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Es ist nicht erstaunlich, dass die originelle Geschichte um "Irina Palm" , Londons Königin der Masturbation, lange Zeit benötigte, einen Produzenten zu finden, denn vordergründig bietet diese Geschichte nur Ingredenzien, die aus britischen Realdramen bekannt sind.

So erleben wir hier auch nicht "Swinging-London", sondern graue Vorstädte, die nur über lange öde Bahnfahrten an der Peripherie erreichbar sind, und als Höhepunkt Londons abgewirtschaftetes "Sündenviertel" Soho mit seinen tristen Puffs und Stripbars. Auch die Geschichte um den kranken Jungen Ollie, der ständig in einem überbelegten Krankenhauszimmer liegen muß, seinen Eltern, die sowohl psychisch als auch materiell überfordert sind, und der Oma, deren Mann schon lange tot ist und deren enges Verhältnis zu ihrem Sohn Tom ein ständiges Ärgernis für die Schwiegertochter bedeutet, ist scheinbar nicht dazu angetan, einen vergnüglichen Kinoabend zu bereiten.

Aber genau den bietet "Irina Palm" - und das ohne aufgesetzten Humor, ohne unrealistisch überzogene Storywendungen und ohne irgendwelche optischen Schauwerte. Denn im Mittelpunkt der Geschichte steht Maggie (Marianne Faithfull), eine Frau Anfang 60, übergewichtig, mit einer Frisur wie ein Wischmob und unattraktiv gekleidet. Sie hat jung geheiratet, nie einen Beruf erlernt und lebt seit Jahren, seitdem ihr Mann Trevor starb, von einer schmalen Rente. Ihr Leben in dem kleinen Londoner Vorort ist von den täglichen Abläufen und den selben Menschen geprägt, auch wenn diese sie nicht befriedigen.

Wie fast immer im Leben, entstehen Veränderungen nur im Angesicht einer Katastrophe. Diese zeichnet sich ab, als Maggie, ihr Sohn Tom und dessen Frau Sandra erfahren, daß der kleine Ollie bald sterben wird, wenn er nicht dringend zu einem Spezialisten nach Australien kommt. Doch dafür ist kein Geld vorhanden, da sie weder über irgendwelchen Besitz verfügen, noch bei den Banken kreditwürdig sind. Nachdem Maggie bei sämtlichen Versuchen, irgendwie Geld zu bekommen, gescheitert ist, sieht sie ihre letzte Chance angesichts eines Jobangebotes in Soho, bei dem eine "Hostess" gesucht wird.

Mikky (Miki Manojlovic), der Chef des Etablissements, klärt sie schnell darüber auf, daß hier kein Tee serviert wird, sondern es richtig zur Sache geht. Maggie reagiert empört, nachdem ihr Mikky ein Jobangebot gemacht hat. Er hatte festgestellt, daß sie sehr zarte Hände hat und damit genau die richtigen Voraussetzungen mitbringt, um bei einer Einrichtung arbeiten zu können, bei der Männer für ein paar Minuten ihren Penis durch eine runde Öffnung schieben, um sich dann von einer Frau einen "wichsen" zu lassen. Marianne Faithfull spielt diesen Übergang zwischen englischem Alltag einer älteren Frau und der Arbeit als Handschmeichlerin äußerst sensibel und überzeugend. So skurril sie sich anhören mag ,so nachvollziehbar wird diese Veränderung im Film vollzogen.

Dabei ändert sich Maggie in ihrem Charakter keineswegs, aber es kommen einige bisher eher vernachlässigte Eigenschaften stärker zum Tragen. Während Maggies ruhige und gutmütige Art in ihrer bisherigen Umgebung eher ausgenutzt wurde, so wirkt sie an ihrem neuen Arbeitsort durch den Gegensatz zu den sonst hier üblichen Verhaltensmustern, unabhängig und regelrecht cool.
So richtet sie sich ihren Arbeitsraum, in dem sie täglich unzählige Schwänze bearbeitet, praktisch und mit Bildern und Nippes von zu Hause ein. Hier entwickelt der Film eine ungeheure Komik, die aber gleichzeitig in ihrer sensiblen Darstellung die Qualtät des Films beweist. Der Gegensatz zwischen der ihre Arbeit praktizierenden Frau und den stöhnenden und ihre Begeisterung herausschreienden Männern fordert zum Lachen heraus, ohne dabei eine Seite der Lächerlichkeit auszusetzen, was gerade angesichts der in einer langen Reihe auf "Irina Palm" , wie Maggie mit ihrem Künstlernamen genannt wird, wartenden Männern schon ein ziemliches Kunststück ist.

Natürlich bleibt ihrer kleinbürgerlichen Umgebung nicht die Veränderung ihrer Lebensgewohnheiten verborgen und als sie ihrem Sohn das dringend benötigte Geld für Ollie gibt, findet dieser keine Ruhe, ehe er nicht weiß, wie seine Mutter so schnell so viel Geld verdient hat...

Trotz seiner durchgängig real anmutenden Erzählweise, der dargestellten zwischenmenschlichen Konflikte sowohl zu ihren neuen Kollegen, als auch zu ihrer Familie und alten Freunden, ist "Irina Palm" ein durchgehend frischer, positiver Film, der sein Subversivität im Verborgenen entwickelt und letztlich verdeutlicht, daß auch eine "alte Frau" es allen zeigen kann. Marianne Faithfull gelingt mit ihrem Spiel eine Identifikation und Anteilnahme beim Zuseher, die beweist, daß es gar nicht auf Showwerte und Äußerlichkeiten ankommt, sondern auf einen nachvollziehbaren Charakter und eine authentische Spielweise - eine Art, die sogar den abgefuckten Chef Mikki langsam verändert.

Natürlich könnte man dem Film seine letztendlich zu positive Sichtweise als unrealistisch vorwerfen, aber gilt das nicht für alle Komödien ? - Denn um etwas anders handelt es sich bei diesem "Feel-Good-Movie" gar nicht, nur das es nicht auf die üblichen jungen, hübschen oder alternativ skurril, verrückten Protagonisten setzt, sondern auf eine ganz normale ältere Frau - und das ohne jede anbiedernde Geste oder Betonung dieser "ungewöhnlichen" Erzählweise.

Fazit : "Irina Palm" ist ein genauso cooler Film geworden wie seine Protagonistin Maggie. Das ist dem hervorragenden Spiel Marianne Faithfulls zu verdanken, der es trotz einer sehr gewöhnlichen Optik gelingt , daß man sich als Zuseher unbedingt mit ihr identifiziert.

Sehr empfehlenswerter Film, der dem Zuschauer - nachdem er seine üblichen Vorurteile über Bord geworfen hat - nur gute Laune bereitet (9/10).

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