Ich habe mit dieser Kritik zu Cannibal nahezu zwei Wochen gewartet und reflektiert. Was sollte ich von diesem von dem realen Fall des Kannibalen von Rothenburg nahezu vollständig inspirierten Film nur halten? Der kalten, aber eher abstoßenden Optik einer digitalen Handkamera, den billigen Sets mit kitschig schlechtem Nebeleinsatz zum Trotze, muß ich bereits hier ein Eingeständnis zum kunstlerischen Wert anlegen, ja, irgendwie beschäftigt einen das Gesehene. Ob es jedoch der Intention des Schaffenden entspricht, ob dieser überhaupt einen bestimmten Zweck verfolgte, dies wird dem Interpretierenden wie immer unbekannt bleiben.
Dabei war es die Unterstellung eines gewissen kreativen Umgangs mit einer simplen Kannibalenthematik, die mich auf Cannibal aufmerksam gemacht hat. Viel Handlungsspielraum bietet die Vorlage ja nicht. Zwei Männer treffen zusammen. Einer verspeist den anderen. Was diese Geschichte in den Medien einst so spannend machte, war die Tatsache, daß hier eine Freiwilligkeit vorzuherrschen schien. Das war etwas Besonderes gegenüber der heimischen Bibliothek, in der es meist um klare Mörder und Serientäter geht.
In der Tat verarbeitet Cannibal einen Fall für die Laufzeit eines Guinea Pig auf Spielfilmlänge und erinnert hier und dort wirklich etwas an Jörg Buttgereits Nekromantik. Wer jedoch bei einer Jeffrey Dahmer Biographie während des Lesens kurzer Andeutungen über den homosexuellen Hintergrund schon die Nase rümpfte, steht hier vor seinem Worst Case Szenario. Nach dem kurzen Versuch, den Zuschauer auf eine mögliche Ursache in der Kindheit zu lenken, was vom psychologischen Ansatz ein oft verwendeter Angriffspunkt ist, wird der Mann über Chatüberblendungen auf der Suche dargestellt, bis er im Fleisch fündig wird.
Zwar gibt es Andeutungen, die seine Fähigkeit zur Ausführung der Tat anzweifeln lassen, der Kern der Darstellung liegt jedoch auf seiner verstärkt passiven und sensiblen Rolle im für meinen Geschmack ob meines Desinteresses viel zu ausführlich gezeigter homosexuellen Zuneigung bis hin zum Geschlechtsverkehr, bei dem dankenswerterweise auf eindeutige Nahaufnahmen verzichtet wurde. Anders gesagt, ich habe bestimmt noch nie das Abschlecken haariger Männerfüße so wundervoll inszeniert gesehen, weil es mich maximal abturnt und ich derartige Filme normal nicht anzusehen pflege. Die Botschaft soll jedoch der Höhepunkt der Zuneigung mittels der Aufnahme in den eigenen Körper sein.
Wer Cannibal allein im Hinblick auf ein Exploitation Feuerwerk erworben hat, wird hier abhängig von seinen sexuellen Neigungen also stark auf die Probe gestellt. Zwar wird schließlich die Schlachtung bis hin zur Festtafel gut und einigermaßen deutlich zelebriert, gegenüber den Sexszenen fallen diese jedoch weit weniger durch ihren Selbstzweck auf. Dies mag aber auch daran liegen, daß mir die nötige Verarbeitung von Fleisch auf dem Weg zu meiner Pfanne bewußt ist. Nichts anderes geschieht hier. Es gibt keine humoristischen Ausprägungen oder besonders erstaunlichen Überraschungen. Lediglich die Zuneigung zu seinem Opfer wird durch den Mann aufrecht erhalten.
Wie der Kannibale nach vollendeter Tat nun auf das Video als seinen ultimativen Porno onaniert, wird einem bewußt, wie einfach es gewesen wäre, diesen Film unterhaltsam zu gestalten. Man ersetze das Opfer durch eine Frau und schon bieten sich ganz andere Blickwinkel. Im Angesicht des Marktes muß man sich fragen, bis wohin es noch Thrill ist und ab wann sich derartige Produkte zum Fetisch entwickeln, mit der Tendenz selber einmal zum Täter zu werden. Doch halt! Cannibal gehört ja gar nicht zu der Sorte Film, in der hilflose Menschen zu Opfern grausamer Killer oder sadistisch vergewaltigt werden!
Wir erinnern uns an den Fall von Rothenburg. Galt es hier zu entscheiden, inwiefern man das Verspeisen eines Menschen in beidseitigem Einverständnis als Straftat ansehen muß, so porträtiert Cannibal als einzig wahres Requiem die Beziehung zwischen Täter und Opfer als Pärchen mit einem gemeinsamen Ziel, bei dem es der eigentlich Passive ist, der vehement fordert, ja sogar Enttäuschung aufbringt, bei dem Gedanken, der Plan könne scheitern. Der Unwille des Täters einen Regenwurm zu zertreten wird in Kontrast zu dem Tötungsvorhaben gestellt. Hier wird kontrovers provoziert, sich mit der Ethik des Falles auseinander zu setzen.
Da Cannibal in seiner detaillierten Umsetzung jedoch bei dem, der die Tat als solche bereits aufgrund seiner Ablehnung wenig durchleuchtete auf noch weniger Gehör stoßen wird, jedoch bei dem, der sich distanziert damit auseinandersetzte auch keine neue Erkenntnis wachrüttelt, muß man den eigentlichen Zweck des Streifens hinterfragen. Auch für die wenigsten Freunde des harten Undergroundkinos dürfte Cannibal unterhaltsam sein. Ein zweites Mal wird man ihn bestimmt nich anschauen, als Hetero das Vorschlagen für den Videoabend mit den Kumpels eher als unpassend erachten. Dem künstlerischen Ansatz zu Gunsten, wegen der schön eingefangenen Weinbergschnecke und dem Minor Threat Shirt eines Nebendarstellers vergebe ich noch ein paar Gnadenpunkte für meinen ersten und vermutlich letzten Schwulenporno.