"Kottan ermittelt " ist eine Fernsehserie und wie bei allen Serien entstehen automatisch Informationen, die von Folge zu Folge zunehmen und die für das umfassende Verständnis notwendig werden. Doch jede Folge von "Kottan ermittelt" ist auch solitär zu betrachten, was vor allem für die ersten 7 in Spielfilmlänge gedrehten Episoden gilt, für die die Macher um Helmut Zenker fünf Jahre benötigten, während die übrigen 12 Episoden dann in zwei Jahren abgedreht wurden.
In diesem Zusammenhang kommt der hier vorgestellten dritten Folge "Wien Mitte" eine besondere Bedeutung zu, denn sie ist ausschlaggebend für den sich immer mehr verändernden Charakter der Serie. Vielleicht lag ein Grund darin, dass erstmals Franz Buchrieser die Rolle des "Major Kottan" übernahm, nachdem Peter Vogel diesen in den ersten beiden Filmen gespielt hatte. Schon daran ist zu erkennen, dass es sich zu Beginn keineswegs um eine normale Fernsehserie handelte, bei der man sich üblicherweise einen Darsteller für die gesamten geplanten Folgen sichert.
Und "Hartlgasse 14" - wie der erste "Kottan" hieß - bildet auch im Gesamtwerk eine Ausnahme, denn der Film ist von völliger, fast depressiver Ernsthaftigkeit. Drehbuchautor Helmut Zenker hatte die Geschichte um den Wiener Polizisten als Buch geschrieben, welches keinen Verleger fand, und konnte dann über den Umweg eines Hörspiels gemeinsam mit Regisseur Peter Patzak die erste Folge umsetzen. Schon in der zweiten Episode nahm das satirische Element zu, welches dann in "Wien Mitte" soweit voran getrieben wurde, dass hier eine Vielzahl sogenannter "Running-Gags" ihren Anfang nahmen, die in der weiteren Serie immer überzogener variiert wurden.
Warum aus einer so ernst gemeinten Sozialstudie wie in "Hartlgasse 14" überhaupt eine satirische Polizeiserie werden konnte, hat sehr viel mit der Wiener Mentalität zu tun, die zu verstehen oder zumindest offen zu betrachten, eine unbedingte Voraussetzung für den Zuschauer ist. Die Abgründe in der Sozialisation oder auch die politisch gesellschaftliche Haltung, die "Hartlgasse 14" im Wiener Milieu demonstrierte, sind sehr nahe an der Karikatur, so dass man oft nicht weiß, ob man weinen oder lachen sollte. In "Wien Mitte" ist von dieser Sichtweise noch viel zu erkennen und man muss konstatieren, dass dem Film die Länge von 90 Minuten sehr gut tut, denn hier verbinden sich realistische Milieustudie, spannender Krimi und satirischer Unsinn in kongenialer Art und Weise.
Das beginnt schon mit der Figur des Kottan. Buchrieser gibt den Polizeimajor ("Inspektor gibt's kanen") in einer Mischung aus relaxtem Bullen und bürgerlichen Spießer. Während er bei seiner Arbeit meist einen entspannten Eindruck macht, sich regelmäßig über die Dämlichkeit seines Assistenten Schrammel (Curt A.Tichy) und seinen Chef Pilch lustig macht, erleben wir ihn zusammen mit seiner Frau Ilse (Bibiane Zeller) in schönster kleinbürgerlicher Manier. So will er für einen Kredit seiner Tochter nicht bürgen, weil er Schuldenmachen verabscheut , und schaut bei einem Bier konzentriert in die Fernsehröhre, während dort nur die Texttafel einer Fernsehstörung zu sehen ist. Allerdings gelingt Buchrieser in seiner nicht uncharmanten Art, dabei immer sympathisch zu wirken.
