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Experimentalfilme brechen mit den gängigen Sehgewohnheiten der Zuschauer, liefern avantgardistische Motive, um dem Medium Film neue Ausdrucksmöglichkeiten zu verleihen. In jüngster Vergangenheit konnte der Kurzfilm Graphit auf Leinwand, 1920 x 1080 px mit seinen expressionistisch anmutenden Bildkompositionen und Animationen diesem Anspruch gerecht werden. Mit bräunlichen Farbtönen, einer unheilvollen, atmosphärisch dichten Klangkulisse und weniger als 24 Bildern pro Sekunde gelang es Hanni Welter, der Regisseurin und Absolventin der FH Würzburg, ins Innere eines Kunstwerks vorzudringen, wobei immer ausreichend Raum für Interpretationen des Films bestehen.

Regisseur und Werbefilmer Ayassi, der mit Vinzent einen visuell und konzeptuell zwar ambitionierten, inhaltlich aber völlig unausgegorenen Beitrag zu diesem Genre lieferte, vermochte diese interpretative Mehrdeutigkeit jedoch nicht in seinen Film zu integrieren. Zu verwirrend, unstrukturiert und alsbald auch zu belanglos ist das Skript von Michael Wallner, welches an mehreren Punkten hoffnungslos überfrachtet wirkt.

Einerseits findet der Film zu keiner homogenen Erzählweise. Zu Beginn folgt die Narration klassisch-linearen Mustern: ein Mann namens Vinzent (Detlef Bothe) will seine Freundin Rose besuchen und in deren Wohnhaus Unterschriften gegen Tierversuche bei den Mietparteien sammeln. Dann jedoch gerät dieser eher simple Plot immer mehr durch assoziativ-zerfasernde Zwischenspiele um eine Trauerfeier sowie kafkaeske Motive (unheilvolle Musik; feindselige Menschen, die irgendetwas im Schilde führen) in seiner strukturierten Klarheit in Bedrängnis: Die Charaktere - abgesehen von der Hauptfigur Vinzent - wirken wie idealisierte Klischees, deren Schauspieler agieren affektiert bis hin zu artifiziellem Manierismus. Dabei offenbaren die Figuren jedoch keinerlei Tiefe, bleiben oberflächlich wie am Reißbrett entworfen. Die rätselhafte, kaum nachvollziehbare und alsbald mangels Erklärungen ermüdende Handlung, die sich zusehends in selbstverliebten Regieeinfällen verliert, schleppt sich dahin.

Der entfesselte Kameramann Daniel Gottschalk fasziniert dabei zunächst mit seinem Sinn für ungewöhnliche Perspektiven und der Kontrastierung von statisch-symmetrischen Anordnungen mit nervösen Digitalkameraaufnahmen. Doch spätestens bei dem 10. Blick durch den Tür-Spion, was sich in extrem konvexen Aufnahmen inklusive blechern gedämpfen Tons niederschlägt, beginnt auch dies zur Konvention zu werden und zu langweilen. Die Bilder sind meist abgedunkelt oder wenn nicht, dann mit Farbblenden oder einem Effekt verfremdet, welcher die Aufnahmen wie die Negative einer Fotografie aussehen lassen. Dies ist dem ungünstigen, kalt-distanzierten Eindruck, der jegliche Identifikation mit den Figuren leider vollkommen verweigert, förderlich.

Wenn dann immer mehr Animationseffekte in den Vordergrund treten, durchfließt Vinzent ein Hauch von Genialität, der jedoch sofort wieder durch die Abwendung von selbigem Motiv durch (die auch allgemein) viel zu leise abgemischten Dialoge auf der Tonspur konterkariert wird. Auch das surreal-absurde Finale dieses an grotesken Momenten und Elemente nicht armen Films stellt mehr Fragen, als es beantwortet. Und da der Film dennoch in der traditionellen Erzählweise verhaftet ist, stellt sich weniger die Frage nach der Intention des Regisseurs als vielmehr jene nach der Klasse des Films bezüglich der Umsetzung der Ideen, die hier (leider) nicht in einem solchen Maße vorhanden sind, als dass man von einem extraordinären Projekt sprechen könnte. „Prätentiös" trifft bisweilen als Prädikat eher zu.

Die banalen Dialoge, das zunehmend in Sachen Story minimalistische Drehbuch sowie die mäßigen Schauspielerleistungen verstellen gekonnt den Blick auf das, was Vinzent hätte werden können: Ein ambitionierter Kunstfilm, der in avantgardistischer Form mit gängigen Seh-Konventionen gekonnt bricht. Geblieben ist einzig der gescheiterte Versuch, mittels ungewöhnlicher Mittel eine sich im Kern gänzlich verflüchtigende und zudem arg unzugängliche Geschichte zu erzählen. Diese verschenkte Chance stößt bitter auf und wiegt schwerer als die zum Teil ambitioniert-verstörenden Kamera- und Tonkompositionen. Ein gescheiterter Kunstfilm. (4/10)

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