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Destricted

„Destricted“ ist ein Gemeinschaftsprojekt von sieben engagierten Filmemachern, das Ziel ist es ungeschminkte Hardcore-Szenen, sprich Pornografie, und Kunst zu verbinden. Dabei sind die HC-Szenen nicht in die Handlung als Stilmittel eingebaut sondern werden selbst zur Kunst durch die sehr unkonventionelle Herangehensweise der unterschiedlichen Regisseure. Die sieben Episoden haben nichts miteinander zu tun außer dem gleichen Konzept, fast jede wurde zudem auf unterschiedlichem Filmmaterial gedreht.

Jeder Regisseur behält seinen eigenen Stil bei und dennoch funktioniert das Gemeinschaftsprojekt in sich hervorragend. Ein stimmiges Gesamtbild ist entstanden, gerade weil man durch die unterschiedlichen Blickwinkel der begabten Macher sieht. Abwechslungsreich ist „Destricted“ in jedem Fall und vermag auch abgeklärte Zuschauer durch die eine oder andere bizarre Idee zu überraschen.


Sync

Vom Ex-Werbefilmer Marco Brambilla („Ärger im Gepäck“, „Demolition Man“) stammt der kürzeste Beitrag, betitelt „Sync“. Hierbei handelt es sich um eine extrem schnell geschnittene Collage aus allerlei Sex-Szenen. Dabei sind bekannte aus Hollywood ebenso wie aus irgendwelchen Pornofilmen. Softe Szenen werden kombiniert mit echtem Hardcore und zwar verschwimmt die Grenze merklich durch die wahnsinnig hektische Schnittfolge der Bilder. Eine wahre Flut, die den Zuschauer stark überreizt, jedoch einen bleibenden Eindruck hinterlässt und sehr gut wirkt. Musikalisch unterlegt ist das Ganze mit einem rhythmischen Drum-Solo, was als Score durchaus reicht. Nach knapp zwei Minuten ist „Sync“ schon vorbei, und wirkt aufgrund der kurzen Laufzeit nicht langweilig oder eintönig. Für den phänomenalen Schnitt zeichnete sich Brambilla selbst verantwortlich, hier zeigt der Regisseur, dass er einiges von Montage, Ästhetik und Technik versteht.

House Call

Der berühmte Fotograf und Maler Richard Prince inszenierte die Episode „House Call“, mit zwölf Minuten ebenfalls ein recht kurzer Beitrag. Gedreht wurde auf DV-Material, allerdings ist das Gezeigte stark verfremdet und wirkt ziemlich verschwommen, hat aber eine gewisse Ästhetik. Der ruhige, irgendwie beunruhigende, Score stammt ebenfalls von Prince und spielt eine große Rolle, da nicht gesprochen wird. Die HC-Szenen, welche nach knapp der Hälfte einsetzen erinnern stark in ihrer Fotografie und Drehart an das Golden Age of Porn, wofür auch die Behaarung spricht. Formal gibt es natürlich keine Ähnlichkeiten und narrative Elemente besitzt der Kurzfilm nur marginal. Der stylische Abspann macht noch mal klar von wem dieser künstlerische (Samen-)Erguss stammt und schließt einen interessanten, wenn auch etwas nichts sagenden Clip, welcher die exklusive Herkunft seines Machers deutlich zeigt.