Der Beginn von "Wien Mitte" gehört erst einmal dem Unsinn, denn jedesmal, wenn Kottan oder sein Mitfahrer eine Tür öffnen, wird diese von einem heranfahrenden Auto abgerissen (ohne das die Herren Polizisten jemals in der Lage wären, das Kennzeichen festzustellen). Doch auch hier sind immer feine Anspielungen zu erkennen, als sich zum Beispiel eine Mutter über den ohne Tür fahrenden Kottan amüsiert und ihre kleine Tochter auf offener Straße schlägt, weil diese nicht sofort kapiert hatte, was da vor sich geht.
Während sich Kottan also mit "Alltagsproblemen" herumschlägt, kommt es zu dem eigentlichen Verbrechen. Am Bahnhof "Wien Mitte" nähert sich der Sandler (hochdeutsch : Obdachloser) Drballa (Carlo Böhm) einem auf der Wartebank sitzenden Fahrgast. Während er diesen gerade anschnorrt, fällt ein Schuss und der unbekannte Mann bricht tot zusammen. "Kottan ermittelt" machte dann aus dieser Konstellation, die sich auch in dieser Folge nochmals wiederholte, einen "Running Gag", indem immer wenn eine Leiche zu bedauern war, zufällig der arme Drballa in unmittelbarer Nähe zu finden war.
Die Polizeiarbeit wird zwar regelmäßig von solchen satirischen Elementen unterbrochen (wie etwa das Lesen von griechischen Zeitungen, weil man keine Werbung für österreichische Blätter machen will), bleibt aber in der Genauigkeit seiner Beobachtung und seiner inneren Logik sehr nahe an der Realität. Dabei zeigen sich vor allem die Qualitäten des Assistenten Paul Schremser (von dem einbeinigen Walter Davy mit zurückhaltendem Humor dargestellt), der sich bei den Ermittlungsarbeiten hervortut, während sein Chef Kottan oft für die uneffektive Action zuständig ist. So kommt es auch zu dem Bonmot, dass Schremser einen Verdächtigen mit seiner Krücke zu Fall bringt, während Kottan und Schrammel diesem nur atemlos hinterher laufen.
Die sozialen Umstände, die hier zu dem Verbrechen führten, sind psychologisch sauber ausgearbeitet und es gelingt in "Wien Mitte" ,trotz des gemütlichen Wiener Tempos, immer die Spannung aufrecht zu halten. Das liegt nicht zuletzt an der Atmosphäre, die in dieser Kottan-Episode noch eine wesentliche Rolle - ganz im Sinne der ersten Folge - spielt. Das winterliche Wien wird hier in einem tristen Grau-Braun und ohne Blick auf irgendwelche Prachtbauten gezeigt, so dass selbst der blühendste Unsinn immer noch eine Verbindung zur Realität behält. Das erhält dem Film seinen melancholischen Touch, der erst den ungewöhnlichen Charakter dieser Fernsehserie ausmachte und der in den späteren Folgen immer mehr verschwand.
Fazit : "Wien Mitte" ist zwar als dritte Folge der Reihe "Kottan ermittelt" scheinbar ein Teil einer 19-teiligen Reihe, aber zur eigentlichen Fernsehserie mauserten dich die Geschichten um den Polizeimajor erst ab der achten Folge, die dann auch nur noch 60 Minuten lang waren.
"Wien Mitte" ist noch als sehr eigenständiger Film zu betrachten, der einen zweifachen Mord in seinen Mittelpunkt stellt. Die satirischen Elemente regen dementsprechend wenig zum Lachen an, sondern sind unterstützender Teil der Milieustudie, die ein wenig schmeichelhaftes Bild auf die Wiener Sozialisation wirft. So werden immer wieder Szenen mit dokumentarischem Material gemischt, wie etwa bei der genialen Verkäuferszene auf dem Naschmarkt, welcher wie das gesamte Wien hier von einer sehr kalten und tristen Seite gezeigt wird.
"Wien Mitte" ist eine der besten Kottan-Episoden ,der es mit Unterhaltungs- und Satireelemente gelingt, eine wirkliche Tiefe zu erreichen, dabei ein tatsächliches Bild von Wien vermitteln kann und den Betrachter mit einem melancholischen Empfinden entlässt (9/10).