Der Regisseur Kevin Smith, der mit seinem No-Budget Erstlingswerk "Clerks" einen absoluten Senkrechtstart in Hollywood hinlegte, hatte zwar nicht mit jedem der kommenden Filme sofort das Glück, einen Kritiker- und Publikumshit hinzulegen (dafür floppte "Mallrats" doch zu stark), doch er bewies erfolgreich, dass er eben nicht nur lakonische (wie brillante) Slacker-Dialoge inszenieren konnte, sonder stellte seine Vielseitigkeit eindrucksvoll unter Beweis.
Bestach "Clerks" eben durch eine hohe Dosis gefühlter (und dennoch unterhaltsamer) Realität und einen großen Witz in den geschliffenen, doch oft vulgären Dialogen, änderte Smith schon beim Nachfolger "Mallrats" geschickt die Marschroute. Zwar war dem Big Budget (zumindest für Smith-Verhältnisse) - Film kein sofortiger Erfolg vergönnt (den Kultstatus, der dem Film innewohnt hat er sich erst auf Video und später auf DVD verdient), doch zeigte er Smiths Talent für physische Comedy. Im folgenden "Chasing Amy" definierte Smith mal eben das Genre der romantischen Komödie neu. Wieder mit einer großen Bodennähe und einem hohen Grad an gefühltem Realismus ausgestattet, zeigte er dass sich Liebesfilme auch "irgendwie richtig anfühlen" können (man verzeihe mir die schwammige Formulierung). Ein Film, wie das Leben selbst, nur irgendwie interessanter... Allen Filmen waren eine Zitatfreude der aktuellen und vergangenen Popkultur und ein fester Darstellerkreis gemein, der viele Insidergags möglich machte, die auch für den Namen "View Askewniverse" (abgeleitet von dem Namen von Smiths Produktionsfirma View Askew) waren.
Was sollte also nun als nächstes kommen? Smith widmete sich wieder einem anderen Genre, das er mit seinem eigenen Stil mit Leben füllen wollte: Auch wenn die folgende Aussage wohl einige schüttelnde Köpfe auslösen wird, dem Science Fiction-Film. "Dogma" ist der Name seines nächsten Werkes und ist auf den ersten Blick kein typischer Science Fictioner. Schließlich hat sich Smith als Themengebiet die Kirche und den menschlichen Glauben zur Brust genommen, um diese Institution und die damit verbundenen Werte zu karikieren, zu durchleuchten und vom Tenor her respektvoll zu hinterfragen. Was das alles mit Science Fiction zu tun hat? Nun, diesem großen Thema widmet sich Smith auf eine Star Wars-Art. Smith ist selbst ein großer und bekennender Fan der Saga um Darth Vader, Luke Skywalker und die Jedi (so finden sich auch in fast allen seinen Werken kleine Anspielungen und Hommagen an dieses Sci Fi-Märchen) und schafft seine eigene Saga. Allerdings wird hier nicht die Bedrohung des Imperiums inklusive des sinistren Darth Vader beleuchtet, sondern der Krieg zwischen abtrünnigen Engeln, Luzifer und Gott. Dieser Krieg wird natürlich auf der Erde ausgetragen und nicht mehr als die Existenz allen irdischen Seins steht auf dem Spiel.
Smith baut sich seinen Spielplatz, auf dem er sich austoben kann, großzügig und mit vielen bekannten und auch manchmal nicht so bekannten Fakten aus dem Buch der Bücher. Die Protagonisten stehen vor ebenso übermenschlichen Aufgaben, wie die der Star Wars-Filme. Zudem tragen sie mindestens ebenso viel Verantwortung. Noch dazu treten die Darsteller dieser göttlichen Komödie ebenso überlebensgroß in Erscheinung, wie in George Lucas' Filmen. Mehr als alle anderen Smith-Filme zuvor ist "Dogma" eine Odyssee. Die Protagonisten müssen einen mit Steinen gesäumten langen Weg zurücklegen, um ihre Bestimmung zu finden. Unterwegs sind sie eben nicht im rasenden Falken, sondern in irdischen Fortbewegungsmitteln. Unterwegs werden sie viele unbekannte und auch zum Teil garstige Kreaturen treffen, die sich dem tapferen Trüppchen rund um den letzten Nachkommen Jesus' in den Weg stellen.