Balkan Erotic Epic

Die Performance-Künstlerin Marina Abramovic ist mit ihrer Kunst schon Jahrzehnte bekannt und fiel filmisch bisher nur einmal auf, mit dem preisgekrönten Video-Kunstwerk „Balkan Baroque“. Sie ist für ihr politisches Engagement bekannt und daher wirkt ihr Beitrag zu „Destricted“ sehr symbolisch und gesellschaftskritisch. Hier geht es hauptsächlich um eine gewisse Personengruppe die eine sehr spezielle Beziehung zur Natur haben. Eine vergleichbare Szene habe ich nur in „Subconscious Cruelty“ gesehen, wobei es in „Balkan Erotic Epic“ nicht zu blutigen Ausschweifungen kommt, dafür geht es sexuell etwas freizügiger zu. Meiner Meinung nach der schwerste und unverständlichste Kurzfilm der Sammlung. Hat mich ziemlich ratlos zurück gelassen, es handelt sich wohl um eine Satire mit gesellschaftlichen Bezügen. Obwohl es verbal ständig sexuelle Anspielungen gibt ist BEE der am wenigsten explizite Beitrag. Insgesamt aber dennoch gelungen, auch wenn die surrealistische Art sehr seltsam rüber kommt. Gefilmt mit 16mm-Material ist die Optik sehr hochwertig und die Fotografie versiert. Wie in ihrer eigentlichen Kunst, der Körper-Performance, spielt der menschliche Körper die Hauptrolle in ihrem Kurzfilm, außerdem die slawische Musik, die eine sehr melancholische bis schwermütige Stimmung erzeugt. Der Abspann ist dann noch mal genauso merkwürdig wie der Film: Eine Frau mit üppigen, entblößten Brüsten ist zu sehen und ihre langen Haare wurden ihr so sorgfältig über das Gesicht gekämmt, das man von selbigem nichts sieht. Dabei schlägt sie in langsamem Rhythmus einen Totenschädel, den sie in der Hand hält, regelmäßig gegen ihren Busen. Irgendwie sehr gespenstisch diese Szene. Mit nur dreizehn Minuten ist trotz aller Befremdlichkeit die Laufzeit nicht zu lang und der Film lässt sich ohne weiteres anschauen.

Death Valley

Sam Tyler-Wood ist eine Foto- und Video-Künstlerin und inszenierte ihren Beitrag ebenfalls auf 16mm-Material. Ihr Film beginnt mit einem ruhigen Kamera-Schwenk durch die Wüste, zu erblicken ist ein junger Mann der der Kamera immer näher kommt. Der Mann scheint direkt vor dem Auge des Betrachters den geeigneten Ort gefunden zu haben, zieht sein rotes T-Shirt aus und kniet sich hin. Dann fängt er an zu onanieren und wechselt währenddessen mehrmals die Position. Der Score besteht aus ruhigem Gitarren-Geklimper und passt zu der, die ganze Zeit über statisch bewegungslosen, Kamera. Nach acht Minuten ist der Mann dann fertig und der Film auch schon vorbei. Was bleibt ist ein gut gewähltes Szenenbild, Handlung und Dialog existieren hier abermals nicht. Ein seltsames Werk, die Anonymität des modernen Menschen und sein Verhältnis zur Natur und zur Ewigkeit sind hier wohl das Thema. Dennoch muss jeder Zuschauer für sich selbst raus finden was die Regisseurin wohl sagen wollte, oder ob sie bloß eine voyeuristische Frauenfantasie bedient. Ich denke ersteres ist der Fall. Da der junge Mann am Ende des Films verzweifelt sein Gesicht dem Boden zuwendet und er nach der Ejakulation noch wesentlich unglücklicher wirkt als zuvor entwirft die Macherin hier offensichtlich ein sehr negatives Bild männlicher Sexualität.

Hoist

Matthew Barney ist hauptsächlich bekannt für seine filmischen Kunstwerke „Cremaster 1-5“, dieser Zyklus gehört mit Sicherheit zum optisch revolutionärsten im Film der Neunziger Jahre.
Sein Film „Hoist“ beginnt mit der dreiminütigen, statischen Einstellung eines Penis. Dieser ist aber erst nach genauerem Hinsehen als solcher auszumachen, da die Haut des Mannes sehr dreckig ist und von etwas undefinierbarem überzogen. Anschließend sieht man Industrie-Arbeiter bei der Arbeit und schließlich den 50 Tonnen Truck, der eine wichtige Rolle spielt in „Hoist“. Ein Mann findet sexuelle Befriedigung darin sein Geschlechtsteil an der Machine zu reiben, besonders an rotierenden Teilen. Über und über ist sein Körper mit Sperma befleckt. Eine Ejakulationsszene ist schmerzlich nahe gefilmt und wirkt sehr abstoßend auf den Betrachter, jedenfalls spreche ich hier für mich. Dialoge gibt’s mal wieder nicht, Handlung ebenfalls nicht. Dennoch hat Barneys Kurzfilm etwas narratives, auch wenn man natürlich nicht von einem richtigen Plot sprechen kann. Die sexuelle Verschmelzung zwischen Mensch und Maschine erinnert sehr an H.R. Giger oder auch entfernt an Luis Royo und wurde vom Regisseur mit großer handwerklicher Brillanz umgesetzt. Die Optik und die daraus resultierende Atmosphäre ist gelungen und die Grundidee sehr abgefahren. Gedreht wurde auf HD, was man dem Film (nicht negativ) anmerkt.

