Es gibt ihn in "Black Snake Moan" - diesen magischen Moment, der Gänsehaut-Feeling verbreitet und der einem lange im Gedächtnis bleibt :
Lazarus (Samuel L.Jackson) kommt mit seiner Gibson-Gitarre in den überfüllten verrauchten Schuppen, setzt sich mit zwei anderen Musikern in eine enge Ecke und sie spielen den Blues, langsam und erdig. Während Lazarus immer wieder sein "Motherfucker" ins Mikro bläst und die Finger über die Gitarre gleiten lässt, bewegen sich die Leiber dazu im Rhytmus. Schwarz und Weiß, Frauen und Männer verschmelzen zu einer Einheit. Die Kamera schaut in ihre selbstvergessenen Gesichter, zeigt ihren lasziven Tanz in Zeitlupe und verweilt bei Rae (Christina Ricci), die wie selbstverständlich ihre Erotik auslebt...
In diesem Moment ist der Film ganz ehrlich, ohne polarisierende Dramatisierungen und verlogene harmonische Wendungen. Rae wird weder als selbstzerstörerische Nymphomanin, noch als domestiziertes Weibchen geschildert. Der Blues bietet den Menschen in diesem verlassenen und von der Moderne vergessenen Winkel in Louisiana den Moment des Glücks, den das normale Leben scheinbar nicht zu bieten hat.
"Black Snake Moan" beginnt mit einem Gespräch zwischen Lazarus und seiner Frau Rose, die sich von ihm getrennt hat. Der Versuch einer Klärung scheitert und endet damit, dass Rose ihm offeriert, dass sie ihn nicht mehr liebt. Parallel dazu haben Rae und Ronnie (Justin Timberlake) ihre letzte gemeinsame Nacht verbracht, bevor dieser zur Army geht. Sie fleht ihn an, bei ihr zu bleiben, aber er fährt mit seinem Freund Gil davon.
Die labile Rae verkraftet das nicht und verfällt wieder in ihre nymphomanen Verhaltensmuster. Der Film spart nicht mit einer harschen Darstellung und Christina Ricci gelingt eine überzeugende Tour de Force ihrer fortschreitenden Erniedrigung bis sie halbtot im Straßengraben liegt. Verantwortlich dafür ist ausgerechnet Ronnies Freund Gil, der Raes Verhalten beobachtete und selbst davon profitieren wollte. Genau hier zeigen sich erste Schwächen des Drehbuchs, das sich hauptsächlich den beiden Protagonisten Rae und Lazarus widmet. So ist Gils brutale Reaktion auf Raes leicht hämische Bemerkung bezüglich der Größe seines Penis nur schwer nachvollziehbar. Ist er heimlich in sie verliebt ? - Ist er wütend auf sie, weil sie seinen Freund Ronnie betrogen hat ? - Der Film beantwortet diese Fragen nicht und erklärt schon gar nicht, warum er sie, nachdem er sie geschlagen hatte und für tot hält, einfach achtlos in den Graben schmeisst.
Man kann sich nicht des Gefühls erwehren, daß hier einfach ein Plot hochstilisiert wurde, um Rae in Lazarus' Hände zu geben. So verliert der Film auch jedes Interesse an Gil und kümmert sich nicht weiter um ihn. Stattdessen beginnt jetzt die Auseinandersetzung zwischen Lazarus und Rae, der er erst einmal wieder Leben einhauchen muß. Als sie endlich wieder erwacht, muß sie feststellen, daß sie an die Kette gelegt wurde und das ihr merkwürdiger Retter vor hat, sie von ihrem Übel zu heilen..
Während sich der Film zu Beginn hauptsächlich Raes Obsessionen und Lazarus gescheiterter Ehe widmet, und dabei ein äußerst desolates Bild der hiesigen Verhältnisse beschreibt, wechselt er ab diesem Zeitpunkt zu einer positiven Sichtweise. Zwar gibt es genremäßig noch provokant, rotzige Dialoge zwischen den Protagonisten, aber der Film dreht schnell in die Richtung einer harmonischer Auflösung. Dabei spart er nicht mit Klischees und typischen Schuldzuweisungen. Sowohl die Verbannung von Raes Promiskuität in Richtung Teufelszeug, als auch die Mißbrauchsgeschichte aus der Kindheit sind schwer verkraftbare Griffe in die Mottenkiste. Genauso wie Jackson sich immer mehr zum reinen Gutmenschen entwickelt, der auf dem Weg der Seelsorge keine Fehler macht und natürlich im richtigen Moment Rae die Ketten wieder abnimmt.
Hier verleugnet der Film seinen eigenständigen Ausgangspunkt, indem er sich keine Mühe bei den Charakterzeichnungen gibt. Bis auf wenige Andeutungen zu Beginn, als Lazarus seinen Bruder bedroht, bleibt er völlig eindimensional. Und warum ihn die Untreue seiner Frau, die ihn zu Beginn noch so runtergebracht hat, nach Raes Auftauchen keine Rolle mehr spielt und er sich schlagartig um die nette Apothekerin bemüht (alles innerhalb von 24 Stunden), wird auch nicht schlüssig erklärt. Noch vereinfachender wirkt "Black Snake Moan" bei Raes Entwicklung. So überzeugend ihr aufbrausender, verletzlicher Charakter lange Zeit wirkt, so wenig erklärlich ist dann ihre weitere Entwicklung. Dass der Film dabei nicht auf eine typische dämonisierende und die Gewaltspirale nach oben treibende Story setzt, ist positiv, aber das befreit ihn nicht davon, diese Wendung schlüssig darzustellen.
Dass diese deutlichen Drehbuchschwächen nicht zum Scheitern des Films führen, liegt an den ausgezeichneten Darstellern und der Bluesmusik. Jackson und Ricci agieren so überzeugend, dass sie ihren Figuren alleine durch ihre Persönlichkeit eine Tiefe verleihen, die ihnen das Drehbuch verweigert. Dazu entsteht durch die Musik und die Location eine Atmosphäre, die den Zuschauer mitreisst und in einen Zustand versetzen kann, die ihn über jegliche Klischees hinweg sehen lässt. Das lässt "Black Snake Moan" besser wirken, als sie Summe seiner gestalterischen Einzelteile.
Fazit : Die Geschichte über die beiden Verlierer Rae und Lazarus, die das Schicksal zusammenführt, beginnt voller obsessiver und deprimierender Momente und bereitet ein desolates Bild des Provinznestes in Louisiana. Doch "Black Snake Moan" geht einen eigenwilligen Weg und sucht nach einer Lösung aus dem Dilemma.
Leider setzt der Film dabei hauptsächlich auf seine überragenden Akteure Samuel L.Jackson und Christina Ricci und leistet sich ein Drehbuch voller Klischees und teilweise ärgerlichen Vorurteilen. So wird Ricci in ihrer Sexualität entweder als (böse) Nymphomanin oder (gute) treue Frau dargestellt, ohne Zwischentöne zu finden. Einzig in der oben beschriebenen Tanzsequenz, vermittelt der Film auch eine Erotik ohne diese klischeehaften Einordnungen.
Insgesamt ist "Black Snake Moan" ein atmosphärisch dichter Film mit deutlichen Drehbuchschwächen, der durch seine Bluesmusik magische Momente bereiten kann (6/10)