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“The Window” ist Ted Tetzlaffs kommerziell erfolgreichste Regiearbeit und atmet mit Haut und Haar die Schule des Alfred Hitchcock. Denn Tetzlaff beendete 1946 seine Karriere als Kameramann in Hitchcocks “Notorious”, bevor er sich ganz dem Regiefach widmete. Mit “The Window” verfilmte er eine Geschichte von Cornell Woolrich, dessen bekannteste Arbeit wiederum “Rear Window” sein dürfte, das seinerseits von keinem Geringeren als Hitchcock verfilmt wurde.

So schließt sich der Kreis in der nicht nur titeltechnisch etwas reduzierteren Variante vom “Fenster zum Hof”, dem “unheimlichen Fenster”, einer wesentlich kompakteren, nichtsdestotrotz hochgradig spannenden Variante einer gemeinsamen Ausgangslage.

In beiden Fällen gibt es eine interessante Verdrehung der objektiven Tatsachenlage: So wie im vorliegenden Falle ein Kind die Hauptrolle spielt, degradierte auch Hitchcock seinen Star James Stewart im Grunde genommen wieder zum hilflosen Kind, das der Gewalt der Judikative ausgeliefert war. Zum einen wegen des behindernden Gipsbeines, das ihn an seine Wohnung fesselte. Aber viel wichtiger noch: Stewarts Figur wurde dermaßen geschickt manipuliert, dass sie manchmal erschien wie der eigentlich Schuldige in der Geschichte. Sein mysteriöser Gegner auf Distanz war es zwar, der jemanden ermordet zu haben schien, aber der Voyeurismus der Hauptfigur ließ den Zuschauer manchmal sogar glauben machen, dass es im Grunde nur gerecht wäre, wenn der Mörder auch in die Wohnung des Voyeurs käme und ihn ebenso tötete - schließlich schnüffelt man nicht in der Privatsphäre anderer herum. So wenigstens würde ein Kind denken, das sich bei etwas ertappt fühlt. Ein brillanter Kniff mit hohem Identifikationspotenzial, in Anlehnung an die Kindheit und das Bild der Unfehlbarkeit der Eltern in den Augen des Kindes - auch wenn es vielleicht die Eltern waren, die etwas Böses getan haben. Das Kind wird annehmen, es habe selbst etwas verbrochen - die Eltern können sich schließlich nicht irren. James Stewart spielt in “Das Fenster zum Hof” im übertragenen Sinne ein Kind, das zu begreifen lernt, dass seine bisherige normative Distanz keineswegs unfehlbar ist - und es lehnt sich auf.

“Das unheimliche Fenster” bietet derweil sofort einen richtigen Jungen in der Hauptrolle auf, eröffnend mit der Fabel des Aesop vom kleinen Jungen, der immer “Hilfe, ein Wolf” schreit, bis ihm keiner mehr glaubt. Damit wird von Beginn an Suspense erzeugt. Die Fabel endet nämlich damit, dass irgendwann tatsächlich ein Wolf kommt und den Jungen frisst, weil längst niemand mehr auf die Lügenmärchen hört, so dass es keiner als nötig erachtet, dem schreienden Kind zur Hilfe zu kommen.

Unter einem positiven Heile-Welt-Score - Tetzlaff stammt auch aus dem Komödienfach, was hier zum Tragen kommt - entwickelt sich zunächst exakt jene Geschichte aus der Fabel und der Zuschauer muss darum hoffen, dass der Film nicht genauso böse endet. Das erste Bild zeigt den kleinen Tommy (Bobby Driscoll) mit einer Waffe in der Hand. Kurz darauf wird die Waffe als unecht entlarvt. Tommy spielt nur mit seinen Freunden. Die Realität entpuppt sich von hier an immer wieder als Spiel. Lügengebilde werden von dem phantasiereichen Jungen als Tatsachen verkauft, bis die Eltern halbwegs verständnisvoll, aber maßregelnd intervenieren und ihrem Sohn klar machen, dass die Märchen ein Ende haben müssen.

Der Junge sieht sein Fehlverhalten ein - leider etwas zu bereitwillig, wenn man Erwartungen an Realismus hegt, aber in der Kürze der Zeit ließ sich das vermutlich nicht anders regeln. Nun erleben wir den Teil, als der Wolf tatsächlich auftaucht: Tommy beobachtet durch ein Fenster den Mord an einem Matrosen durch das Ehepaar im Stockwerk über seiner Wohnung. Im Gegensatz zu “Das Fenster zum Hof” erfolgt die Beobachtung der Tat rein zufällig, womit der voyeuristische Teil ausgespart wird; an seine Stelle tritt die Unglaubwürdigkeit des jungen Zeugen, der allen normativen Instanzen, die er kennt - zuerst seinen Eltern, dann der Polizei - von der Tat berichtet und die Erfahrung machen muss, dass ihm keiner glaubt. Der Wunsch des Jungen, endlich immer die Wahrheit zu sagen, wird von den Autoritätspersonen um ihn herum fehlinterpretiert als Ungehorsam. Das führt schließlich in einer Ausnahmesituation sogar dazu, dass das Kind vom erbosten und besorgten Vater in sein eigenes Zimmer gesperrt wird - eine Parallele zum gebrochenen Bein des Fotografen aus Hitchcocks Film.

Die Handlung komprimiert sich indes auf einige wenige Sets und ist durch und durch logisch aufgebaut. Ein effektiver Spannungsaufbau lässt den Zuschauer nicht zur Ruhe kommen und bindet ihn gnadenlos in die Geschichte ein, ohne ihn jemals loszulassen. Die Situation für das Kind wird immer bedrohlicher; der Regisseur inszeniert eine schrittweise Annäherung des Täterpaares mit dem Zeugen, was in höchst atmosphärischen Sequenzen wie einer Taschenlampen-Durchleuchtung des Kinderzimmers vom Außenbalkon aus gipfelt.

Die tiefliegenden Subtexte einer Hitchcock-Arbeit werden dabei zwar nie ganz erreicht, aber technisch ist das Werk hochpräzise auf diesen Vergleich ausdefiniert. Der Faktor Unterhaltung kann auch dank eines spektakulären Ausgangs (mitsamt aufreibender Match Cuts und actionreichem Finale auf dem Dachboden, das unter anderem einen spektakulären Stunt auf einer einstürzenden Treppe zu bieten hat) jederzeit mit dem “Master of Suspense” mithalten, wenngleich der Score vielleicht manchmal an den falschen Stellen auf Musik verzichtet.

Kinderstar Bobby Driscoll, dessen Leben später aufgrund von starkem Drogenmissbrauch eine tragische Wende nahm und viel zu früh beendet wurde, galt seinerzeit als Riesentalent; weshalb, stellt er hier eindrucksvoll unter Beweis. Ihm ist es im Endeffekt zu verdanken, dass das Resultat überhaupt funktioniert. Seine aufgeweckte Art, durch den Film zu führen, unterstreicht die Grundaussage des Werkes mit Nachdruck.

Wer also Wert legt auf eine vereinfachte Variante von “Das Fenster zum Hof” (aufgrund der ein Stockwerk höher wohnenden Täter vielleicht gar mit einer Prise “The Lodger”), die jedoch in ihrer Kompaktheit und Spannungserzeugung höchst effektiv zu Werke geht, der dürfte in “Das unheimliche Fenster” in jedem Fall fündig werden.

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