Die Woche hatte schon mies begonnen: Erst wollten sie das Granville, das Kino auf der Biscayne, schließen, dann entschied sich Boss Momo ins Gras zu beißen, was mich als seinen besten Geldeintreiber quasi als Paketdeal in den Besitz von Jimmy Capp übergehen ließ. Dieser schickte mich über Umwege nach L.A., wo es zu allem Überfluss auch noch wie aus Kübeln goss. Hatten wirklich schon bessere Zeiten gesehen, die Stadt und ich.
So schnell wie möglich wollte ich dann auch meinen „Hausbesuch“ beim säumigen Zahler, in diesem Falle der ziemlich heruntergekommene Horrorfilm-Produzent Harry Zimm, hinter mich bringen. Dann aber kamen sie endlich, die so dringend benötigten Lichtblicke: Zimm hatte eine Freundin: Seine Lieblingsdarstellerin, Königin des B-Films, Karen Flores! Die Frau meiner Filmträume!
Und das Kino in der Nähe meines Hotels zeigte „Im Zeichen des Bösen“. Heston als Mexikaner! Karen schien das kalt zu lassen, sie lehnte meine Einladung ins Kino jedenfalls höflich ab. Aber ich wollte, konnte mir das einfach nicht nehmen lassen.
Als ich kurz darauf den spärlich gefüllten Kinosaal betrat, kam ich nicht umhin, wieder einmal meinen Kopf über das moderne Kinopublikum zu schütteln. Hockten wahrscheinlich gerade in einer Vorstellung dieses Tarantino-Films „Pulp Fiction“, der mit ebenjenen Pfunden wucherte, die man hier im Original bewundern konnte! Untersicht, Chronologiesprünge, Spielereien mit der Tiefenschärfe, das hatte der alte Orson doch schon alles damals in seine Filme gesteckt. Dieses postmoderne Gehabe werde ich wohl nie begreifen.
Egal, denn das Licht erlosch in diesem Augenblick, der Film begann.
Und wie er begann:
Mit einer einzigen Kamerafahrt, die uns nicht nur die Präparierung eines Autos mit einer Bombe zeigt und diesem Auto beim Überqueren der amerikanisch-mexikanischen Grenze folgt, sondern obendrein den Handlungsort Los Robles sowie seine Hauptfiguren, allen voran das Ehepaar Vargas, etabliert. Allein diese Sequenz lohnte das Eintrittsgeld. Ach, was sage ich, schon Heston mit einem Pfund Schuhcreme im Gesicht war es wert. Mit breiter Brust gibt er den mexikanischen Polizisten Miguel ‚Mike’ Vargas, nimmt das Publikum an die selbstsichere Hand. Und es ist keine Frage, dass wir ihm folgen.
Belustigt erinnerte ich mich in diesem Moment an Tim Burtons Film „Ed Wood“, den ich ein Jahr zuvor gesehen hatte und in welchem die Titelfigur in einer kleinen Kneipe auf Orson Welles trifft. Dieser beschwert sich, dass ihm Charlton Heston für die Hauptrolle in „Touch of Evil“ aufgedrängt wurde. Das entspricht nicht der Wahrheit, denn es war Heston, der den von ihm verehrten Welles für das Projekt verpflichten ließ, um aus der Not, dass der Hollywoodmüde Welles noch an das Studio gebunden war, eine Tugend zu machen. Nur passte es in „Ed Wood“ andersherum besser, da sich der Film schließlich mit der manchmal engstirnig-obsessiven Perspektive eines Filmregisseurs beschäftigt. Wood hatte ein Besetzungsproblem, also dichtete man Welles auch eins an. Lustig, wie da die Realität zugunsten des Effekts zurechtgebogen… aber ich schweife ab.
Die Autobombe explodiert, ein Paar fällt ihr zum Opfer und das Drama entspinnt sich, als mit dem eifrigen Vargas und dem für den Grenzbezirk zuständigen Inspektor Quinlan zwei Welten aufeinander prallen. Mexiko trifft auf Amerika, Diensteifer auf Gesetztheit, Jugend auf Alter. Dieser Film arbeitet unzählige Konflikte über seine beiden Hauptfiguren ab, wird sogar Themen wie Rassismus aufgreifen, die sich in dieser deutlichen Form auch nicht in Whit Mastersons Romanvorlage finden. Nicht nur die Optik ist hier ein Spiel mit Kontrasten.
Und Welles könnte in der Rolle des Quinlan keinen besseren Kontrast zum aufrechten Heston abgeben. Übergewichtig und auf seinen Stock gestützt, schleppt er sich durch die Szenerie, pure Zwielichtigkeit ausschwitzend. Die Inszenierung verstärkt die beunruhigende Aura um ihn noch, indem sie ihn fast ausschließlich aus der Untersicht einfängt und das Bild mit seiner Statur füllt. Dieser Mann ist gefährlich, diese Ahnung beschleicht uns ebenso wie das Gefühl, dass neben der Ländergrenze in diesem Film auch noch ganz andere Grenzen überschritten werden. Gleichzeitig nutzt Welles diese für ihn typischen Aufnahmetechniken, um eine bizarre Humornote in den Film einzubringen. So ernst die Charaktere dreinschauen, so sehr wirken sie auch wie Karikaturen. Quinlan durch sein monströses Gebaren, Vargas allein durch… erwähnte ich schon die Schuhcreme?
