Angesichts des vorliegenden Werks bietet es sich an, die gegenseitige Durchdringung, jedoch aber auch Divergenz der beiden Medien Film und Theater hinsichtlich ihrer Spezifik zu charakterisieren. Während der Film die Möglichkeit besitzt, raum-zeitliche Sprünge durch das Mittel des Filmschnitts darzustellen, ist dies im Theater nicht möglich. Während Film es möglich macht, von einer Einstellung auf die nächste riesige Distanzen zu überwinden (man erinnere sich an den Wechsel der Schauplätze in James Bond-Filmen, wo es Agent 007 von einem Augenblick auf den anderen vom kalten London in die warme Karibik verschlägt), ist das Theater doch regelrecht an einen Ort gekettet, welcher es durch seine begrenzte Größe nur ermöglicht, dass wenige Akteure zur selben Zeit miteinander agieren. Diese Einschränkung kann nur durch ein zeitraubendes Umdekorieren der Bühne durchbrochen werden.
Nun stellt sich jedoch die Frage nach der Konvergenz der Medien, denn schließlich existiert darüber hinaus noch die Ebene der Akteure, der Schauspieler. Abgesehen davon, dass viele Künstler den (Ab-)Sprung von der Bühne vor die Kamera schafften, ist es doch hier wie dort, im Film wie im Theater, die mimische Ausdrucksfähigkeit, welche im Schauspiel gefordert wird. Was liegt nun jedoch näher? Dass sich ein Theaterstück einem Film annähern kann? Wohl kaum, weil eben die technischen Möglichkeiten fehlen. Oder, dass sich ein Film jenen Gegebenheiten eines Theaterstücks annähert? Ich halte letzteres mit „1 Mord für 2" durchaus für möglich.
Basierend auf dem Theaterstück „Sleuth" von Antony Schaffer, welches schon 1972 unter dem Titel „Mord mit kleinen Fehlern" mit Michael Caine verfilmt wurde, schrieb der hauptsächlich fürs britische Fernsehen tätige Drehbuchautor Harold Pinter sein Skript für den Film. Michael Caine wechselt dabei die Fronten: Während er im filmischen Original die Rolle des jugendlichen Liebhabers mimte, glänzt er in „1 Mord für 2" als gewiefter älterer Autor. Doch möchte ich die Handlung nicht vorweg nehmen, weswegen ich im Nachfolgenden den Ausgangspunkt, die Eröffnung des Spiels, kurz nachzeichnen möchte.
Der erfolgreiche ältere Buch-Autor Andrew Wyke (Michael Caine) bekommt in seiner schicken, aber enorm kalten Designer-Villa Besuch von Milo Tindle (Jude Law), dem mittellosen Lover seiner Frau Maggie. Maggie verließ Andrew für Milo, welcher Andrew besucht, um mit ihm die Modalitäten der Scheidung abzuklären. Doch im Verlauf der „Verhandlungen" entspinnt Andrew einen obskuren Plan: Milo soll seine Diamanten stehlen, um seiner verwöhnten Frau ein gutes Leben zu ermöglichen. Doch dies ist nur der Auftakt für ein perfides Spiel, welches im Kern um Verachtung, Wut und Hoffnung kreist...
Mir liegt es fern, den Vergleich von Film und Theater überzustrapazieren, jedoch ergibt sich eine weitere Parallele, liest man den Namen des Inszenateurs. Kein Geringerer als Shakespeare-Mime und -verfilmer Kenneth Branagh nahm auf dem Regiestuhl Platz. „Sleuth" (so auch der Originaltitel des Films) ist in drei Akte geteilt, schaut man sich den Handlungsverlauf um fingierte Bedrohungssituationen und die inhärente Spiel-Metaphorik an. Dabei erfolgt zwischen dem ersten und zweiten Akt aufgrund einer zeitlichen Zäsur ein harter Schnitt und die Kamera wendet - wie nur selten im Film - ihren Blick nach außen. Diese Struktur der Unterteilung in Akte wurde auch filmhistorisch betrachtet zunächst aufgrund der neuen und unselbstständigen Kunstgattung Film vom Theater übernommen.
Erinnert man sich an Stummfilme wie bspw. „Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" von F.W. Murnau, so ist zwischen den größeren Abschnitten im Handlungsverlauf - zumindest in älteren Kopien - eine Einblendung zu sehen bzgl. der Verortung in der Gesamtstruktur des Werks („Ende I. Akt; „Beginn II. Akt" ist auf Zwischentiteln zu lesen). Dies spart Branagh jedoch letztendlich aus. Jedoch zeugen nur zwei Schauspieler, die sich über einen Zeitraum von über 90 Minuten miteinander messen, von einer - für einen Spielfilm - experimentierfreudigen Grundanordnung. Auch die Begrenzung auf nur einen Handlungsort (die Designervilla) erzeugt eher den Eindruck einer zufällig anwesenden Kamera, welche ein Theaterstück dokumentiert als jenen, dass es sich um einen ernst zu nehmenden Spielfilm handelt.
