Einmal mehr versetzte Stanley Kubrick damals dem an den konventionellen Film gewöhnten Publikum mit seinen gerade zu Beginn zusehenden, moralisch bedenklichen Szenen aus seinem "Uhrwerk Orange" einen tiefen Schlag in die Magengrube. Doch wenn Kubrick brutale Gewalt und Opfer verhöhnende Vergewaltigungen zeigt, steckt dahinter eine Notwendigkeit, um überhaupt erst die Voraussetzungen für kritische Aussagen zu schaffen. Zu unreal und künstlerisch verspielt wirken die teils lasziv angestimmten Taten der Rowdy-Bande mit Alex als ihren Anführer, als dass sie die Wirklichkeit tatsächlich unverzehrt wiedergeben würden.
Es wird gestohlen, es werden in sadistischer Weise Obdachlose verprügelt und Frauen vergewaltigt. Seine provokanten, unsittlichen Bilder serviert Kubrick jedoch mit sittlicher Musik, wobei er nach "2001: Odyssee im Weltraum" hier erneut offen seine Liebe zur Klassik gesteht und besonders Ludwig van Beethoven wieder aufleben lässt. Dabei wird auch eine Prügelei ästhetisch in virtuosen Bildkompositionen eingefangen, bei der sich die stilistische Arbeit mit der Gegensätzlichkeit ebenfalls bemerkbar macht. Schlechtes flammt in einer kunstvollen Inszenierung gut auf, wodurch besonders die Sequenzen in den ersten dreißig Minuten bewusst unwirklich erscheinen. Nicht zu vergessen ist, dass uns Alex in seinen Monologen zu jeder Zeit mit "Meine Brüder anspricht", als wären wir seinesgleichen. Ein gewisses Gefühl der versuchten Identifikation des Zuschauers mit dem Hauptprotagonisten soll dadurch wohlmöglich auslöst werden, was zunächst absurd wirkt, später aber doch einleuchtet, wenn Alex Opfer der Gesellschaft und staatlichen Handelns wird.
Zu den unkonventionellen Mitteln Kubricks gesellen sich auch schamlose Nacktheit und eine Sexszene im Zeitraffer, die von der weltbekannten Tell-Ouvertüre begleitet wird. Besonders durch die Tatsache, dass Kubrick eine Frau auf grausame Art und Weise spöttisch durch eine übergroße Penisskulptur sterben lässt, gewinnt der Film unter anderem an satirischem Charakter. Neben den sich in den Dialogen versteckenden Metaphern, vereinzelten Allegorien als sprachliche Mittel und den bösen Äußerungen gegen die Gesellschaft begegnen dem Betrachter nämlich auch wohl dosierte Portionen an Witz und Humor. Alleine das verhäufte Erklingen von "Alright" lässt Freude aufkommen und ist kaum noch zählbar. Doch zu allem Spaß in Alex' Leben kommt durch den Verrat seiner sich inferior fühlenden Bandenmitglieder plötzlich die Wende, durch die der an seinen rüden Taten bis dahin Gefallen gefunden habende Erzähler sich im Gefängnis wiederfindet und sich gleichzeitig die gesellschaftskritischen Komponenten verstärkt an die Front wagen.
Eine fanatisch auf Disziplin versessene Figur als Karikatur von allseits bekannten Herren aus dem dunklen Kapitel der Weltgeschichte begegnet Alex nun genauso wie diverse andere Personen, die mit ihrem naiven Glauben Kriminelle durch Gehirnwäsche resozialisieren wollen. Dass die in den Regierungsgehirnen auf in Wahnsinn getränktem Nährboden herangezüchtete Idee zur Unterdrückung beziehungsweise Beeinflussung menschlicher Gefühle, wie der sexuellen Lust oder den tiefen Aggressionen, einerseits krankhaft, anderseits im Grunde genommen aber auch schon zum Scheitern verurteilt ist, liegt dabei eigentlich auf der Hand. Der nun durch die ethnisch indiskutablen Methoden zunächst von seinen unsittlichen Gedanken scheinbar geheilte Alex ist nach der Entlassung aus der Haft lediglich ein seelisches Wrack, das nun in inflationistischer Weise quälende Prügel von der Gesellschaft einstecken muss.
Die Resozialisierungstheorie bröckelt auseinander; Alex, der von dem glänzend spielenden Malcom McDowell in all seiner charakterlichen Breite übrigens exzellent verkörpert wird, steht nun auf der Straße, weil in der elterlichen, auffällig seltsam dekorierten Wohnung kein Platz mehr für ihn ist. Den charakteristisch der musikalischen Untermalung angepassten, agileren Bildern vor der Plotwende stehen nun ruhigere und steriler ausgeschmückte Sequenzen gegenüber. Der Endszene näher kommend schlägt die Atmosphäre nach Alex' Befinden allerdings allmählich wieder um, bis Kubricks wirklich brillantes, in seiner Inszenierung erneut wegweisendes Werk mit einem nachdenklichen, denkwürdigen Schluss schließlich endet.
Der von einer Unmenge Substanz gefüllte Inhalt; die elysisch konzipierte, widersprüchliche Figur des Alexander de Large, dessen Natur einerseits gerne in der Milchbar schwelgt und den Klängen Beethovens lauscht und anderseits überdurchschnittlich zu Gewalt neigt; die subtile, sich ebenfalls in Gegensätzen charakterisierende Rhetorik; der vorzüglich schwarze Humor und die harmonische Kongruenz von Bild und Ton - all das kennzeichnet "Uhrwerk Orange", ein ganz großes Meisterwerk, das in dieser Pracht wirklich nur von einem Stanley Kubrick entworfen werden konnte.