Review

Ursprünglich beabsichtigte Italiens vielleicht kontroversester Autorenfilmer Pier Paolo Pasolini („Teorema“, „Die 120 Tage von Sodom“), seine persönliche Adaption des Matthäus-Evangeliums („Das 1. Evangelium – Matthäus“, 1964) an Originalschauplätzen in Israel zu drehen. Warum er sich letztlich doch mit der ebenfalls erstaunlich authentischen süditalienischen Provinz begnügte wird unter anderem in „Ortsbesichtigung in Palästina“ deutlich, einer Art dokumentarischen Filmtagebuch, das Pasolini während einer Reise durch Palästina führte, immer auf der zweckgebundenen Suche nach der von ihm leidenschaftlich ersehnten Ursprünglichkeit, die er in dem zerrissenen, verwelkten Israel nicht findet.

„Ortsbesichtigung in Palästina“ ist aber (leider) dennoch kein intimes, extrovertiertes Filmdokument geworden- was überwiegend darin begründet ist, das Pasolini dem Zuschauer nicht mehr vermittelt als sein Gefühl der Überwältigung und abstruse sozial- wie kulturphilosophische Gedankenfragmente bei der Besichtigung historischer Stätten wie dem Tempel, dem goldenen Tor und dem Garten Gethsemane in Jerusalem, einer Grotte in Bethlehem die als Geburtstätte Christi angepriesen wird und dem Fluss Jordan. Mehr findet man in dem 45minütigen Film aber nicht vor. Weder scheint Pasolini an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der maroden Situation des ausgezehrten Landes- obwohl er diese mehrmals anreißt – interessiert zu sein, noch impliziert er die Kommunikation mit den Einheimischen. Somit mag „Ortsbesichtigung in Palästina“ sicherlich ein ausgesprochen persönlicher Film sein, aufschlussreich oder für uns - die „Allgemeinheit“ - von Bedeutung ist er aber nicht.

Besonders problematisch ist aber Pasolinis bizarre Utopie einer neuen, ursprünglichen Humanität. Um eben diese kreisten zahlreiche Filme des Regisseurs- beginnend mit seinem Langfilmdebüt „Accattone“ bis hin zu dem Spätwerk der aufgrund ihrer Verherrlichung sexueller Freiheit umstrittene „Trilogie des Lebens“. Die Grundthese Pasolinis ist dabei mutmaßlich folgende: Das zur dekadenten, faschistoiden Konsumgesellschaft verkommene Groß- und Kleinbürgertum, stets engagiert für Globalisierung und Industrialisierung einzutretend, ist nicht mehr in der Lage zu seinen Ursprüngen zurückzufinden und hat sich von der eigenen Spezies Mensch degeneriert. Die neue Humanität und die Zukunft der Erde liegt in den Händen des Subproletariats- das immer noch – in einer entarteten Welt - seinen ureigensten Trieben in animalischer, aber herzlicher Weise folgt (salopp gesprochen: Essen, Schlafen, Ficken, Tanzen, Singen und Trinken) und sich trotz oder gerade aufgrund seines Elends noch an den kleinsten Glücksmomenten des Lebens erfreuen kann. Am Rand der Stadt trifft Pasolini jedoch auf eine kleine Gruppe von Menschen, die seiner Vorstellung von „archaischen Subproletariern“ entsprechen. Mit Mühe und Not hält er die infantile Begeisterung eines Ornithologen, der auf das letzte Exemplar einer ausgestorben geglaubten Vogelart gestoßen ist, zurück.

Diese Theorie die vermutlich Pasolinis eigener abstrakter Auffassung des Kommunismus entspricht, ist sicherlich streitbar, scheint im Ansatz aber nicht grundsätzlich hanebüchen. Meint man zumindest nach Begutachtung der Spielfilme, in denen Pasolini sie verarbeitete. Nach „Ortsbesichtigung in Palästina“ runzelt man jedoch perplex die Stirn. So wie sich das gewünschte Weltbild des Regisseurs hier abzeichnet ist man mehrmals versucht, dessen Vernunft und Sachlichkeit in Zweifel zu ziehen (was angesichts seines Gesamtwerks freilich mehr als schwer fällt), so weltfremd und manieriert artikuliert sich Pasolini stellenweise. Ständig ist von der verlorenen archaischen und animalischen Roh- und Natürlichkeit der Menschen und ihrer Gesichter die Rede, von der erdrückenden Menge an Vorboten der industriellen Verseuchung und der Technisierung - an dieser Stelle zeigt uns Pasolini eine alte Windmühle! – und dem verlorenen kulturhistorischen und religiösen Bewusstsein der Bevölkerung. Und all das nicht selten mit einem gänzlich deplazierten vorwurfsvollen Unterton. Das mutet nicht nur sonderbar sondern zuweilen auch ärgerlich an. Man hat zu keinem Zeitpunkt den Eindruck das Pasolini um die Wahrheitsgehalt der Aussagen seiner ausgedehnten Lamentation wüsste- sondern nur, das ein europäischer Intellektueller als Tourist über die Entwicklung eines fremden Land staunt und sich dabei zu Urteilen- die zumindest als solche verstanden werden - hinreißen lässt, zu denen er schlicht und ergreifend nicht befugt ist. So verspürt man als Zuschauer permanent das unheilvolle Bedürfnis, Pasolini das Mikrofon zu entreißen und es dem italienischen, wohl aber seit Jahren in Palästina ansässigen Priester in die Hand zu drücken, der Pasolini bei seiner Reise begleitet und von dem er dankenswerterweise auch gelegentlich kurz um Auskunft gebeten wird- so werden dem Zuschauer zumindest in einigen raren Momenten einige interessante Standpunkte dargelegt.
Um sein Filmtagebuch schließlich noch mit einer andächtigen Note zu „bereichern“ hat der Regisseur seine Aufnahmen schließlich noch beinahe mit beinahe pausenloser klassischer Musik - unter anderem von Johann Sebastian Bach (…) – unterlegt. Auch das lässt einen eher hilflosen und enervierten Eindruck beim Zuschauer zurück.

Summa summarum ist „Ortsbesichtigung in Palästina“ im Grunde äußerst sehenswert- wenn man sich denn für die Persönlichkeit Pier Paolo Pasolinis und seine politischen wie philosophischen Thesen interessiert. Als Dokumentarfilm hat er jedoch nur wenig Wert- denn es wird weder ein Land, noch seine gesellschaftliche Situation und eben leider auch nicht der Regisseur selbst festgehalten, auch wenn dessen Selbstreflexion hier im Zentrum steht. Ein bemerkenswerter, stellenweise aber auch ausgesprochen fragwürdiger, oft unfreiwillig grotesker Einblick in die innere Uhr des Pier Paolo Pasolini – für die Dauer einer Sekunde. Unter diesem Gesichtspunkt – der fragmentarische Blick auf die Weltsicht des Künstlers- die sich hier ein Stück weit selbst manifestiert - ungewöhnlich und streitbar, ansonsten heute aber kaum noch von Belang.

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