Review

Dr. Uwe Boll (Wohlgemerkt nicht etwa Doktor der Medizin oder Jura sondern der Literaturwissenschaften) hat es nicht leicht. Niemand ist sich zu schade, in den Tenor der Lästerchöre einzustimmen die ihn als schlechtesten Regisseur unserer Zeit ausweisen und seine in Amerika realisierten Videogame-Adaptionen als Genre-Tiefpunkte des jungen 21. Jahrhunderts. Unrecht hat die Stimme der Masse damit aber nicht. Einen Böller hat Boll bislang tatsächlich noch nicht gezündet. Aber sich seit den unansehbaren „House of the dead“ und „Blackwoods“ unmerklich gesteigert. „Bloodrayne“, sein letztes Baby das mit seiner überaus prominenten Besetzung ein beachtliches Starvehikel darstellte, entbehrte schließlich nicht eines gewissen naiven Unterhaltungswertes - wenn auch zwischen ihm und der Definition eines dramaturgisch und handwerklich auch nur annähernd ausgereiften Spielfilms immer noch Lichtjahre lagen. Im Ärger über das Missverständnis seiner Filme - insbesondere der verzweifelten Suche des Publikums nach Horror in den von ihm Action-Filmen konzipierten „Alone in the dark“ und „House of the dead“- beschloss Dr. Boll nun, es allen so richtig zu zeigen und seinen ersten „echten" Horrorfilm zu drehen. Schlimmste Befürchtungen schienen berechtigt da er sich zu allem Überfluss auch noch am heiklen Genre des Killer-Thrillers vergriff. Doch Oh Wunder: „Seed“ ist zwar ein äußerst einfallsloser und platter, unter Vorraussetzung einer gewissen Genügsamkeit seitens des Zuschauers aber auch kurzweiliger und nicht gänzlich unspannender Film geworden.

Vancouver 1979: Endlich ist der berüchtigte Serienkiller Maxwell Seed (Will Sanderson) gefasst worden. Mit Genugtuung beobachtet Detective Bishop (Michael Paré) wie Seed auf dem elektrischen Stuhl zuckt. Doch der bullige Mann überlebt die Hinrichtung. Als der Gefängnisarzt Wickson (Andrew Jackson) nach zwei weiteren Anläufen immer noch Puls feststellt fasst Direktor Wright (Ralf Möller) eigenmächtig einen unlauteren Beschluss: Seed muss verschwinden! Der ohnmächtige Seed wird lebendig auf dem Gefängnisfriedhof begraben. Am nächsten Tag ruft man Bishop zurück: Wright, Dr. Wickson und der Henker sind bestialisch ermordet worden…

Wer hier ungnädig das kritische Skalpell ansetzt wird natürlich augenblicklich das bemerken, was ich wohlwollend ausgeblendet habe: Boll arbeitet ausschließlich mit den ureigensten Versatzstücken des Serienkiller- und Slasher-Genres, reduziert auf ihre nackte Essenz. Innovation scheint ihm ein Fremdwort zu sein. Schon als zu Beginn eine Truppe von Polizisten unter Führung von Bishop (dessen Darsteller Michael Paré amüsanterweise nicht nur aufgrund seiner Frisur ein wenig an den jungen Kurt Russel erinnert) das Haus des Serienmörders durchkämmen - nur mit Taschenlampen ausgerüstet - wird offensichtlich, woher der Wind weht. Insbesondere während einer trashigen Sequenz, in der ein junger, unerfahrener Tropf von Cop in einem Drehstuhl eine mumifizierte Frau auffindet (Kommt uns das bekannt vor?) und durch eine unvorteilhaft an der Decke montierte Spitzhacke ein grausiges Ende findet. Wer sich bereits in der ersten halben Stunde - „Seed“ ist ein in beinahe allen Belangen ausgesprochen konsequenter Film - gewisser Ansprüche entledigt kann sich hier über 90 Minuten passabel unterhalten. Vorhersehbar ist die ganze Angelegenheit von A bis Z. Stumpfsinnig auch. Sehr stumpfsinnig sogar. Aber vielleicht fällt es gerade aufgrund der niedrigen Ansprüche, die Boll offenkundig selbst an seinen Film stellt, nicht sonderlich schwer, dies zu akzeptieren. Der westfälische Regisseur gibt gar nicht vor, mehr zu wollen als einen maximal soliden Schocker der mit viel routiniert-konventionellen Spannungsmomenten und brachialen, kranken Drastigkeiten sein Publikum kurzzeitig in seinen Bann zieht. „Seed“ ist - ebenso wie Bolls Game-Adaptionen- ganz sicher kein „besonderer“ Film.

