Spätestens seit Fred Zinnemanns „12 Uhr mittags“ war der Western auch immer ein Film über persönliche Courage innerhalb einer Gesellschaft, deren Zivilisierung nur langsam fortschritt. Die Grenze der Legalität war schmal und es lag nur an den äußeren Rahmenbedingungen, ob die gleichen Methoden als verbrecherisch oder gerechtfertigt galten. Deshalb verlor die Gesetzestreue als Maßstab für die Richtigkeit des Handelns immer mehr an Bedeutung und Werte wie Konsequenz, persönlicher Mut oder moralische Festigkeit innerhalb einer degenerierten Umgebung konnten auch einen Killer zum eigentlichen Helden werden lassen.
„Django“ , die von Clint Eastwood gespielten Revolverhelden und viele andere Outlaws wurden als ihrer Umgebung moralisch überlegen gezeigt, weil sie anders als Bürgermeister, Großgrundbesitzer oder Eisenbahninvestoren nicht an kapitalistischen Werten interessiert waren, weil sie ihre „Arbeit“ selbst machten und nicht unzählige Handlanger dafür ins Feld schickten und weil sie nie Schwächere bekämpften oder ausnutzten. Doch diese archaische Form des Einzelgängers musste verstärkt um seine „Freiheit“ kämpfen, da die Sozialisierung des Westen fortschritt und eine Bürgerschicht, die pragmatisches Denken und effiziente Vorgehensweisen der spontanen Reaktion vorzog, vermehrt die Verhältnisse bestimmte.
Dementsprechend begründete sich die fehlende Unterstützung für den Sheriff in „12 Uhr mittags“ damit, dass die Bürger das Risiko eines Kampfes gegen den Erhalt ihres Besitzes abwägen. Doch anders als in Zinnemanns Werk glaubte ein Sergio Leone 20 Jahre später in seinem „Spiel mir das Lied vom Tod“ nicht mehr an die Vorbildwirkung des einzelnen Helden, dem letztendlich die aufgerüttelte Bevölkerung noch zu Hilfe kommt. Seine Helden blieben bis zum Schluss auf sich allein gestellt und obwohl sie sich dank ihres individuellen Könnens im Kampf Mann gegen Mann durchsetzen konnten, ließ er keinen Zweifel daran, dass der Kampf gegen die Zivilisation verloren war – eine Zivilisation, die sich einerseits durch einen rigiden Kapitalismus und damit die Unterdrückung Schwächerer auszeichnete und andererseits bürgerliche Lebensformen wie Familie und den Aufbau eines eigenen Besitzes erst ermöglichte.
Aus dieser Konstellation entstand ein widersprüchliches Spannungsfeld, das bis heute symbolisch für den Charakter der USA steht und sich etwa an den liberalen Waffengesetzen erkennen lässt. Der einsame Held stand auf Grund seiner archaischen Lebensform zwar außerhalb der Gesellschaft, sorgte aber durch seine Unterstützung der Schwächeren erst für den Aufbau eines bürgerlichen Lebens, während andererseits die Insignien des gehobenen Bürgertums wie Bankiers oder Großgrundbesitzer durch rücksichtslose Ausbeutung auffielen. Signifikant für diese Entwicklung war der Bau der Eisenbahn, da dieser erst die Erschließung des „Wilden Westen“ ermöglichte, gleichzeitig aber ein Magnet wurde für gerissene Geschäftsleute, um sich schnell und problemlos zu bereichern.
Im Film entstanden auf dieser Basis Stereotypen, die spätestens seit „Spiel mir das Lied vom Tod“ zu ehernen Gesetzen wurden – der Revolverheld, der entweder für die gerechte Sache kämpft oder als Handlanger der Reichen auftritt, niemals aber die Chance auf ein bürgerliches Leben bekommt, der tapfere, fleißige Farmer, der sich und seine Familie nicht ausreichend schützen kann, der Großgrundbesitzer, der zwar Macht hat, aber privat unglücklich ist und die opportunistische Masse der Stadtbewohner, die ängstlich in ihren Häusern kauert und versucht ihren Besitz und ihre Familien zu bewahren.