Nun klingt das alles unlustiger, als "Dogma" letztlich geworden ist. Smith nutzt den Spielplatz, den er sich erschaffen hat, um allerlei Schabernack zu treiben. Dabei bewegt er sich aber auch nicht aus dem Sand heraus. Smith nimmt, was ihm die Bibel liefert und interpretiert alles als überlebensgroßes Abenteuer. Aus den Erzengeln werden zynische, unberechenbare und mordende Antagonisten. Aus der Muse Serendipity wird kurzerhand eine Stripperin und aus Gott wird Alanis Morissette. So einfach ist das bei Smith. Diese aus der Bibel entnommenen Versatzstücke setzt Smith so zusammen, wie er es für dieses Abenteuer braucht. Auch alte Bekannte werden natürlich wieder in die Handlung eingebaut: aus Jay und Silent Bob werden Propheten. Was nicht passt dann eben passend gemacht. Was aus diesem Gerüst entsteht, ist weit davon entfernt ein typischer Bibelfilm im Geiste von "Die 10 Gebote" zu sein. Aber wen wundert das schon bei Kevin Smith? Das Schöne und Besondere, das Smith hier mit scheinbarer Leichtigkeit gelingt ist, dass aus "Dogma" keine strunzdumme Nummernrevue geworden ist. Man stelle sich mal vor, die Wayans-Brüder wären schon früher tätig gewesen und hätten statt "Scream" eben "Die 10 Gebote" persifliert. Das Ergebnis wäre wohl ein "Best Of" aus den prägnantesten Bibelszenen geworden, die dann durch Spermaschwälle und hängende Hoden ins Lächerliche gezogen werden. Eben das macht Smith nicht. Der Film ist an den richtigen Stellen spannend, witzig und schlicht aufregend. Und am Ende hat man nicht das Gefühl, sich mit dem Film über fundamentale Dinge, wie den Glauben oder die Kirche lustiggemacht zu haben. Ganz im Gegenteil: letztlich siegt der Glaube. Auch die Klippe eines rührseeligen Endes, in dem jeder wieder in die Kirche geht, umgeht Smith ohne Probleme. "Dogma" stichelt an den richtigen Stellen und zollt den passenden Respekt an den anderen Stellen. Zwar muß ich gestehen, dass ich "Dogma" bei meinem Erstkontakt nicht wirklich mochte, was zu einem großen Teil an vielen übertriebenen Stellen des Filmes lag, doch wenn man den Smithschen Ansatz und die Herangehensweise an dieses schwierige Thema erst einmal verstanden hat, dann macht "Dogma" mit jedem Sichten mehr Spaß.
Was dem Zuschauer diesen Spaß noch weiter versüßt, ist die großartige Besetzung, die wieder mal eine Art Klassentreffen mit neuen Stars darstellt. Wieder sind Akteure zu sehen, die seit "Clerks" dabei sind. Hinzugekommen sind wirklich tolle Darsteller. Alan Rickman spielt die Rolle des Metatron, der Stimme Gottes wunderbar kauzig und weise zugleich. Mit wunderbarer Leichtigkeit stellt er eine Figur dar, aus der weder der Zuschauer noch die Protagonisten so wirklich schlau werden. Linda Fiorentino gibt die menschliche Heldin Bethany, die in dieses Abenteuer gezogen wird auch angenehm zurückhaltend. Gerade ihre Rolle hat viel "Potenzial" zu einer darstellerischen Übertreibung. Fiorentino spielt allerdings angenehm zurückhaltend. Sie ist eindeutig der "normale" Teil der Besetzung und steht folgerichtig dem Geschehen sehr skeptisch gegenüber. Eigentlich war für diese Rolle Holly Hunter und später Emma Thompson vorgesehen. Nach Betrachten des Filmes kann man sich eigentlich keine der Beiden in dieser Rolle vorstellen. Dies spricht eindeutig für die Leistung von Linda Fiorentino! Matt Damon und das Smith-Urgestein Ben Affleck spielen die beiden Engel, die eine Gefahr für die Menschheit darstellen. Die Beiden ergänzen sich sehr gut, was allerdings auch nicht wundert, da sie ja mit "Good Will Hunting" gemeinsam den Oscar-Olymp als langjährige Freunde erklommen haben. Interessant ist, dass Affleck in den Filmen von Smith auch mal die Möglichkeit hat, gegen sein Sonnyboy-Image anzuspielen. Nach dem fiesen Holden in "Mallrats" hat Affleck hier sogar die Möglichkeit des Massenmordes. Dass man am Ende des Filmes Sympathie mit den beiden Todesengeln empfindet, spricht für die darstellerische Leisung. Abgerundet wird diese Besetzung durch so illustre Namen, wie Jason Lee, Salma Hayek, Chris Rock, Janeane Garofalo und Alanis Morissette. Es ist wirklich erstaunlich, was für eine exzellente Besetzung Smith anheuern konnte, wenn man bedenkt, welches Konfliktpotenzial in dem Drehbuch steckt.
Und folgerichtig zog der Film und sein Schöpfer viele Kritiker auf den Plan, die in "Dogma" nur eine Verunglimpung des Christentums sahen. Von christlichen Seiten musste der Regisseur einiges an Prügel einstecken. Allerdings bekam der Film überwiegend gute Kritiken und war auch an der Kinokasse erfolgreich. Allein in den USA spielte er ein Vielfaches seiner Produktionskosten (ca. 10 Millionen $) wieder ein. Wieder einmal hat Smith alles richtig gemacht und sein Filmuniversum um eine interessante Facette bereichert.
Fazit:
9 / 10