Review

Im Grunde wählte Regisseur Thalluri einen originellen Ansatz für seinen ersten Film, der zu Beginn optisch vertraut den typischen Anblick einer Highschool bietet - in diesem Fall den einer Schule in Süd-Australien. An einem sonnigen Nachmittag scheinen sich die Schüler die Zeit mit allem möglichen zu vertreiben ,nur an Unterricht ist nicht zu denken. Bis eine hübsche Blondine auf eine ungewöhnlicherweise verschlossene Tür aufmerksam wird und einen Lehrer ruft, der spätestens als er das Blut unter der Tür entdeckt, den Hausmeister ruft und wir, nachdem dieser die Tür geöffnet hatte, in die entsetzten Gesichter der Anwesenden sehen. Thalluri zeigt uns nicht, was ihre Augen erblicken und er verrät damit zum ersten Mal sein Konzept...

Selbst bei Komödien wie "American Pie" ist ,angesichts des Schulalltags mit seinen ständigen Bewertungen und sozialen Fallstricken, zu erkennen, dass die Grenze zwischen Drama und Komödie, zwischen Tragik und Glück sehr schmal ist. So gibt es in fast allen Schulfilmen den Aussenseiter, der optisch keinerlei Gefälligkeit ausstrahlt und deshalb dem Spott seiner Mitschüler ausgeliefert ist. Nur wenige Nuancen im Drehbuch entscheiden, ob aus dieser Figur ein witziger Sidekick oder eine echt tragische Figur wird. In Komödien wird diesem Typen meist eine besondere Fähigkeit oder ein natürliches Selbstbewußtsein angedichtet, in Dramen kommt oft eine tragische Familiengeschichte hinzu.

Doch Thalluri will solche Klischees nicht bedienen und versucht mit dem Aussenseiter Steven (Charles Baird) eine authentische Figur zu entwickeln. Eine Tiefe in der Charakterisierung will er mit dem gerne angewendeten pseudo-dokumentarischen Stilmittel erreichen, bei dem er sämtlichen seiner Protagonisten aus nächster Nähe in gestochen scharfen Schwarz-Weiß-Bildern ins Gesicht sieht und sie zu uns in die Kamera sprechen lässt. Und so erzählt eben auch der leicht behinderte Steven, der auf Grund seiner unterschiedlich langen Beine humpelt, von seiner Familie, die ihn unterstützt und die er nicht weiter belasten will. Doch was als bewußt klischeevermeidend gestaltet wird, wirkt dermaßen konstruiert, dass sonstige Teeniefilme dagegen als dokumentarisch durchgehen.

Denn natürlich muß Steven noch einen zweiten Harnausgang haben, den er nicht kontrollieren kann, weswegen er sich jeden Tag mindestens einmal einpinkelt. Als wenn das noch nicht neben seiner Humpelei genügen würde, läuft er natürlich buckelig und schlecht angezogen durch die Schule und verzieht keine Sekunde seine ständig frustrierte Miene. Abgesehen davon, dass es nicht nachvollziehbar ist, warum man ihm im modernen Australien nicht medizinisch besser helfen kann, ist es noch weniger verständlich, warum die Lehrer nichts von seinen körperlichen Gebrechen wissen, so dass auch sie blöde Bemerkungen machen.

Ähnlich wie bei Steven geht Thalluri bei allen seinen Hauptdarstellern jeder Massstab verloren. So hat die sehr auf ihr Aussehen achtende Sarah (Marni Spillane) nicht nur Probleme mit ihrem Freund und begehrtesten Typen der Schule Luke (Sam Harris), sondern leidet zudem noch an Bulimie. Und die Geschwister Marcus (Frank Sweet) und Melody (Teresa Palmer) sind nicht nur Scheidungskinder, leiden an Perfektionswahn (Marcus) oder dem Gefühl, nicht gefördert zu werden (Melody), sondern haben noch ein gemeinsames dunkles Geheimnis. Ach ja, ich vergass, Melody ist auch noch schwanger ! - Nur von wem ? - Etwa von Luke, der Sarah untreu wurde ? - Oder steckt etwas ganz anderes dahinter und welche Rolle spielt der schwule Sean (Joel MacKenzie) ?

Und wieder verrät Thalluri sein Konzept, denn er kann sich nicht entscheiden zwischen einem ernsthaften Drama und einer Suspense-Story. Vielleicht wollte er damit Interesse an seiner auf eigenen Erlebnissen fussenden Geschichte wecken, aber stattdessen vernachlässigt er die charakterliche Gestaltung der problembelasteten Schüler zu Gunsten eines billigen Effektes. Noch am ehesten nachvollziehbar ist die Idee, dass Opfer erst zum Schluß bekannt zu geben, denn darin ist Thalluris Intention zu erkennen, die Beiläufigkeit im sozialen Kontakt zwischen den Mitschülern zu verdeutlichen und die daraus fast immer resultierende allgemeine Überraschung zu zeigen, wenn dann tatsächlich einmal eine solche Katastrophe eintritt. So werden auch wir Zuschauer zum Schluß überrascht.