Vargas also mischt sich in die Ermittlungen ein, nicht ohne vorher seine Frau in einem Motel abzusetzen. Nebenbei bemerkt dasselbe Motel, das Alfred Hitchcock danach für „Psycho“ verwendete. Und es war ebenfalls Janet Leigh, die eincheckte. Hach, Filmgeschichte at its best.
Ab hier wird eine neue erzählerische Ebene hinein gebracht, die auch nicht im Roman enthalten war. Susan sieht sich in diesem Motel nämlich der zudringlichen Grandi-Sippe, die als Drahtzieher hinter dem Anschlag vermutet werden, ausgeliefert. Sie wird mit lauter Musik und Telefonterror belästigt, hat wiederholt nur den geistig zurückgebliebenen Nachtportier („Duell“-Star Dennis Weaver) als Ansprechpartner. Und es soll noch schlimmer kommen…
Hier kartographiert Welles die Erniedrigung einer selbstbewussten Frau, als welche wir Susan zu Beginn des Films noch erlebten. Mutig bot sie dem Grandi-Oberhaupt dort die Stirn, freilich immer unter Berufung auf den Polizeistatus ihres Mannes. Doch als sie ohne dessen Beistand der finsteren Bande hilflos ausgeliefert ist, offenbart uns der Regisseur noch eine weitere Konflikt-Lesart, nämlich psychosexueller Natur. Und wie nihilistisch der Film hier daherkommt, mitten im Hollywood der auslaufenden Fünfziger! Offen-fröhliche Frauen wie Susan, die wie ein Pin-Up-Girl inszeniert wird, haben in seiner tiefschwarzen Welt kaum eine Chance. Um diese zu bekommen, wird sie ähnlich abstumpfen müssen wie die Wahrsagerin Tana, gänzlich unglamourös verkörpert von Marlene Dietrich. Zu ihr pflegt Inspektor Quinlan ein geradezu zärtliches Verhältnis, wenngleich er sich im Gedenken an seine tote Frau nie vollends mit ihr einlassen würde. Hier haben wir zwei Menschen, die einfach schon zuviel gesehen und erlebt haben, um noch hoffnungsvoll auf das Morgen blicken zu können. Doch während sich dies bei Tana in melancholischer Resignation äußert, sieht sich Quinlan immer noch in der Gesetzespflicht, was in seinem gänzlich unkonventionellen, für seine Umwelt gefährlichen Ermittlungsstil gipfelt: Er verlässt sich nur noch auf seine Intuition, fälscht, wenn nötig, Beweise und schreckt auch vor Gewalt nicht zurück. Der Kontrast zum aufrechten Vargas könnte nicht größer sein, der stets im Einklang mit dem Dienstweg ermittelt, dabei aber spürbar langsamer vorankommt als sein gewichtiger Gegenspieler. Das explosive Aufeinanderprallen der beiden scheint nur eine Frage der Zeit. Hier fiel mir erneut auf, wie gut Heston in die Rolle des Vargas passt, obwohl die Rolle des Mexikaners wie ein kapitaler Fehlgriff anmutet. Doch der Film benötigt nur das, was von einem Heston verkörpert wird.
Erwähnte ich schon Henry Mancinis wundervollen Soundtrack, der mit seiner Mischung aus althergebrachten Elementen, lateinamerikanischer Musik und Jazz einen Durchbruch für Hollywoods Filmscores markierte, und obendrein einen heute gern verwendeten Kniff benutzte, indem er den wichtigsten Figuren eigene Themen gab? Er gräbt sich ins Gedächtnis. So wie die unverwechselbare Pianola-Melodie, die für Dietrichs Tana spielt und auch Quinlan erweicht. Eine Wirkung der Musik, wie sie kein Dialog je in Worte fassen können wird. Sie ist von genau dem richtigem Hauch Melancholie durchweht, der mich (und hoffentlich auch alle anderen Zuschauer) bei all seinen schlimmen Taten für Quinlan einnimmt. Denn obgleich er alle Voraussetzungen für einen Bösewicht erfüllt, so kontrastiert seine immer noch nicht überwundene Trauer um seine tote Frau, die Verbitterung über die Unfähigkeit der Justiz im Zusammenhang mit ihrem Tod deutlich mit dem Charakter von Vargas, der seine frisch Angetraute in den Flitterwochen in einer als gefährlich gebrandmarkten Stadt sich selbst überlässt. Quinlan ist es anzusehen; er würde alles aufgeben, um seine Frau wieder zu bekommen, Vargas ordnet Susan sofort einem Fall unter, der nicht einmal in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Seine erste Sorge, als er Susans zerstörtes Motelzimmer vorfindet, gilt seiner entwendeten Pistole. Genüsslich zerfetzt der Film unser Bild von Gut und Böse in der Luft. Die beiden Männer sind sich ähnlicher, als man zunächst vermutet hätte. Als Susan augenscheinlich von der Grandi-Sippe unter Drogen gesetzt und vergewaltigt wird, und im Zuge dessen Vargas’ zivilisierte Fassade bröckelt, deutet Welles an, dass es nicht viel braucht, um aus einem Vargas einen Quinlan zu machen. Dennoch entschuldigt er Quinlans Verhalten zu keiner Zeit, nirgendwo findet sich der Versuch einer Rechtfertigung. Das Publikum muss einfach mit diesen Menschen klarkommen, die vom Leben in unterschiedliche Ecken gestellt wurden. Charaktere, die keine Abziehbilder sind, sondern nur finstere, nichtsdestotrotz aber menschliche Abgründe in sich tragen.
