"Abrams im Monsterland" oder "Much ado about a common thing"
J.J. Abrams ist clever. Über sein neuestes Projekt Cloverfield war lange Zeit so gut wie nichts bekannt. Die Masche ist alles andere als neu, aber nichtsdestotrotz enorm effektiv. Wirf der hungernden Internetmeute ein paar vage Informationsfetzen zum Spekulationsfraß vor und warte dann in Ruhe ab, bis die Saat aufgeht. Und wie sie das tat. Weltweit tippten sich gelangweilte Freaks monatelang die Finger wund, um Licht in das Dunkel des vermeintlich nächsten „Geniestreichs" des Lost-Erfinders zu bringen. Ein fulminanter US-Start war der verdiente Lohn für die lehrbuchmäßig durchgezogene Marketingstrategie.
Als die ersten Eindrucksmeldungen durchsickerten, war viel von Innovation, einem völlig neuen Seherlebnis und einer Revolution des „Monsterkinos" die Rede. Natürlich wurde sofort wieder der inzwischen inflationär - und daher völlig nichtssagende - gebrauchte Begriff „kultig" bemüht. Aber was ist nun wirklich dran am gehypten Cloverfield? Nachdem sich der erste Euphorienebel gelichtet hat, fällt einem dazu vor allem Shakespeare ein: „Viel Lärm um (fast) nichts".
Die „Storyidee" ist gleich der erste Dämpfer. Wieder einmal wird New York - natürlich Manhattan - angegriffen. Ja, das hatten wir gerade in den letzten Jahren schon öfters. Ob Meteoriten (Armageddon), Flutwellen (The day after tomorrow), Terroranschläge (Ausnahmezustand) oder saurierähnliche Riesenechsen (Godzilla), Hollywood hat so ziemlich alles Vorstellbare und auch Unvorstellbare auf den Big Apple losgelassen. Cloverfield wählt aus den diversen Vorbildern die Emmerich-Variante. Es geht also wieder einmal um Monster. Ideenreichtum sieht anders aus.
Aber es kommt noch schlimmer. Der angeblich so innovative Streifen bietet die altbekannten Versatzstücke des Horrorkinos. Eine Gruppe junger Leute wird mit einem plötzlich über sie hereinbrechenden Grauen konfrontiert. Im Fall von Cloverfield ist das einleitende Setting eine Yuppi-Abschiedsparty für den beruflich nach Japan wechselnden Rob. Sämtliche Charaktere sind genretypisch klischeehaft gezeichnet und letztlich völlig uninteressant. Folglich sind uns deren Schicksale ebenfalls egal. Mangels jeglicher Empathieangebote weidet sich der Zuschauer ausschließlich am dargebotenen Schreckensszenario. Ein mehr als vertrautes Problem der allermeisten Genreproduktionen.
Leider ist Cloverfield auch gegen eine weitere Standardkrankheit des Horrorfilms nicht immun: er malträtiert sein Publikum mit dem realen Grauen kratergroßer Logiklöcher. Das liegt im vorliegenden Fall ausschließlich am vermeintlichen „Innovationsclou" des Films. Anders als bei vielen vergleichbaren Produktionen wird das Grauen nicht von einer unbeteiligten Kamera eingefangen, sondern von einem Betroffenen per Handkamera dokumentiert (völlig neu ist aber auch diese Idee nicht). Da der Zuschauer aber stets nah am Horrorszenario sein soll und wohl auch will, mussten die Macher die Story so weit zurechtbiegen, dass die Protagonisten nicht dem menschlichen Urinstinkt bei einer unsichtbaren Bedrohung nachkommen und einfach versuchen, so schnell und so weit wie möglich vom Gefahrenzentrum weg zu kommen.
Als Rob nach der ersten Attacke die tödlichen Ausmaße der Katastrophe, das enorme Zerstörungspotential der Kreatur sowie die massiven Probleme des Militärs der Situation beizukommen realisiert, folgt er nicht etwa den Massen auf den ausgewiesenen Evakuierungsrouten. Nein, der jugendliche Bürohengst schlägt die Gegenrichtung ein und begibt sich mitten ins Zentrum das Grauens, um seine verschüttete Exfreundin zu retten. Angesichts eines solch unfassbaren und real erlebten Horrorszenarios mehr als unglaubwürdig. Das wir aber noch mühelos getoppt von der Bereitschaft dreier Partygäste (darunter der „Partykameramann"), Rob auf seiner wahnwitzigen Mission zu folgen. Natürlich vergisst Robs Kumpel nie, die Kamera laufen zu lassen und filmt selbst bei den brutalsten und überraschendsten Zwischenfällen munter weiter. Als die vier Helden zwischenzeitlich vom Militär aufgegriffen werden, hat dieses nicht die geringsten Einwände, dass ihre zunehmend deutlicher werdende Hilflosigkeit von einem Zivilisten filmisch festgehalten wird. Das schlägt dem morschen Logikfass dann endgültig den Boden aus. Nur wer diese elefantengroßen Storykröten bereit ist zu schlucken, kann dem weiteren Filmverlauf noch Positives abgewinnen. Die Form geht bei Cloverfield jedenfalls ganz klar über den Inhalt.
