Zuerst stellt sich mir bei einem Film wie "Elbe" , der sich um einen kleinen Ausschnitt aus dem deutschen Alltag bemüht, die Frage, wie man Andere dafür begeistern kann. Denn genau das hat dieser Film verdient, der etwas spröde beginnt und mit fortlaufender Dauer nicht nur die Identifikation zu seinen Protagonisten stetig steigert, sondern eine regelrechte Faszination erzeugt.
Der Titel des Films ist tatsächlich Programm, denn die "Elbe" steht hier immer im Mittelpunkt, genauer der östliche Teil, der auf dem Gebiet der ehemaligen DDR liegt. Und deshalb handelt es sich hier auch um eine Ostgeschichte, ohne das das auch nur einmal wörtlich thematisiert wird. Die beiden Protagonisten Gero (Thomas Jahn) und Kowsky (Henning Peker) sind beide Dresdner, Anfang 40, und ihre jeweilige Geschichte, die der Film behutsam in Rückblenden, Träumen und auch durch Aktionen in der Gegenwart schildert, sind zwar in ihrer Tragik sicherlich allgemein gültig, aber spezifisch stark an dem gesellschaftlichen Wandel in diesem Teil Deutschlands ablesbar.
Obwohl sie schon lange zusammen arbeiten, kann man nicht mit Sicherheit sagen, daß sie Freunde sind. Eher wirken sie wie eine erzwungene Notgemeinschaft, denn ihre Charaktere könnten nicht unterschiedlicher sein. Gero ist ein sehr ruhiger, in sich ruhender Mensch, der nur wenige Worte sagt, aber äußerst verläßlich wirkt. Kowsky dagegen redet sehr viel, ist deutlich temperamentvoller und hat einige zwielichtige Seiten an sich, ohne aber wirklich moralische Grenzen zu überschreiten. Doch Beide vereint eine gewisse Sprachlosigkeit bezüglich der eigenen Personen und auch ein Versagen in der Sozialisation. "Elbe" beobachtet dabei sehr genau und zeigt in dem stillen Gero kleine Anzeichen des sich Öffnens, die dem lauten Kowsky, der mit seinen Fantasien die Realität zur Selbstablenkung schön redet, gar nicht auffallen.
Beide Protagonisten wirken äußerst authentisch in ihren Charakteren und als Betrachter kann man sehr gut nachvollziehen, warum sie in ihre gegenwärtige Situation gekommen sind. Fast völlig pleite wollen sie mit Geros Segelschiff nach Hamburg schippern, wo sie angeblich einen guten Job auf einem großen Dampfer bekommen können. Der Film läßt offen, ob es sich dabei nur wieder um eine der üblichen Spinnereien von Kowsky handelt, aber Gero läßt sich auf die Geschichte ein. Wer sich hier wundert, warum die beiden sich nicht in den Zug nach Hamburg setzen, um möglichst schnell ihren Job zu bekommen, kann sich nicht wirklich in das Schicksal der Beiden einfühlen.
Hier geht es nicht um praktische Umsetzung, sondern um Flucht - vor der Realität und vor allem vor sich selbst. Doch genau das Gegenteil passiert. Durch die sich immer mehr häufenden Schicksalsschläge, die zwar in ruhigem Tempo, aber abwechslungsreich und stetig erzählt werden, werden Beide gezwungen, sich mit sich selbst und mit ihrem Gegenüber auseinanderzusetzen. Und so ist der Film auch eine Geschichte über das Kennenlernen, das Entstehen einer wirklichen Freundschaft und dem Begreifen, worauf es wirklich ankommt, ohne das der Film dabei auch nur eine Sekunde seinen lakonischen Stil verläßt.
Dabei gelingen dem Film wunderschöne, fast liebevolle Szenen. So zum Beispiel die Sequenz in Wittenberg, als Gero eine Frau kennenlernt und mit dieser eine Nacht auf seinem Segelschiff verbringt, bei der es über das Händchenhalten nicht hinausgeht und die doch eine der zärtlichsten Liebesszenen darstellt, die ich seit langem im Film gesehen habe. Genau hier entfaltet der Film eine positive Kraft, die verdeutlicht, daß man selbst aus der verzweifeltsten Situation wieder herauskommt und zwar nicht einfach oberflächlich, in dem man sein materielles Problem in den Griff bekommt, sondern indem man sich von Verhaltensmustern lösen kann, die Einen immer bestimmt haben.
Letztendlich unterscheidet sich "Elbe" gar nicht von sonstigen Spielfilmen, denn auch hier wird eine abwechslungsreiche Geschichte erzählt, die Mut macht und keineswegs nur finsteren Alltag erzählt. Auch "Elbe" leistet sich fiktive und spannende Szenen wie das "17 und 4" Spiel mit Typen, denen man keine Sekunde trauen kann, aber insgesamt ist der Film näher am Alltag dran und das sind wir in Unterhaltungsfilmen nicht mehr gewöhnt. Ähnliches gilt auch für die Optik, die nicht auf geschönte Panoramabilder setzt. Die Landschaftsaufnahmen der Elbe legen weder Wert auf besondere Lichtverhältnisse noch auf spezielle Aufnahmewinkel, sondern zeigen den Fluss in einer herben Schönheit, die genau wie der gesamte Film mit der Zeit immer stärker für sich gewinnen kann.
Und damit bin ich am Ende meines Plädoyers, auch einmal einen solchen Film anzuschauen und sei es auf DVD. Es erfordert ein wenig Bereitschaft, sich von glänzenden Bildern und einem hohen Erzähltempo mit schmissigen Dialogen zu verabschieden. Genauso bedarf es einer Identifikation mit zwei Menschen, die vordergründig nicht besonders sympathisch (da wenig klischeehaft) herüber kommen, deren Qualität man aber immer mehr erkennt. Belohnt wird man mit einer faszinierenden Geschichte, die Mut macht und den Betrachter mit einem guten Gefühl zurücklässt (8/10).