Die Oberflächenprobleme werden bereits durch Strukturschwächen evoziert, die verzogen wirken wie der Rahmen eines Autos nach einem schweren Unfall. Diese Entführungsgeschichte nach realem Hintergrund jongliert hilflos mit den einander entgegengesetzten Prinzipien des “Whodunit” und des “Howshecatchem”. Schon das Filmplakat erzählt im Grunde die ganze Geschichte, spoilert wenigstens soweit alles in Grund und Boden, dass man nicht gerade Monk heißen muss, um den Fall von selbst zu lösen. Und doch wird rund 90 Minuten lang auf einen Klimax hingearbeitet, der zugegebenermaßen schwer zu verdauen ist, aber letztendlich doch mit ziemlich billigen Mitteln Empathie erzeugt - schaut man sich mal den ziellosen Storyverlauf an, der letztlich zum einzigen Höhepunkt eines totalen Rohrkrepierers mutiert.
Dringen wir tiefer in die Geschichte ein, so ist die misslungene Synchronie der Erzählung nur unser geringstes Problem, stellt sie sich doch einfach als Symptom für die eigentlichen Achillessehnen des Tausendfüßlers “Alpha Dog” heraus. Ein Milieu soll nämlich seziert werden, der Werteverfall jugendlicher Spaßkultur zum Anliegen gemacht werden - eigentlich. Stattdessen wird jene Kultur bloß beiläufig skizziert, beliebig ein die Massen bewegendes Fallbeispiel herausgepult, das aber nicht imstande ist, Allgemeingültiges zu postulieren.
Offensichtlich ist hier auch der Wunsch Vater aller Gedanken, Klischees mit aller Macht aus dem Wege zu gehen. Ben Foster etwa ist damit beschäftigt, sich bei Drohungen so extrem die Stimmbänder aus dem Hals zu kotzen, dass nie ein Schauspieler jemals deutlicher fehlende Selbstkontrolle demonstriert hat, es sei denn, er hätte sich beim Bespucken des Telefonhörers vor lauter Aggression noch in die Hose geschissen - Foster gelingt es lediglich, auf den Teppich seines Feindes zu scheißen. Doch gerade dadurch wird man nur näher an die Klischees gepresst. Die Realität wird mit Hollywood’schen Hirngespinsten beleidigt, die traditionell davon leben, Reales dermaßen auf die Spitze zu treiben, dass eine konturierte, facettenarme Comichaftigkeit hervorquellt. Die Folge dessen ist die eindimensionale Darstellung und wird es immer sein.
Nun fehlen den im wahrsten Sinne des Wortes einmaligen Szenen, derer “Alpha Dog” viele beherbergt - allerdings kann man das “einmalig” definieren wie es einem beliebt - die Ausrufezeichen. “Welchen Preis hat ein Menschenleben?” - das ist zwar unübersehbar die Anklage. Zu Ende gedacht wird sie aber nicht. Viel lieber suhlt sich Nick Cassavetes in Absurditäten, die aus nichts weiter geboren werden als Kontrasten, die als aufregend empfunden werden sollen - und die genau deswegen gefährlich nahe an jene Ausstrahlung gelangen, die eigentlich verurteilt werden soll: die Coolness, abgefuckt zu sein. Schließlich fehlt auf Seiten der Protagonisten jegliche Selbstverantwortung. Warum also nicht meterhoch die Scheiße türmen und Medien wie elterlicher Vormundschaft die Alleinschuld geben. Leider wird diese Einstellung nicht nur dargestellt, sondern gleichermaßen vertreten.
Den Jungschauspielern fehlt es dabei offensichtlich an leitenden und begleitenden Führungskräften. Sie spielen weitestgehend ordentlich bis gut, aber vollkommen in die falsche Richtung, werden zur Übertragungsfläche für Dinge, die nicht an Ort und Stelle passen. Von den alten Haudegen Bruce Willis und Harry Dean Stanton darf keine Unterstützung erwartet werden, sie kreieren sich jenseits der eigentlichen Schauplätze ihre eigene kleine Welt und das Schicksal der Gruppe von Jugendlichen rauscht an ihnen vorbei wie der gesamte Film. Einzig Sharon Stone hat als verzweifelte Mutter ihre kleinen großen Momente, die aber mit ihrer letzten Szene niedergerissen werden, welche - der Maske und Ausleuchtung zum Dank - von einer grotesken Wirkung ist, wie sonst nur Parodien sie zu erschaffen imstande sind.
Dass ausgerechnet der Filmhöhepunkt seine Intensität einem dilettantischen Gepantsche mit dem Phänomen des Stockholm-Syndroms, dessen Einvernehmen von den Tätern gebrochen zu werden droht, verdankt, ist Zeugnis des Umstandes, dass in “Alpha Dog” zwar vieles läuft, aber alles falsch. Ein von der Wurzel an verdorbener Milieustreifen, formell ein Desaster und inhaltlich durch seinen fehlenden Positionsbezug den perspektivlosen Jugendlichen sogar noch ein Alibi gebend. Das Gegenteil sollte der Fall sein.