Trotz seines formelhaften und unglaubwürdigen Plots ist Cloverfield über weite Strecken recht spannend geraten und bietet eine beklemmend düstere Atmosphäre (Assoziationen zu Amateuraufnahmen vom 11. September sind sicherlich beabsichtigt und verfehlen auch nicht ihre Wirkung). Hier muss allerdings einschränkend erwähnt werden, dass beides nur über 60 Minuten funktionieren muss. Der Film ist mit gut 80 Minuten sehr kurz geraten und präsentiert in den ersten 20 Minuten lediglich die überaus langweilige Abschiedparty für Rob. Ist das Grauen aber erst einmal ausgebrochen, nimmt der Film ordentlich Fahrt auf. Die Handkamera schafft eine Unmittelbarkeit, die vor allem das herrschende Chaos sowie die Hektik und zunehmende Panik der Betroffenen eindringlich vermittelt. Kombiniert mit zahlreichen gut getimten Schockeffekten entsteht ein atmosphärisch dichtes Horrorszenario.
Die Kameraidee ist dabei aber nur ein Teil des Erfolgsrezepts. Ohnehin geht sie dem Betrachter im Verlauf des Films zunehmend auf die Nerven, da sie nur ganz selten zur Ruhe kommt und selbst in Atempausen permanent hin und her geschwenkt wird. Nein, das unmittelbare Schreckenserlebnis wird insbesondere auch dadurch erzeugt, dass der Kinozuschauer nie mehr weiß, als die beteiligten Personen. Zudem ist von den angreifenden Kreaturen nur sehr wenig zu sehen, womit sich das Grauen vor allem in den Köpfen der Beteiligten abspielt. Alfred Hitchcock - nicht umsonst nach wie vor der unangefochtene „Master of Suspense" - hatte allerdings beide Genrekniffe bereits vor über 50 Jahren perfektioniert. Also auch hier keine Innovation.
Da ist es dann auch schon egal, dass die Macher bei den Kreaturen wieder einmal eine Spur zu deutlich bei der Alien-Saga klauen (Facehugger, Parasitenthematik etc.). Aber lassen wir Milde walten und verbuchen es als "Hommage". Die hier zitierten Filme sind wenigstens "Kult".
Fazit:
Cloverfield ist ein im Vorfeld überaus clever gehypter Monsterschocker, der bei genauerer Betrachtung das vielerorts gepriesene (und erhoffte) Innovations- und Kultpotential allerdings nicht bestätigen kann. Das ganze Szenario ist reichlich ausgelutscht und zudem mit altbekannten Plotbausteinen gewürzt. Einzig die Kameraführung grenzt den Film von vielen Genrekollegen ab. Die Idee, ein Schreckensszenario lediglich durch die verwackelten Bilder eines unmittelbar Beteiligten dokumentieren zu lassen ist zwar ebenfalls nicht neu, aber zweifellos raffiniert. Geschickt werden Erinnerungen an die Terrorangriffe vom 11. September geweckt und eine beklemmend düstere Atmosphäre geschaffen.
Für eine Neudefinition des Genres reicht es aber bei weitem nicht. Zumal dem Primat des visuellen Stils alles untergeordnet wird. Charakterzeichnung, Plot und vor allem Logik werden gnadenlos über Bord geworfen, um die Grundidee überhaupt möglich zu machen. Spannung kommt nur über eine Stunde auf und auch hier ist der Erfolg keineswegs ausschließlich auf den Einsatz der Wackelkamera zurück zu führen. Vielmehr ist der zumindest zeitweise hohe „Thrill-Gehalt" in erster Linie der totalen Unwissenheit des Zuschauers - der zu keinem Zeitpunkt über mehr Informationen verfügt wie die Filmfiguren - sowie der meist nur schemenhaft gezeigten Bedrohung geschuldet. Diese „Tricks" kannte allerdings auch schon „Altmeister" Alfred Hitchcock.
Insgesamt sehr viel Getöse um erstaunlich wenig.
(4/ 10 Punkten)