Obwohl es sich faktisch um ein Remake handelt, wäre der aktuelle „Todeszug nach Yuma“ ohne diese teilweise nach dem Original entstandenen filmischen Vorbilder nicht vorstellbar. Die Intelligenz und überraschende Vielfältigkeit der Story liegt in der fast altmodischen Ernsthaftigkeit, mit der hier eine Geschichte voll bekannter Szenarien erzählt wird, die gleichzeitig eine komplett andere Sichtweise auf die inneren Zusammenhänge wirft. Geschickt ist auch die Wahl der Hauptdarsteller Christian Bale und Russel Crowe, deren Status sie auf Augenhöhe agieren lässt. Damit wird dem klassischen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen bürgerlicher Existenz und Verbrecherleben, zwischen persönlicher Aufopferung und dekadentem Ausleben, zwischen Ehe und sexueller Unabhängigkeit, zwischen moralischer Haltung und intellektueller Anarchie erst die Grundlage bereitet – ein Kampf, der in unzähligen Nuancen, wenn auch selten in dieser Vielfalt, schon ausgefochten wurde. Fast immer mit dem gleichen Ergebnis.
Doch schon die Charakterisierung der beiden Hauptfiguren deutet in eine andere Richtung. Russel Crowe als Ben Wade gelingt über den gesamten Zeitraum des Films eine ausgewogene Mischung aus gefährlichem Revolverhelden, intellektuellem Schöngeist und Einfühlungsvermögen für seine Umgebung. Seine Schiesskunst ist zwar überlegen, wird aber niemals hochstilisiert. Viel mehr legt der Film wert auf sein sprachliches Vermögen und sein unerschütterliches Selbstbewusstsein. Beeindruckend die Szene, in der er einen seiner Bewacher auf dem Transport zum Gefängnis tötet, nachdem dieser sich über ihn und besonders seine Mutter lustig gemacht hatte. Crowe wirkt danach, während er den Sing-Sang, mit dem dieser ihn zuvor verärgert hatte, nachahmt, gleichzeitig wie ein wahnsinniger Mörder und ein überlegener Taktiker, der keineswegs in eine maßlose Wut ausgebrochen ist. Durch diese Balance bleibt Wade bis zum Schluss in seinem Verhalten nicht vorhersehbar und lässt den Zuseher immer wieder an seinen Sympathiegefühlen zweifeln.
Ähnlich komplex agiert Bale, der den rechtschaffenen Farmer Dan Evans mit Frau und zwei Söhnen spielt. Äußerlich besitzt er zwar wichtige Insignien des Heldentums, da er als überragender Scharfschütze im Bürgerkrieg galt und sich zudem noch eine schwere Verwundung zuzog, die ihn einen Fuß kostete. Auffällig ist aber eine trotz des äußerlichen Handelns zu erkennende Unsicherheit. Zwar wehrt er sich gegen einen Grundbesitzer, der ihm das Wasser abgräbt (ein klassisches Motiv, das zum Beispiel in „Weites Land“ den Konflikt heraufbeschwor) und ihm dadurch die Chance nimmt, seine Schulden abzuzahlen, aber in seinen Gegenreaktionen bleibt er immer merkwürdig verhalten. Nicht ohne Grund hat sein ältester Sohn William wenig Respekt vor ihm, weshalb er sich gegen das Verbot des Vaters ebenfalls heimlich der Gruppe anschließt, die Ben Wade zu dem Bahnhof bringen will, von wo aus er nach Yuma ins Gefängnis gebracht werden soll.
Anders als in unzähligen Geschichten, die immer eine Reinwaschung des Helden vermittelten, in dem seine Schuld im nachhinein relativiert wurde, geht „Todeszug nach Yuma“ den intelligenteren Weg – seine Schuld zeigt sich in einer konkreten Lebenslüge, aber den Respekt verdient er sich trotzdem. Der größte Leistung in Bales ambivalentem Spiel liegt darin, dass er – obwohl die weit weniger faszinierende Figur als Ben Wade – trotzdem immer wieder mit seiner stoischen, aber letztlich unabhängigen Art Sympathiepunkte sammeln kann und wenn es zum Schluss zum Austausch zwischen den Protagonisten kommt, dann ist das auch sein Verdienst. Selbst in seiner nie abgelegten Passivität kann Evans den aktiven Wade noch beeindrucken.
„Todeszug nach Yuma“ begeht glücklicherweise nicht den Fehler, eine bekannte Geschichte einfach gegen den Kamm zu scheren. Im Gegenteil nimmt der Film seine Story sehr ernst und bleibt bis zum Schluss ein klassischer, erfrischend altmodischer Western, der dazu noch beliebte Stereotype wie skrupellose Revolverhelden (Ben Foster), laszive Bardamen, erfahrene Detektive (Peter Fonda), Eisenbahnmanager und Farmerfrau (Gretchen Mol) mit ausgezeichneten Darstellern besetzt. Die Aktualität des Films, der die Entwicklungen des Western seit der Entstehung des Originals konsequent aufnimmt, liegt in der charakterlichen Tiefe und der genauen Beobachtung, die einem vertrauten Szenario neue Seiten abgewinnen kann (9/10).