Das Drehbuch gönnt uns in all seiner Durchdachtheit keine bequeme Schwarz-Weiß-Malerei. Quinlan ist ein Schurke durch und durch, ermordet schlussendlich, auf dem Höhepunkt der Konfrontation zwischen ihm und Vargas an einer Brücke, sogar seinen letzten wahren Freund, Sergeant Menzies. Den Mann, der ihm immer den Rücken freigehalten hatte. Diesem wiederum bleibt es überlassen, Quinlans Leben ein Ende zu setzen. Dessen Verhalten war bar jeglicher Moral. Aber er lag richtig, was den Fall betraf, seine Intuition, sein detektivisches Gespür haben über Vargas’ kleinliche Ermittlungen triumphiert. Er weigert sich sogar, Vargas in den Rücken zu schießen, als er die Chance dazu hat. Und Vargas? Hielt sich für das Maß an Gesetzestreue, überließ seine Frau aber einfach den Klauen des Verbrechens. Als die beiden Eheleute sich zum Schluss wiederfinden, ist dies kein Happy End, auch wenn vordergründig das Gute über das Böse triumphiert hat. Die junge Beziehung ist gezeichnet, trägt ein dunkles Mal.
Der Paragraphenreiter, der dienstbeflissene Saubermann hat gesiegt. Es war unabdingbar, denn Quinlan hatte das Gesetz für seine eigenen Zwecke pervertiert. Dennoch mischt sich Wehmut hinein: Die Zeit der alten Helden, der Charakterköpfe scheint vorbei, an ihre Stelle tritt herzloses Mittelmaß.
Resignierend verabschiedet sich Tana von uns mit einem letzten „Adios“, bevor sie in die Nacht entschwindet. Eine düstere Straße hinunter, die einen ebensolchen Styx wie der Fluss darstellt, der Quinlans Körper davonträgt. Hinein in den Hades des filmischen Vergessens.
Welles hat dem Film Noir, seinen zwielichtigen Helden, mit „Touch of Evil“ eine tiefe Grube ausgehoben, um ihn mit dieser Schlussequenz endgültig hinein zu stoßen. Seine letzte große Verbeugung vor diesem Genre war gleichwohl ein Ausholen, um schwungvoll den letzten Nagel in den Sarg zu treiben.
Das Saallicht ging wieder an, und ich war einmal mehr fasziniert von Welles’ kompromissloser Art des Filmemachens. 1958! Wie weit dieser Mann seiner Zeit doch voraus war! Zu schade, dass ich den Film alleine anschauen musste, da ich das dringende Bedürfnis verspürte, über ihn zu sprechen. Ich stieß sogar einen Kerl, der vor mir saß, an, um ihm eine Reaktion zu entlocken, aber es war offensichtlich, dass er, allem Anklang zum Trotz mein Ausmaß an Begeisterung nicht teilte.
Das kam letztlich Karen zu, die sich kurz vor Schluss in den Saal geschlichen und hinter mich gesetzt hatte.
Nun fühlte ich mich endgültig beflügelt, die miese Woche war vergessen. Ich schmiedete sogar Pläne für eine Verfilmung meines Lebens. War ich nicht auch ein Schurke mit Herz? Welch idealer Filmstoff!
Danke, Orson. Deine Leidenschaft zum Kino, zum Genre des Film Noir, hat es unsterblich gemacht, mag dein filmisches Zu-Grabe-Tragen noch so nachhaltig geplant gewesen sein. Werke wie dieses inspirieren künftige Generationen Filmschaffender, Filmschauender, Filmliebender. Sie halten das Kino lebendig.
Ach ja: Karen begleitete ich natürlich noch zum Wagen. Ein Klassemädchen. Ich musste es ihr zum Abschied einfach hinterher rufen: ADIOS !
Bei mir klang es nach einem Anfang.