"Children of Men" ist, wenn man den euphorischen Stimmen glaubt, eine Wiederkehr des anspruchsvollen Science Fiction Films in das zeitgenössische Kino. Endlich stecken mal nicht irgendwelche Außerirdischen ihre Kohlköpfe aus fliegenden Untertassen und lassen ihre Laserkanonen kreisen ,sondern es wird eine realistisch wirkendes Szenario gezeigt aus Polizeistaat, Verlust der bürgerlichen Rechte, völliger sozialer Verwahrlosung und ständiger Gewalt. Kunst und Kultur spielen keine Rolle mehr, es zählt nur noch der nackte Kampf, geprägt von egoistischen Zielsetzungen - egal ob als Staatsvertreter oder Revolutionär. Und über allem schwebt das Damoklesschwert der weiblichen Unfruchtbarkeit, die schon seit 18 Jahren keine neue Geburt mehr ermöglicht hat.
"Children of Men" verzichtet dabei auf jegliche Erklärungsversuche und läßt offen, durch welches "Ereignis" diese Situation hervorgerufen wurde - eine Erzählstruktur, die das gesamte Szenario nur noch glaubwürdiger macht. Ähnlich überzeugend gestaltet ist die Welt ,in der Theo Faron (Clive Owen) lebt. London, so wie es hier im fiktiven Jahr 2027 dargestellt ist ,ähnelt unserer heutigen Welt sehr stark, so daß es zunächst kaum auffällt, daß wir uns in der Zukunft befinden sollen. Auch der Bombenanschlag, dem Theo zufällig entkommt, wirkt angesichts heutiger Terrorakte wenig beeindruckend, gestärkt noch durch die lakonische, fast teilnahmlose Reaktion Theos.
"Children of Men" will uns zeigen, daß es nur wenige Details sind, die den Unterschied zu heute machen. Es sind vor allem die Käfige, in denen sogenannte "Fugees",also illegale Einwanderer, überall in der Öffentlichkeit festgehalten werden. Es wird immer offensichtlicher, daß die Polizei, trotz paramilitärischen Vorgehens, der immer stärkeren Gewalt nicht mehr Herr wird. Szenen wie das Bewerfen der U-Bahn erinnern an die regelmäßigen Angriffe auf Fahrzeuge ,die auf einer Ausfallstraße zum Flughafen von Johannesburg in Südafrika stattfinden, die an den "Slums" vorbei führt. Das Vertreiben und Inhaftieren der "Fugees" hat Ähnlichkeiten mit Jagdszenen auf Flüchtlinge, die versuchen über Gibraltar in die EU zu gelangen. Von den ständigen Schießereien, denen jeder Bürger in Bagdad täglich ausgeliefert ist, gar nicht zu reden. Im Grunde sind die hier gezeigten Schrecken auch heute schon alltäglich, nur nicht in so komprimierter Form im Herzen Europas.
Selbst die "harmloseren" Verhaltensformen bedienen sich aktuell schon vorhandener Verhaltensmuster. Die im Film geschilderte Verehrung des jüngsten noch lebenden Menschen, der sonst über keine besonderen Fähigkeiten verfügt, erinnert an den heutigen Jugendwahn und Pseudo-Starkult, die Trauerszenen in London nach dem Tod des jüngsten Menschen, an die Verehrung für Lady Diana.
Auch sonst bedient sich "Children of Men" einer Vielzahl von Vorbildern. Zwar gilt die Romanvorlage der britischen Krimiautorin P.D.James hier als Grundlage, aber das Szenario der Unfruchtbarkeit und der Folgen für die immer älter werdende Menschheit, wurde deutlich früher schon vom renommierten Science Fiction Autor Brian W. Aldiss in seinem Roman "Greybeard" 1964 durchgespielt. Doch im Gegensatz zu Aldiss Intentionen, geht es Regisseur Cuarón gar nicht um die Auswirkungen spezifischer Katastrophen, sondern gleich um den Zusammenbruch der gesamten zivilen Welt mit einem riesigen Sammelsurium an Mißständen. So sieht man eben auch mal im Hintergrund starke Umweltverschmutzungen - Cuarón läßt eben nichts aus.
