Review

Bei der Betrachtung dieses Films fallen sofort zwei bewerkenswerte Fakten ins Auge - zum Einen wurde hier die Autobiografie eines Sportlers verfilmt, der erst knapp über 40 Jahre alt ist und der seine sportlichen Meriten vor gerade einmal 10 Jahren erworben hatte, zum Anderen kommt der Film ausgerechnet zu dem Zeitpunkt in unsere Kinos, da sich das Rennradfahren und seine Protagonisten auf einem Tiefpunkt befinden, hinsichtlich des Vertrauens in eine saubere sportliche Leistung.

Vielleicht kommt Graeme Obree (Jonny Lee Miller) genau richtig, da sich mit ihm die Geschichte eines lupenreinen Amateursportlers erzählen lässt, der es in einer Sportart ganz an die Spitze brachte, die schon seit Jahrzehnten von finanziellen Interessen geprägt ist. So beginnt der Film auch geradezu archaisch, indem er uns Obree in seinen Tätigkeiten als Fahrrad-Kurier in Glasgow und als Inhaber eines kleinen Fahrradladens zeigt. In Schottland Mitte der 90er Jahre spielte Radsport - und erst recht der Bahnradsport - keinerlei Rolle, so dass Obree auch keine Chance hatte, auf einer geeigneten Bahn für die Erlangung des Stundenrekordes zu üben. Dazu verfügt er weder über einen Trainer, Ernährungsberater noch Kraftraum, um sich gezielt vorzubereiten und das sein Kumpel Malky (Billy Boyd) als neuer Manager versuchen soll, wenigstens die dringend benötigten Kröten für den Weltrekordversuch aufzubringen, wirkt auch sehr improvisiert...

Der Fakt, daß Obree trotz seiner Erfolge außerhalb Schottlands wenig bekannt ist, hat in diesem Fall Vorteile, da man - im Gegensatz zu sonstigen biographischen Filmen - nie genau weiß, wann und wie er seine Erfolge erzielte. Trotzdem hält sich die Spannung lange Zeit in Grenzen, da sich der Film trotz der ungewöhnlichen Grundsituation, erwartungsgemäß entwickelt. Die immer mal wieder auftretenden Probleme lassen sich meist schnell lösen und dazu werden eine ganze Reihe sympathischer Menschen beschrieben, denen hier ein positives Denkmal gesetzt wird. Zuvorderst ist das Obree's Frau Anne (Laura Fraser), die immer zu ihrem Mann hält, ihre Freundin Katie und Douglas Baxter (Brian Cox mal in einer sanften Rolle), der Pfarrer, der den religionskritischen Obree unterstützt.

Dem Gegenüber tritt nur ein Bösewicht auf - der deutsche Funktionär Ernst Hagemann (Steven Berkoff), der dem unorthodoxen Obree mit allerlei bürokratischen Anordnungen bewußt das Leben schwer macht, weil Obree nicht in das allgemeine Profigefüge hineinpasst . Womit auch letztendlich sein heute allgemein niedriger Bekanntheitsgrad zusammenhängt, denn andere Sportler wie Francesco Moser oder Chris Boardman, die hier ebenfalls auftreten, sind viel bekannter.

Doch trotz seiner lakonischen Inszenierung, seiner ruhigen und schlüssigen Erzählweise, muß sich "The flying Scotsman" fragen lassen, welche Intentionen er verfolgt ? - Das er nicht nur als Denkmal für einen schottischen Helden in seiner Heimat gedreht wurde, erkennt man an der Charakterisierung seines Hauptdarstellers. Die ersten Bilder deuten einen Selbstmordversuch an und die Rückblende in Grahams Schulzeit verdeutlicht, daß er von seinen Mitschülern drangsaliert wurde - bis er in der Lage war, ihnen mit einem Fahrrad zu entkommen. Immer wieder verfällt Obree in Depressionen, gibt sich schweigsam und eigenbrötlerisch und wird hier keineswegs als Sympathieträger gezeigt. Dadurch entsteht ein nachvollziehbares Bild eines Sportlers, der vor allem gegen die Uhr kämpft, und dessen Sturheit oft zu Ungerechtigkeiten gegenüber seiner Umgebung führt.

Doch genau hier ist eben auch die Schwäche des Films zu erkennen, der sehr ernsthaft ist und nur wenige komische Momente aufweist, die letztendlich auch darauf beruht, dass Obree unmittelbar am Entstehen des Films mitgewirkt hat. Wer ihn und seine Geschichte nicht kennt (was außerhalb Schottlands die Regel sein wird), empfindet den Film als oberflächlich. So werden Obrees psychische Probleme hier nur angerissen und scheinen sich auch, selbst nach dem Selbstmordversuch, wieder schnell zu lösen. Tatsächlich übte er inzwischen zwei weitere Selbstmordversuche aus, befindet sich jetzt auch dank medikamentöser Behandlung auf einem besseren Weg, ohne das das Problem wirklich gelöst ist (was wahrscheinlich auch nicht möglich ist).

Hier verpasst der Film eine Chance und verspielt das Potential, dass ganz authentisch in ihm steckt. Obree stellt einen realen Gegenentwurf zu der modernen Radsportszene dar, der hier nicht genutzt wird. Nur in der Person des Ernst Hagemann wird klischeehaft die Bedrohung stilisiert, als ob der Mann so mächtig hätte sein können, wenn die Funktionäre nicht hinter ihm gestanden hätten. Und wo blieb der englische Radsportverband, um Obree, der immerhin Titel für Großbritannien gewinnen konnte, zu verteidigen ? Diese Fragen werden hier nicht aufgeworfen (der Verband kommt gar nicht vor), genauso wie das Thema Doping kaum eine Rolle spielt, außer das einmal betont wird, daß man Obree da nichts vorwerfen kann. Dass der Film jetzt in die Kinos kommt ist wohl ein Zufall oder zumindest so von den Machern nicht gewollt, denn nie kommt die Frage auf, ob Obrees Konkurrenten mit lauteren Mitteln agieren.

Fazit : "The flying Scotsman" bleibt als Autobiografie über den erfolgreichen Radsportler ganz im Privaten und konzentriert sich nur auf Obree und seine unmittelbare Umgebung. Seine manischen Depressionen werden nur angerissen,Auseinandersetzungen mit seiner Frau und Freunden auf ein Minimum reduziert und auch die Kritik an der sonstigen Radwelt und ihren Auswucherungen bleibt äußerst zurückhaltend.

Ganz offensichtlich - und das schreibt auch Obree selbst - sind seine Autobiografie und der Film Teil seiner Genesung und in dieser Funktion verdient der Film sicherlich eine Höchstnote. Aber darüber hinaus muß man konstatieren, daß sich "The flying Scotsman" trotz einer unplakativen Bildsprache, in seiner harmonischen und vóraussehbaren Erzählweise nicht sehr von üblichen Aufsteigerstories Disney'scher Machart unterscheidet.

Kennt man den Hintergrund, nötigt der Film dem Betrachter höchsten Respekt ab - unabhängig davon, muß man die ungenutzten Möglichkeiten bedauern (7/10).

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