Was ihn dennoch über bedeutend aufwändigere Machwerke wie „Alone in the dark“ oder „House of the dead“ hebt ist seine überraschende Effizienz. Egal wie groß die persönliche Apathie gegen das dilettantische Gebrauchskino des Uwe Boll auch ist: Eine bedrückende Atmosphäre und eine ganze Handvoll äußerst unangenehmer Momente kann man „Seed“ nicht absprechen. Dass diese Wirkung freilich mit unfassbar primitiven und aggressiven Mitteln erzielt wird kann allerdings nicht verschwiegen werden. Bolls Ankündigung auf dem Erlanger „Weekend of fear“-Festival, „Seed“ sei ein unangenehmer, schwer erträglicher Film wurde vom Publikum mit verhaltenem Gelächter quittiert. Dass der Regisseur diese Aussage - die schließlich nicht zwingend die Qualität des Films wertet - durchaus zu recht wagte und nicht selbstironisch verstanden wissen wollte, hatten wohl die wenigsten erwartet. Wie auch im Fall seiner zeitgleich abgedrehten Bad-Taste-Comedy „Postal“ zielt Boll mit „Seed“ offensichtlich auf einen mittelschweren Medien-Skandal ab der unlängst auch dem belanglosen „Hostel“ (der „Seed“ handwerklich wie inhaltlich nicht viel nimmt) zu einem Publikumserfolg verholfen hatte. Und bei der kühl berechneten Verfolgung dieses Ziels hat er sich nicht lumpen lassen. Mit Deutschlands Splatter-Guru Olaf Ittenbach an der Spitze des SFX-Teams wartet „Seed“ mit einigen haarsträubenden Gewaltexzessen auf, die in einer schockierenden dreiminütigen Szene kulminieren während der Seed einer gefesselten Frau in blinder Raserei den Schädel von den Schultern schmettert - in einer einzigen, statischen Halbtotalen. Bolls Ankündigung, der Film würde ohne FSK-Freigabe in den deutschen Kinos starten schien da nur noch rhetorisch - und er kann es sich im Gegensatz zu mach anderem leisten, einen solchen (mit großen finanziellen Risiken verbundenen) Kinostart in die Wege zu leiten.

Im Grunde ist diese Sequenz auch bezeichnend für den gesamten Film und die schaulustige Faszination die von ihm ausgeht: Hier wird kein Wert auf Menschlichkeit, Feingefühl und Psychologie gelegt, hier wird nur eine kompromisslose und selbstvergessene Lawine von Hass, Wahnsinn und Zerstörung menschlicher Körper losgetreten. Komplett mit der Handkamera eingefangen und frei von der im Horrorfilm inzwischen handelsüblichen Videoclip-Ästhetik, wirkt „Seed“ auch so roh, kantig und ungeschlacht wie wohl mancher Mainstream-Schocker der letzten drei Jahre gerne ausgesehen hätte. Lediglich die inflationär und ohne Gespür für Szenen- und Spannungsaufbau über die farbarmen Bilder gekleisterte, aufdringlich-unheilschwangere Orchester-Musik der ebenfalls deutschen Komponistin Jessica de Rooij tut diesem spartanischen Gesamteindruck einen Abbruch und vermag nur in wenigen Momenten, die dünne Atmosphäre zu unterstützen. Weniger oder auch nichts wäre hier mehr gewesen. Die Abwesenheit von MTV-Farbfiltern und schnellen Schnitten ist jedenfalls als sehr angenehme und vor allem überraschende Auffälligkeit zu vermerken, ebenso wie die nach den sagenhaft vorhersehbaren ersten beiden Dritteln überraschend boshafte Schlussequenz.

All das hilft „Seed“ jedoch nicht über das Prädikat „Zielgruppen-Film“ hinaus. Die Anhänger derber Genre-Filmkost werden sich über dem neuesten Bollwerk sicherlich einen neuerlichen, sinnfreien Hype aus den Rippen schneiden, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien einen neuen Platz auf ihrer Liste B reservieren und erregte Kritiker nach Verboten und Boykotten rufen. Dem Film wird aus diesen Gründen ganz sicher ein respektables Interesse zuteil werden. Ob zu recht darf freilich angezweifelt werden. Bolls absurde Kooperation mit der Tierschutzorganisation PETA, von der er brisantes Filmmaterial erhielt welches voraussichtlich in den Titelvorspann eingearbeitet wird (die in Erlangen aufgeführte Fassung war hier offenbar unvollständig) zeugt von der beeindruckenden Geschäftstüchtigkeit dieses Mannes, der sich durch die Unterstützung der Organisation „mildernde Umstände“ bei den Zensoren erhofft. Doch das Geschäftstüchtigkeit und Talent zwei völlig verschiedene Schuhpaare sind hat uns schon Jess Franco nachdrücklich vor Augen geführt.

Wäre Boll nur ein talentierterer Regisseur und Drehbuchautor, er hätte mit „Seed“ vielleicht sogar einen überdurchschnittlichen Böller zünden können. So ist sein Psychopaten-Sch(l)ocker durch seinen einfach gestrickten Unterhaltungswert zwar über seinem persönlichen Durchschnitt anzusiedeln, innerhalb des Genre-Kinos der letzten Jahre aber nur ein weiterer, biederer Schnellschuss der versucht, sich mit geistigem Diebstahl und erschöpfender Drastik über Wasser zu halten. Das aber durchaus dynamisch und effizient weswegen ich aller Primitivität und Einfallslosigkeit zum Trotz erstmals bereit bin, fünf Punkte an einen Uwe Boll-Film zu vergeben, frei nach dem von mir generell eher verdammten Motto "Film rein, Hirn aus". Ein bemerkenswerter Regisseur wird aus dem geschäftstüchtigen Westfalen allerdings wohl kaum mehr - wenn man genötigt ist, einen Film jenseits des Trash so zu rezipieren zeugt das von einer nicht bestreitbaren inszenatorischen wie intellektuellen Armut.

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