Ihren eigenwilligen Stil haben die Coen-Brüder schon seit Jahren gefestigt und etabliert und nicht umsonst erzielen sie kommerziellen Erfolg beim Publikum während sie sich schon zu Anfang ihrer ertragreichen Karriere zu Kritikerlieblingen mauserten. Meist ist es eine bittere, erbarmungslose Welt durch die ihre Protagonisten irren, meist auf der Suche nach innerem Frieden. Nur wenige ihrer Figuren, wie zum Beispiel Jeff Lebowski, haben eben diesen schon gefunden. Wie schon in „Miller’s Crossing“ oder „Fargo“ sind es auch in „No Country For Old Men“ gehetzte Menschen, die geradezu lethargisch durch die immer wütender tosende Gewalt schreiten welche sie umgibt. Die Geschichte um den zufälligen Fund einer großen Geldsumme und die daraus resultierenden Folgen erscheint in ihrer filmischen Umsetzung genauso typisch für den Stil der Coens wie die skurrile Charakterzeichnung. Nach dem eher schwachen Remake „Ladykillers“ befindet sich das Regie-Duo wieder in gewohnter Höchstform und liefert einen frühen Höhepunkt im Kinojahr 2008. Ihr neuestes Werk ist derart kraftstrotzend inszeniert, dass der Begriff ‚Meisterwerk’ schon inflationär gebraucht wird in Bezug auf „No Country For Old Men“ – wieder einmal bleibt zu sagen: zu Recht.
Schließlich ist kaum ein anderer Filmemacher der jüngeren Generation zu nennen, der mit solcher Kontinuität derart facettenreiche Filme abliefert wie es die Coens immer wieder schaffen. Mit der Vorlage von Cormac McCarthy verfilmen sie einen Stoff, wie für ihren prägnanten Stil geschaffen. McCarthys Protagonisten sind oft Figuren am Rande der amerikanischen Gesellschaft, seine Geschichten sind meist angesiedelt im ländlichen Westen der USA und auch wenn sich „No Country For Old Men“ weit von der Vorlage entfernt, so wahren die Coens in ihrem Drehbuch die Atmosphäre der Geschichte und verwässern die Vorlage nicht. Als Kernpunkt arbeiten sie den moralischen Verfall der amerikanischen Gesellschaft heraus und konzentrieren sich ganz auf die verbitterte Weltsicht des Sheriffs Ed Tom Bell, dargestellt von Tommy Lee Jones. Während der gesamten Handlung bleibt er hinter dem psychopathischen Mörder Anton Chigurh zurück und kann nur einen blutigen Tatort nach dem anderen begutachten. Auf klassisch inszenierte Ermittlungsarbeit legt der Film keinen Wert, denn während der Sheriff immer einen Schritt hinter den Ereignissen bleibt, dann zeigt er den Platz in der Welt für Ed Tom Bell. Er versteht diese Welt nicht mehr, genau wie hinter dem flüchtigen Mörder hinkt er der Neuzeit schlicht und einfach hinterher. Nicht einmal die voran schreitende Technik macht dem alternden Cop zu schaffen – vielmehr ist es das Verschwinden jeglicher Humanität, auch und besonders auf Seiten der Kriminellen.
Anton Chigurh ist in der Tat ein Monster. Kaltblütig tötet er einen Polizisten um zu fliehen und zieht eine Blutspur hinter sich, die ihresgleichen sucht. Javier Bardem spielt diesen Psychopathen, der seine Opfer mit einer kultverdächtigen Waffe ermordet, kompromisslos und erschreckend authentisch. Seine diabolische Ausstrahlung ist derartig einnehmend, dass ihm die Leinwand ab jenem Zeitpunkt zu dem er zu sehen ist, ganz alleine gehört. Wenn Bardem mit kalt sadistischem Lächeln seine Opfer mit einem Luftdruckschussgerät tötet empfiehlt er sich überdeutlich als heißer Anwärter für den Nebendarsteller-Oscar. Doch auch dem restlichen Ensemble um Tommy Lee Jones und Javier Bardem muss Respekt gezollt werden: Josh Brolin begeistert als gehetzter Durchschnittstyp, der durch einen Zufall in einen abgründigen Gewaltstrudel gesaugt wird. Leider wenig Screentime hat der gewohnt charismatisch auftretende Woody Harrelson, dessen Rolle aber leider etwas unbeachtet bleibt und nur von marginaler Wichtigkeit für die Handlung ist. Dennoch bleibt unterm Strich eine perfekte Besetzung mit ausnahmslos brillanten Schauspielern, die allesamt zu Höchstleistungen auflaufen und sich dankbar einem solch starken Stoff verpflichten. Schon früher waren die Coens für eine skurrile Charakterzeichnung bekannt, die es guten Darstellern ermöglichen, in denkwürdigen Rollen aufzutreten.