Nur hatten wir auch angesichts der Charakterisierungen überhaupt keine Chance, einen echten Einblick zu bekommen und damit komme ich zu einem inszenatorisch unverzeihbaren Fehler. Sämtliche Schüler, die hier als mögliche Opfer angeboten werden, werden uns geradezu häppchenweise serviert. Zuerst wirkt noch alles halbwegs normal bis dann immer mehr die dunklen Geheimnisse und die "ganze Wahrheit", die dahintersteckt ,offenbart wird. Parallel zum dargestellten Geschehen, vollziehen dann die Protagonisten diese Erkenntnisse in ihren Schwarz-Weiß-Kamera-Monologen nach. Durch diese ständige Steigerung an Erkenntnissen, entsteht natürlich eine gewisse Spannung, aber das ist nur ein billiger Trick ,wie er häufig in Thrillern angewendet wird, und dieser widerspricht völlig der hier angestrebten Authentizität und sonstigen Ernsthaftigkeit.

Womit ist es begründet, daß zum Beispiel Melody zu Beginn mädchenhaft naiv von ihrer Tier- und Kinderliebe redet, wenn schon zu diesem Zeitpunkt alle großen Probleme ,incl. ihrer Schwangerschaft gegenwärtig waren ? - Teilweise wirken die Aussagen im Nachhinein regelrecht verlogen, so als wenn die Schüler zu diesem frühen Zeitpunkt selbst noch gar nicht ihren eigenen Charakter kannten. Da Thalluri diese Steigerungen für alle seine Protagonisten parallel aufbaut, werden wir Zuschauer mit der Zeit regelrecht von Problemen überhäuft, so dass man nicht nur abstumpft, sondern sich fast belustigend fragt, welches "düstere Geheimnis" noch als nächstes ausgegraben wird. So ist alleine schon der Umstand unglaubwürdig, dass gleichzeitig so viele Personen (einer Altersgruppe) zum selben Zeitpunkt als Suizidopfer in Frage kommen. Und da Thalluri auf jegliche fröhliche oder "normale" Charaktere verzichtet entsteht ein so einseitiges Bild, dass die angestrebte Authentizität ins Lächerliche gezogen wird.

Und damit auch die einzelnen Darsteller, die sich alle Mühe geben, aber vom Drehbuch im Stich gelassen werden. Durch die übertrieben wirkenden Konflikte entsteht keinerlei Identifikation mit den Schülern, die im Gegenteil meist unsympathischer werden, sobald man mehr von ihnen erfährt. Denn"2:37" lässt sich in seiner behaupteten Komplexität so gut wie keine Zeit für nette kleine Episoden oder Nebensächlichkeiten , die zum Verstehen und Mitfühlen beitragen könnten. Alles ist dem Diktat der anziehenden Erkenntnis-Schraube unterstellt, so dass es einem herzlich egal ist, wer denn nun letztendlich Hand an sich legt...

Doch das alles wäre noch irgendwie erträglich, wenn "2:37" nicht von solch penetranter sich emotional gebierdender Ernsthaftigkeit wäre. So werden die Ereignisse meist von einer sich ständig wiederholenden melancholischen Melodie untermalt und man wird erdrückt von der gutgemeinten Intention, die Oberflächlichkeit zwischen den Menschen und deren Egoismus anzuklagen, der hier dazu führt, dass man den Schwächsten unter sich nicht bemerkt. Thalluris Film ist geprägt von dem Erleben eines solch tragischen Ereignisses, aber seine künstlerische Umsetzung tut dieser Erinnerung keinen Gefallen, da sie das Wichtigste vermissen lässt - die Vermittlung echter Tragik. Stattdessen wirken die letzten Bilder des Opfers in ihrer ausgeleuchteten Konkretheit nicht im Geringsten anrührend, sondern sezierend und voyeuristisch

Fazit : "2:37" ist ein sehr bemühter und ernsthafter Film, der sich einem tragischen Schicksal widmet, dass Regisseur Thalluri selbst in seiner Schulzeit erlebt hatte. So ist auch die allgemeine Anerkennung zu verstehen, die dem Film zuteil wird und die sich Thalluri noch dadurch verdient hat, dass er die Ursache ausschließlich im Privaten und im Egoismus der Anderen, die sich nur mit sich selbst beschäftigen, sucht. Kritik am Schulsystem oder gar gesellschaftlichen Normen und Zwängen kommt hier nicht vor.

Bei einem solchen allgemeinen Gutmenschen -Schulterschluss wird dann gerne übersehen, dass es Thalluris Film an allen Ingredenzien vermissen lässt, die wirkliche Anteilnahme und Identifikation erzeugen können. Stattdessen setzt er auf einen thrillerartigen Spannungsaufbau, bei dem zu Beginn das "Verbrechen" andeutet wird und dann häppchenweise an Hand eines zeitlichen Rücksprungs der "Fall" aufgeklärt.wird. So verkommen seine guten Absichten zu einem oberflächlichen Rührstück, dass versucht mit melancholischer Musik und einer extremen Problemschraube Gefühle zu vermitteln, die nur zu einem voyeuristischen Ausverkauf führen (2,5/10).

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