen. John Barrys Musik ist weit weniger treibend und bombastisch und transportiert perfekt die bedrohliche und mysteriöse Grundstimmung. Ein wesentliches Element der geheimnisvollen Atmosphäre ist die extravagante Kameraführung. Die Darsteller werden häufig von unten oder durch diverse Sichtfenster aufgenommen. Dazu gibt es zahlreiche schräge Einstellungen und ungewöhnliche Perspektiven. Die Rätselhaftigkeit und Undurchsichtigkeit des Plots wird damit visuell unterstrichen.
Darüber hinaus ist vor allem die Hauptfigur eine klare Abgrenzung zur 007-Reihe. Der von Michael Caine portraitierte Harry Palmer ist ein deutlicher Gegenentwurf zum virilen Frauenhelden der Connery-Ära. Zurückhaltend in Kleidung und Gestik, angewiesen auf eine dicke Hornbrille und wenig machohaften Hobbies wie Kochen und klassischer Musik frönend, spielt Caine den Agenten als unauffälligen Jedermann und kommt damit der geheimdienstlichen Realität erheblich näher als der schillernde und extrovertierte Bond.

Die Rechnung jedenfalls ging auf. Zwar konnte Ipcress - streng geheim nicht die exorbitanten Erfolgszahlen des großen Vorbilds erreichen, spielte aber dennoch genügend ein, um noch zwei weitere Harry Palmer-Abenteuer (Finale in Berlin, Das Millionen Dollar-Gehirn) zu rechtfertigen. Michael Caine avancierte mit dem „Anti-Bond" zum Star und konnte sich in der Folgezeit seine Rollen aussuchen.

(8/ 10 Punkten)

Details
Ähnliche Filme