Die gesamte Story befindet sich dabei auf vertrauten Pfaden. Der demoralisierte und zur Trunksucht neigende Einzelgänger, der sich zwar nicht gegen seine gleichgeschaltete Umgebung auflehnt, aber dank seiner Lethargie auch kein Teil von ihr ist. Der Zufluchtsort bei Jasper Palmer (Michael Caine), einem skurrilen Einzelgänger, der sich in seinem Haus noch Reste von Kultur und Lebensfreude bewahrt hat. Das Ereignis - hier eine schwangere junge Frau - die den Einzelgänger langsam wieder zu sich selbst zurück finden läßt usw.
Gerade Jasper ist eine klassische Figur dieser Zukunftsvisionen und immer handelt es sich dabei um verschrobene, etwas wunderliche Typen. Man sollte einmal untersuchen, warum Drehbuchautoren nur diesen Außenseitern der Gesellschaft die Bewahrung von Kultur und Schönheit in einem totalitären System zutrauen.
Mit der Zeit wird die Story immer actionlastiger und brutaler, ohne dabei auf irgendwelche Showeffekte zu setzen. Wie bei allen Fluchtszenarien sind die Flüchtenden von einer Vielzahl von Helfern abhängig, die sich mal als überraschend vertrauenswürdig, mal als Verräter entpuppen. Aber nie verläßt die Story ihren ernsthaften, pessimistischen Charakter, den sie konsequent bis zum Schluß durchhält.
Vielleicht sind es die ständigen "Deja Vu" Gefühle, vielleicht auch die großen Vorschußlorbeeren, die diesen guten Film nicht wirklich mitreißend wirken lassen. Fast sämtliche Storywendungen sind vorauszusehen - wer sich opfert, wer zum Verräter wird - entspricht immer der Logik dieses Weltuntergang-Szenarios, daß sich stark an den Science-Fiction-Filmen der 60er und 70er Jahre orientiert, die auch ihren nahezu hoffnungslosen Charakter beibehielten.
Natürlich verfügt Cuarón über genügend eigenen Stilwillen, um dem ganzen Film eine künstlerisch überzeugende Optik zu verleihen, genauso wie besonders Clive Owen als Anti-Held überzeugt. In den wenigen Szenen ,in denen er gewalttätig wird, ist man fast konsterniert. Doch letztlich wirkt "Children of Men" auch wieder ein wenig angepasst an den Zeitgeschmack mit seinen brutalen,skrupelosen Killern, den andauernden bürgerkriegsartigen Gefechten und seiner Mischung von möglichst allen gerade aktuellen Katastrophen.
Fazit : sehr gut gespielter und gemachter Science-Fiction Film, der gar keine Zukunfsvision zeigt, sondern die vielen schon aktuell vorhandenen sozialen, wirtschaftlichen, politischen und Umwelt-Probleme zusammenfasst und überspitzt in einem totalitären Staat zeigt.
Zwar wird das Ganze von der fiktiven Katastrophe der Unfruchtbarkeit der Frauen überdeckt, aber letztlich ist Cuarón gar nicht an den daraus resultierenden gesellschaftlichen Auswirkungen interessiert, sondern nutzt dieses Szenario nur zum Vorantreiben des Plots - darin ist auch die Romanvorlage von P.D.James wiederzuerkennen, die als Krimiautorin stärker an Action interessiert ist als an einer echten Zukunftsvision.
Die Story selber ist auch ziemlich vorhersehrbar, da sie sich an einer Vielzahl von Vorbildern orientiert. Doch unabhängig davon ist "Children of Men" ein guter Film geworden, nur nicht der Überflieger, als der er gerne angesehen wird. Vielleicht liegt es daran, daß man die Vorbilder nicht mehr so gut in Erinnerung hat, vielleicht ist genau die Kombination aus einem anspruchsvollen Plot verbunden mit einer spannenden Actiongeschichte einfach zeitgemäßer, aber wenn diese Begeisterung dazu führt, in Zukunft wieder mehr Filme zu erleben, die sich einem solchen Thema ernsthaft nähern, ist mit "Children of Men" viel gewonnen (7/10).