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Der Tod ist allgegenwärtig im Kopf von Bastian (Lukas Steltner). Er wurde nicht erwischt, als er den Obdachlosen im nächtlichen Wismar an einer geschlossenen Tankstelle killte. Einfach so – aus der Wut heraus, als er und sein Kumpel nichts mehr zu Trinken bekamen. Da tauchte der verwahrloste Kerl plötzlich auf und wusste sich auch noch zu wehren. Bastian schnitt ihm von hinten die Kehle durch und sie ließen die ganze Tankstelle hochgehen, um die Tat zu vertuschen. Für die Polizei war es ein Unfall.

Doch die Tat lässt ihn nicht mehr los. Noch in derselben Nacht wird er wegen eines Diebstahldeliktes verhaftet und landet für neun Monate hinter Gittern. Fast wie Hohn wirken die in verschiedenen Farben gestrichenen Gefängnismauern, durch die er wieder in die Freiheit tritt, die keineswegs eine bunte Zukunft, sondern erneute Zwänge bringt. Seine Freundin denkt schon an die Ehe, aber Bastian vermisste im Knast vor allem sein Handy und seine Playstation, und er hat noch eine Rechnung mit seinem Kumpel offen, der ihn wegen des Mordes erpresst. Als er ihn mit gezücktem Messer zur Rede stellen will und hinter einer Toilettentür auf ihn lauert, passiert ein Unglück – ein paar junge Männer bringen einen Betrunkenen hinein, stoßen die Tür auf und Bastians Messerspitze steckt in seinem eigenen Bauch.

Glücklicherweise handelt es sich nur um eine Fleischwunde, aber es kommt zum Kontakt zwischen zwei gegensätzlichen Welten – den Wanderergesellen, die drei Jahre lang ohne feste Unterkunft und nur mit dem Notwendigsten ausgestattet, ihre Arbeit anbieten, und dem auf cool machenden Provinz-Jüngling, der am liebsten mit seinen Kumpels abhängt. Und schon sind die Brüder Reding wieder bei ihrem Thema, dass sie in ihrem inzwischen acht Jahre alten Film „Oi! Warning“ schon behandelten – die genaue Charakterisierung von Randgruppen durch eine normalerweise nicht entstehende Konfrontation. Bastian will sich spontan den Wanderergesellen anschließen, obwohl Festus (Sascha Reimann aka Ferris M.C.) ihn als völlig ungeeignet für die Handwerkergilde ansieht, aber Samarit (Puja Pehboud), der den Unfall mit dem Messer auslöste, hatte es ihm versprochen und so geht er mit Bastian auf eine sechswöchige Probezeit.

Doch „Für den unbekannten Hund“ ist kein Film über Wege der Freiheit in einem durchorganisierten Land wie Deutschland, sondern ein Film über Regeln und Zwänge, die auch in den scheinbar außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft stehenden Gruppierungen vorherrschen. Dazugehörigkeit muss man sich immer verdienen - Verhaltensweisen, Kleidungskodex und auch eine längere Phase der Unterordnung sind unverzichtbare Bestandteile einer jeden Gruppierung. Dabei verfolgen die Brüder Reding zwei Hauptstränge in ihrer Handlung – die inneren Abläufe der Protagonisten, die ihre Gespenster nicht loswerden, und die Verzahnung der verschiedenen Haltungen und Gruppenzuordnungen.

Schon zu Beginn wird Bastian mit den strengen Regeln der Handwerker konfrontiert, als sein Handy im hohen Bogen durch die Luft fliegt. Aber das Zusammensein mit Samarit währt nicht lange, da es zu einem Baustellenunfall kommt, durch den dieser schwer verletzt wird und darauf hin im Koma liegt. Der Unfall, den Bastian durch Nachlässigkeit verursacht hatte, verhindert, dass Samarit die Gilde darüber aufklären kann, dass Bastian vorbestraft ist, denn das würde zu seinem sofortigen Ausschluss führen. Stattdessen bittet er Festus, ihm noch eine Chance zu geben und ihn zu begleiten. Festus hatte seine drei Wandererjahre schon abgeschlossen, aber er hat Schwierigkeiten sesshaft zu werden. Das liegt vor allem am Tod seines ehemaligen Freundes Schmiege (Gunnar Melches), für den er sich verantwortlich fühlt, weshalb er sich von Bastian überreden lässt.

Beide sind Getriebene, deren Taten sie immer wieder im Traum verfolgen, und die Brüder Reding schaffen hier eine Konstellation, die nicht aufgehen kann und deren tragische Konsequenz vorgezeichnet ist. Damit sind sie ganz nah am klassischen Melodrama eines Douglas Sirk und durch die sensible Beschreibung der sich langsam zusammenraufenden Protagonisten, rückt die Unausweichlichkeit des Endes immer näher. Gleichzeitig überrascht die unterhaltsame Lässigkeit, mit der hier auch ein klassisches Buddy-Movie erzählt wird, in dessen Verlauf sich Beide mehrfach zu Hilfe kommen. Lukas Steltner in seiner ersten Rolle als Bastian gelingt es, ohne anbiedernde Verhaltensweisen oder seine Taten zu verharmlosen, Tiefe und Sympathie zu erzeugen und Ferris M.C. ist einfach großartig als naiv - erfahrener Träumer, der einerseits wie geschaffen ist für ein freies unabhängiges Leben, aber gleichzeitig nicht aus seiner bürgerlichen Haut kann.

In der Beobachtung dieser Grenzen ist „Für den unbekannten Hund“ am stärksten, denn die Brüder Reding zeigen, dass es die Welt der Randgruppen gar nicht gibt, sondern das alles in einem komplexen Zusammenhang steht, aus dem es kein Entrinnen gibt. Sehr gut beobachtet sind die Widersprüche innerhalb der Gruppierungen. So finden zwei rechtsradikale Mädchen die Wanderergesellen bei einem Rock-Konzert gleich sympathisch, weil sie nationalen Traditionen verpflichtet sind und in einer entscheidenden Szene werden sie von einem Auftraggeber gelobt, weil sie im Gegensatz zu den Ausländern so fleißig und tüchtig sind. Einerseits stehen sie mit ihrer anarchischen Lebensweise außerhalb der Gesellschaft, andererseits verkörpern sie mit ihren strengen Regeln, die genau bestimmen wer „zünftig“ ist, traditionelle Werte. „Für den unbekannten Hund“ macht deutlich, dass es letztendlich keine Rolle spielt, welche Uniform man trägt oder welche Rolle man einnimmt, denn innere Unabhängigkeit lässt sich allein damit nicht erzeugen.

„Für den unbekannten Hund“ ist ein professionell gedrehter Film, der sehr gut unterhält und in seiner optischen Verzahnung verschiedener Handlungsstränge, die immer wieder von Traumsequenzen unterbrochen werden, Gestaltungswille zeigt. Doch die Brüder Reding bleiben ihrer konsequenten Haltung treu, obwohl sie das Ende durch berührende Szenen immer weiter herauszögern. Ein emotional schlüssiger Abschluss wäre möglich gewesen, die Darstellung einer charakterlichen Änderung der Protagonisten war vorbereitet – vielleicht hätte es der Film auch verdient gehabt, aber die Redings verzichten auf diese Befriedigung – das macht letztlich die Klasse dieses Films aus (9/10).

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