Impaled

Larry Clark ist neben Gaspar Noe der wohl bekannteste Regisseur der sich an „Destricted“ beteiligte. Kein Wunder, Sex spielte schon immer eine große Rolle in seiner Kunst. Bereits in seiner Fotografie und in all seinen Filmen ist Sex stets ein wesentlicher Bestandteil, in „Ken Park“ verwendete der Regisseur sogar HC-Szenen und löste einen Skandal aus. Sein Kurzfilm „Impaled“ ist mit fast vierzig Minuten der mit Abstand längste Beitrag zur Reihe und behält den authentischen und dokumentarischen Stil des Regisseurs bei. Die ersten zwei Drittel des Films bestehen aus Befragungen der Beteiligten in Bezug auf persönliche Erfahrungen mit Pornografie. Erst die letzten zehn Minuten zeigen HC-Sex-Szenen. Diese fallen wesentlich expliziter aus als noch in „Ken Park“ und sind wohl die deutlichsten und ungeschminktesten Szenen überhaupt aus „Destricted“. Clark unterstreicht dies hervorragend mit dem gänzlichen Verzicht auf einen Score. Der Originalton ist hier sehr wichtig für die Atmosphäre, insgeamt ist „Impaled“ nicht unbedingt ein Highlight in Clarks Karriere, dennoch eine sehr wichtige und nur konsequente Weiterentwicklung seines eigenen Stils, ungebrochen durch filmische Konventionen. Die Natürlichkeit der Darsteller kommt der Qualität sehr zu gute, denn sie ergibt ein harmonisches Bild mit der Spontaneität der Handlung vor der Kamera. Alles wirkt improvisiert und daher extrem echt.

We Fuck Alone

Schon beim Titel wird klar welcher Regisseur seinen Beitrag „We Fuck Alone“ nannte, der französische Neo-Existenzialist und Kino-Visionär Gaspar Noe. Ähnlich wie Clark passt auch seine Mitarbeit wie die Blow Job – Szene in den Porno. Schon in seinen eigenen Werken wie „Sodomites“ oder auch „Irreversbible“ nutzte Noe pornografische Ästhetiken als drastisches Stilmittel um seine Botschaft nachhaltig in die Köpfe der Zuschauer zu hämmern. Und auch hier erwartet den Zuschauer ein klassischer Noe, wie es bei dem Titel nicht anders zu vermuten war, immerhin gibt es sehr ähnliche Worte im Meisterwerk „Menschenfeind“ zu hören. Für mich die ganz klare Top-Empfehlung innerhalb von „Destricted“: In düsteren Bildern zeigt der Film die tiefe Beziehung eines Mannes zu seiner Gummi-Puppe. Seine Botschaft übermittelt Noe diesmal ohne Worte, dafür mit seiner typischen Bildsprache, auch „We Fuck Alone“ wird getragen von Noes Extravaganz und natürlich seinem inszenatorischem Talent. Beleuchtung, Kameraführung, Schnitt und Klangdesign – alles ist ganz klar im Stil des Machers aufeinander abgestimmt und ergibt ein akustisches und optisches Alptraum-Bild, welches von einer gewissen Tragik ist. Die Einsamkeit des Menschen wird hier sehr drastisch vor die Augen geführt und die Allegorie mit der Gummi-Puppe als Sinnbild für die Mitmenschen ist ziemlich deutlich. Auch Noes Geschichte ist also sehr negativ ausgefallen und lässt den Zuschauer nicht gerade mit fröhlicher Miene zurück. Im Gegenteil, wahrscheinlich ist „We Fuck Alone“ der verstörendste Teil von „Destricted“, kann aber auch als ein Höhepunkt betrachtet werden.



Fazit:

Ein lobenswertes Film-Projekt, welches ich aus ästhetischer und künstlerischer Sicht für vollauf gelungen halte, auch wenn nicht jede Episode die gleiche Qualität aufweist. Schlecht ist jedenfalls keine und so bleibt ein durchweg positiver Gesamteindruck über ein gewagtes Werk.

8,5 / 10

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