Doch leider harmonieren Branaghs Stilmittel darüber hinaus nicht mit dieser zunächst schlüssigen Interpretation. Er misst dem Einsatz von Musik (durch den Film zieht sich ein schwermütiges Streicherthema, welches von einem Klavier begleitet wird) große Bedeutung bei, aber auch unkonventionellen, langen Einstellungen, die man als Referenz an die frühe Stummfilmzeit ansehen (eine statisch-fixierte Kamera war besonders beliebt) oder als selbstverliebtes Stilmittel deuten kann. Gleich zu Beginn etwa verfolgt man am Monitor die Bilder einer Überwachungskamera. Ein Auto nähert sich dem Anwesen von Autor Andrew. Durch eine extreme Aufsicht wird die Separation zwischen Innen und Außen vermittelt. Eine zunächst banale Unterscheidung, welche allerdings später, im Fortgang der Handlung, wesentliche Bedeutung erhalten soll. Auch hier versagt Branaghs durchaus beeindruckender Film wieder: Die visuellen Kapriolen lenken vom Eigentlichen ab, von dem dieses Zwei-Personenstück lebt: von den Dialogen. Und auch diese ermüden eher aufgrund ihres zahlreichen Vorkommens im Film. Das häufig gebrauchte Wort „Geschwätzigkeit" trifft das Manko in diesem Kontext präzise.
Jude Law und Michael Caine - beiden ist ein großes Lob auszusprechen, da sich keiner der beiden vom jeweils anderen an die Wand spielen lässt. Beide agieren souverän in ihren - und das muss man auch festhalten - dankbaren Charakteren, welche genau in ihr Rollenprofil vom erhabenen, aber gewieften Alten bzw. gefühlsbetonten, leicht arroganten Jungspund hineinpassen. Insofern liefert „1 Mord für 2" gediegenes Schauspielkino, aber ebenso tempoarmes und prätentiöses. Leider.
Wo das Theater um seine Grenzen wusste, muss es der Film auch nach einem Zeitraum von über 100 Jahren seiner Existenz noch erlernen. Film wird häufig kritisiert, weil er nur Wirklichkeit reproduziere (Rudolf Arnheim stand dieser These in seinem Aufsatz „Film als Kunst" strikt entgegen), doch ist genau dies im vorliegenden Werk nicht der Fall. Film transformiert eher eine andere Kunstgattung - denke man nur an die Literatur (das Drehbuch ist bei beinahe jedem Film notwendig zur Strukturierung) oder das Theater. Die Vorlage wird aufgrund medialer Gegebenheiten abstrahiert und um eine oftmals visuelle und auditive Ebene erweitert. In Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche" (Originaltitel: Rope; basierend auf Patrick Hamiltons Bühnenstück Rope´s Ende) - auch ein Kammerspiel wie das hier vorliegende Werk - hat dies funktioniert. Allerdings auch unterstützt durch seine unsichtbaren Schnitte (es ranken sich Legenden um die tatsächliche Anzahl; von weniger als fünf ist in den rund 80 Filmminuten Laufzeit die Rede), welche in „1 Mord für 2" - trotz aller Rafinesse - allzu offensichtlich und häufig sind, was die angestrebte Nähe zum Theater oder zumindest Theaterhaften konterkariert.
Ein Bühnenstück lebt von seinen Dialogen, der räumlichen Begrenztheit und dem Ausdruck der Darsteller. Ein Film jedoch lebt von der Dynamik, welche - zumindest Sergej M. Eisensteins und nicht zuletzt Wsewolod I. Pudowkins Argumentation in seinem Aufsatz „Filmregie und Filmmanuskript" zufolge - durch die Montage von Einstellungen, aufeinander folgender Bilder, erreicht wird in Verbindung mit exzellenten Darstellerleistungen. Dynamik und endlose Dialoge ohne wirklichen Gehalt oder ohne psychologische Intensität harmonieren jedoch nicht und drosseln das Tempo eines Films. Da kann Kenneth Branagh noch so sehr in seinen ästhetisch ansprechenden Bild- und Tonkompositionen verharren. Und dies ist der Grund, warum ich mich letztendlich nicht für mehr als 6 Punkte für „1 Mord für 2" hinreißen lassen kann.
Ein Film für Theaterfreunde, Programmkinogänger oder Filmwissenschaftler, jedoch keiner für den durchschnittlichen Rezipienten. In jedem Fall außergewöhnlich, wenn auch nicht frei von Schwächen.