„No Country For Old Men“ erinnert besonders in der spröden Erzählstruktur und der kargen Ästhetik an das frühere Meisterstück „Fargo“, das Drehbuch schlägt keine abenteuerlichen Haken und funktioniert nicht nach konventionellen Genreregeln. Eine stimmige Melange aus Krimi, Drama, Thriller, Road-Movie und tiefschwarzer Tragikomödie hat das kreative Brüderpaar geschaffen und erzählen nebenbei noch eine bittere Parabel über die Gier der Menschen und den verzweifelten Versuch diese zu stillen, welcher unweigerlich zum Scheitern verurteilt ist. Eingebettet ist diese Parabel in eine unterhaltsame, wenn auch sperrige Geschichte verpackt, in der niemand ohne Schaden bleibt. Dabei verzichtet der Film beinahe vollständig auf musikalische Untermalung, selbst am Anfang wird der Titel in schlichter Schrift eingeblendet um sofort Platz zu machen für die weiträumigen Bildkompositionen, welche die Ästhetik des Films eindeutig bestimmen. Wenn nach langer Zeit zum ersten Mal die Musik einer Mariachi-Band diese Stille durchbricht erscheint die Musik wie ein Fremdkörper und tritt wieder zurück in den Hintergrund. Ohne jegliche musikalische Unterstützung schafft es der Film aber in vielen Szenen eine enorme Spannungskurve zu erzeugen. Besonders deutlich wird dieser Umstand in der Szene, in der sich Javier Bardem und Josh Brolin ein Katz-und-Maus-Spiel in einem Hotel liefern, beide auf der jeweils anderen Seite der Zimmertür.
Diese superben Spannungsmomente bestimmen allerdings nicht den Charakter des Films, sind vielmehr eingestreut – bezeichnender sind die ruhigen Impressionen der scheinbar unendlichen Naturkulisse, die von Kameramann Roger Deakins (diverse Coen-Filme, „The Village“, „The Assassination of Jesse James“) in bestechend klaren, doch trotzdem poetischen Bildern eingefangen wurde. Die verschrobene Landbevölkerung wird exakt nachgezeichnet und die gebotene Location wird damit gleichzeitig sarkastisch durchleuchtet aber auch liebevoll portraitiert, bieten die kleinen Marotten der wenigen ‚rechtschaffenen’ Charaktere doch einen harten Kontrast zum egozentrischen Blickwinkel der Hauptfiguren. Selbst Tommy Lee Jones stellt keinen Gutmenschen dar, seine Position ist eine tragische. Überhaupt erinnert die ausweglose Situation motivisch an existenzialistische Geschichten von Camus und ähnlichen Schriftstellern, wofür auch das offen angelegte und überraschende Ende spricht.
Lakonisch, staubtrocken und durchzogen mit pechschwarzem Zynismus kreieren die Coens erneut eine dunkle Geschichte, die zu keiner positiven Konklusion fähig ist. „No Country For Old Men“ ist ein böser Film, mit Ecken und scharfen Kanten der dem Zuschauer einen Showdown verweigert, ihn unsicher und eher abrupt aus der minimalistischen Handlung entlässt, letztlich aber nicht nur durch die beeindruckenden Bilder nachhaltig in Erinnerung bleibt. Ungeschliffen, dabei ungewohnt roh. Ein Diamant. - 9,5 / 10